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VJI. Die (leburt des Erichthonios.
ftir die Erkemitnifs aller DarsteHungen gleichen Inhalts von
mafsgebender Bedeutung sein rnufs.
Den Mittelpunkt der Gruppe bildet Gaia, hier nur mit
E*opf, Armen und Schuitern aus dem Boden liervorragend,
eine Darstellung, welche, mit den Reliefs verglichen, auf denen
sie mit halbem Leibe sichtbar ist, ungleich lebendiger und
wirkungsvoller ist. Der Vorgang erscheint wunderbarer, die Per-
son der Gaia riesiger, so wie es ihrer Bedeutung entsprichtO)
Denn wie im Mvthus und in der Poesie der Begriff der Gaia
sich von dem Elementaren niemals abgelöst hat, sondern immer
wieder in dasselbe übergelit,^) so ist auch in der bildenden
Kunst die Göttin nicht auf gleiche Weise vermenschlicht und
individualisirt worden wie die olympischen Gottheiten. Die
tiberirdische Gröfse versinnlicht den Charakter des Enermefs-
lichen; die grofse Einfachheit der Gestalt, die Fülle des lang
und schwer herabwallenden Haares, der mächtige Glieder-
bau, das volle, in starken Zügen ausgeprägte Gesicht stehen
mit dem Typus eines urkräftigen Naturwesens ganz im Ein-
klang, und dieser Typus wird noch anschaulicher durch den
Gegensatz der Athena, welche neben der schwerfälligen, mit
dem Boden zusammenhangenden Erdmutter um so freier und
schlanker aufzutreten scheint.
Leicht und behende kommt sie von der Linken heran.
Ihre Haltung zeigt ein doppeltes Moment geistiger und körper-
licher Bewegung. Aus der Entfernung hat sie wahrgenommen,
was sich im Schoofse der Erde vorbereitet; sie ist irn Herbei-
eilen begriffen, und ehe noch die Füfse ruhig neben einander
stehen, streckt sie schon, mit dem Oberleibe vorgeneigt, dem
emporgehobenen Knaben die Hände entgegen.
So mäfsig und zart die Bewegung ist, so erscheint sie
dennoch in hohem Grade ausdrucksvoli und lebendig. Man
erkennt die Jungfrau an der schlanken Gestalt sowie an einer
gewissen Zurückhaltung und Befangenheit, aber zugleich ist
sie ganz selbstvergessen und in mütteriicher Freude dem Kinde
zugewandt. Die sanfte Neigung des Kopfes spricht die hin-
gebende Zärtlichkeit aus, welche sie dem Kinde entgegenbringt
i) TreZaL?/ (vgl. Welcker, Driech. Götterl. I 322).
3) lexe ^e/Jropog npovpo:. VgJ. auch Soph. Ant. 337 f-, wo vTreoTK-ro:
ein Beiwort der Göttin ist, während o'yTirrog und rAo^Kvog sich auf das
EJement bezieirt.
VJI. Die (leburt des Erichthonios.
ftir die Erkemitnifs aller DarsteHungen gleichen Inhalts von
mafsgebender Bedeutung sein rnufs.
Den Mittelpunkt der Gruppe bildet Gaia, hier nur mit
E*opf, Armen und Schuitern aus dem Boden liervorragend,
eine Darstellung, welche, mit den Reliefs verglichen, auf denen
sie mit halbem Leibe sichtbar ist, ungleich lebendiger und
wirkungsvoller ist. Der Vorgang erscheint wunderbarer, die Per-
son der Gaia riesiger, so wie es ihrer Bedeutung entsprichtO)
Denn wie im Mvthus und in der Poesie der Begriff der Gaia
sich von dem Elementaren niemals abgelöst hat, sondern immer
wieder in dasselbe übergelit,^) so ist auch in der bildenden
Kunst die Göttin nicht auf gleiche Weise vermenschlicht und
individualisirt worden wie die olympischen Gottheiten. Die
tiberirdische Gröfse versinnlicht den Charakter des Enermefs-
lichen; die grofse Einfachheit der Gestalt, die Fülle des lang
und schwer herabwallenden Haares, der mächtige Glieder-
bau, das volle, in starken Zügen ausgeprägte Gesicht stehen
mit dem Typus eines urkräftigen Naturwesens ganz im Ein-
klang, und dieser Typus wird noch anschaulicher durch den
Gegensatz der Athena, welche neben der schwerfälligen, mit
dem Boden zusammenhangenden Erdmutter um so freier und
schlanker aufzutreten scheint.
Leicht und behende kommt sie von der Linken heran.
Ihre Haltung zeigt ein doppeltes Moment geistiger und körper-
licher Bewegung. Aus der Entfernung hat sie wahrgenommen,
was sich im Schoofse der Erde vorbereitet; sie ist irn Herbei-
eilen begriffen, und ehe noch die Füfse ruhig neben einander
stehen, streckt sie schon, mit dem Oberleibe vorgeneigt, dem
emporgehobenen Knaben die Hände entgegen.
So mäfsig und zart die Bewegung ist, so erscheint sie
dennoch in hohem Grade ausdrucksvoli und lebendig. Man
erkennt die Jungfrau an der schlanken Gestalt sowie an einer
gewissen Zurückhaltung und Befangenheit, aber zugleich ist
sie ganz selbstvergessen und in mütteriicher Freude dem Kinde
zugewandt. Die sanfte Neigung des Kopfes spricht die hin-
gebende Zärtlichkeit aus, welche sie dem Kinde entgegenbringt
i) TreZaL?/ (vgl. Welcker, Driech. Götterl. I 322).
3) lexe ^e/Jropog npovpo:. VgJ. auch Soph. Ant. 337 f-, wo vTreoTK-ro:
ein Beiwort der Göttin ist, während o'yTirrog und rAo^Kvog sich auf das
EJement bezieirt.