Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Curtius, Ludwig
Über einen Apollokopf in Florenz — München, 1908

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34184#0016
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
durchgeführt ist. Daß auch hier der Oieingießer
als jüngeres Beispiei für die Weiterbildung dieser
Art gelten kann, ist leicht zu erkennen.
Für die Partie von Augen, Wangen und Mund
scheint L zuverlässiger. Der feine, die Wangen
abgrenzende Zug von den Nasenflügeln her, der
ähnliche die Mundwinkel herab, erscheint nur
hier, während die breiten großen Wangenflächen
an O ein wenig tot wirken. Aber beiden Kopien
gemeinsam sind die großen Augen mit über-
schattenden Lidern, wobei O vielleicht über-
treibt, die Formen härter gibt und wohl auch
die Sehachse verändert hat; weiter aber die
breite Anlage des ganzen Untergesichts, das so
stark unter der Stirne zurückgedrängt erscheint,
und der kantige Schnitt des stark betonten ener-
gischen Kinns. Bei O erscheint es noch breiter
und gewalttätiger als an L, und hier ist auch der
Mund verschieden gegeben mit beinahe trotzig
geschlossenen, scharf geschnittenen Lippen. L
gibt das Kinn schmäler, den Mund geöffnet, die
Lippen weicher. Das Ächte scheint in der Mitte
zwischen beiden Formen gelegen zu haben. Der
Mund an L ist durch eine sehr lieblos geführte
Bohrlinie gegeben und die Lippen sind charakter-
los zart. Der breitere Mund an O hingegen mag
das Ursprüngliche etwas hart wiederholen.
Und nun der Kopf in der energischen Be-
wegung auf dem breiten muskulösen Halse, die
die Phantasie verlockt, einen Körper voll jugend-
licher Elasticität dazuzudenken*'). Das Ganze
muß ein heroisches Charakterbild gewesen sein,
das neben die gleichzeitigen Ausläufer archaischer
Kunst und die harmonische Idealität argivischer
Schöpfungen eine neue Art von Schönheit brachte,
eine, die ein inneres leidenschaftliches Wesen
in einer bewegteren Wiedergabe körperlicher
Formen zum Ausdruck kommen ließ und darin
Lösungen des vierten Jahrhunderts vorbereitete.
Erfaßt man aber einmal die Eigenart der Schöp-
fung, diese kraftvolle Lebendigkeit eines so ver-
haltenen, beinahe spröden, jugendlichen Tempera-
ments, dann erscheint über die Jahrhunderte
hinweg keine Lösung verwandter als jene, die
Michelangelo gegeben hat in seinem David.

III.
Soviel Schatten auch die große Figur des
Künstlers Pythagoras bisher in der kunsthisto-
rischen Literatur geworfen hat, es will keine
Gestalt von innerem Leben daraus werden. Ja,
durch den letzten, dieser Erscheinung gewid-
meten Versuch*") ist die einstweilige Ohnmacht
unserer Wissenschaft ihm gegenüber nur erst
recht deutlich geworden.

Daß wir zuerst aus der Reihe der ihm zu-
geschriebenen, unter sich freilich so wenig zu-
sammenhängenden Werke zwei streichen, deren
Zuweisung bisher noch die meisten Stimmen
vereinigte! Nämlich der Kopf in Ince Blundell
Hall(Furtwängler, Meisterwerke, p. 347, Fig. 44;
Lechat a. a. O., p. 105, n° 5) ist nichts anderes als
eine im Haar sorgfältige, im Gesicht aber sehr
flaue Wiederholung des schönen Kopfes Riccardi
(Furtwängler, Meisterwerke, Taf. XVII. (Brunn-
Bruckmann, 361)**).
Weiter aber ist auch der vielberufene Kopf
aus Perinth (Brunn-Bruckmann 542 mit Angabe
der Literatur im Text von P. Arndt) nichts
anderes als die Wiederholung eines Werkes von
reinstem myronischen Stil. Denn ein Vergleich
mit dem herrlichen bärtigen Kopf in St. Peters-
burg (Furtwängler, Meisterwerke, p. 353, Hg. 46;
Kieseritzky, Katal. der Sculpturen derErmitage68;
vgl. hier Fig. 8—10) ergibt, daß er Locke für Locke,
teilweise vergröbert, das gleiche Original wieder-
holt. Nur hat, und dies ist die merkwürdige, einst-
weilen durch kein anderes Beispiel zu belegende
Besonderheit, der Kopist am Perinther Kopf den
Bart des Petersburger weggelassen. Hinzu kam
die moderne Zurichtung des Haares über der Stirn
(P. Herrmann in Athen Mitt. XVI, 1891, p. 314);
das merkwürdige Aussehen, das der Kopf auf
diese Weise erhielt, hat so lange am Richtigen
vorbeisehen lassen*^).
Freilich sind wir nun nicht imstande, dem
Werk des Künstlers, was wir auf der einen Seite
genommen haben, auf der andern Seite zu geben
und es dadurch bestimmter zu gestalten. Aber
nachdem in den Versuchen Lechats und anderer
die Grenzen verschiedener Künstlerpersönlich-
keiten und verschiedener Kunstrichtungen aus
der Zeit um die Perserkriege, wie sie durch die
Forschung allmählich, wenn auch nicht wirk-
lich klar, so doch langsam deutlicher wurden,
sich wieder zu verwischen scheinen, ist das Be-
streben, wieder zu scheiden, vielleicht nützlich.
Wir gehenhiebeiaus von dreiTorsen(hierFigg.
11—14, 16—23) die, früher im Museum von My-
konos, sich jetzt in dem neuen ***) auf Delos selbst
beHnden. Alle drei sind griechische Original-
arbeiten zeitlich kaum weit voneinander entfernt,
von der köstlichsten, unberührtesten Frische.
Betrachtet man diese Torsen rein äußerlich
nur auf das Alter der ihnen zugrunde liegenden
Siegermodelle, so springt einer sofort in die
Augen. Denn der Marmor mit der proviso-
rischen Nummer 39 (Fig. 11—14 nach eigenen
Aufnahmen) ist der jugendlichste; jugendlich
nicht nur nach dem Alter des Dargestellten, eines
Knaben von etwa 15—16 Jahren, sondern vor
allem in der eminenten Lebendigkeit seines Motivs.
 
Annotationen