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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0063
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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG


Textabb. 25. Kreuztragung (Ausschnitt). Hersbruck, Stadtkirche,
Chor I, ja. Prag (?), um 1370/80.


Textabb. 26. König und Königin von Böhmen mit Gefolge aus der
Goldenen Bulle. Wien, ÖNB, Cod. 338, fol. 33’. Prag, um 1400.

Patriziergeschlechter - ist die enorme Ausstrahlung, die
von den verschiedenen Werkstätten bis nach Thüringen,
Schwaben und Bayern ausging, häufig verkannt worden.
Tatsächlich hatten die umfangreichen Neubaumaßnah-
men, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts das Gesicht der
Reichsstadt nachhaltig veränderten, eine außergewöhn-
liche Konzentration künstlerischer Kräfte zur Folge. Wie
im Fall der verschiedenen Bildhauertrupps, die im Ver-
lauf des 14. Jahrhunderts zur Ausstattung des Sebalder
Langhauses, am Chor von St. Jakob, am Westportal der
Lorenzkirche, an der Vorhalle der Frauenkirche, am Ost-
chor von St. Sebald und nicht zuletzt am Schönen Brun-
nen herangezogen wurden, so dürfte auch die beispiel-
lose Ansammlung von Glasmalern in der Stadt zunächst
noch in engerem Kontakt zu den Bauhütten gestanden
haben, doch der Übergang zum steuerpflichtigen Meister
mit niedergelassener Werkstatt scheint sich im zunft-
freien Nürnberg recht unmittelbar vollzogen zu haben95.
In den ältesten Meisterlisten von 1363 sind bereits zwölf
Glaser namentlich genannt, von denen beinahe alle unter
den fünfzehn der zweiten Liste von 1370 wiederbe-
gegnen. Im Jahr 1383 wurden nochmals vier weitere Mei-
ster nachgetragen, so daß wir in der Hochphase der
Chorausstattung von St. Sebald mit einer Ansammlung
von annähernd 20 Meistern - über die Zahl der unselb-
ständigen Mitarbeiter und Gesellen ist nichts ausgesagt -
zu rechnen haben96. Über die Organisation dieser Werk-
stätten und die Form ihrer Zusammenarbeit an den
anstehenden Farbverglasungen wissen wir nichts. Nimmt
man jedoch die rund einhundert Jahre spätere »Werk-
stattgemeinschaft« der fünf selbständigen glasere zu
Straßburg unter der Führung Peter Hemmeis von 1477/81
zum Vergleich, die bekanntlich den gesamten süddeut-
schen Raum mit ihren Erzeugnissen belieferten, dann
sind doch einige Rückschlüsse über den Umfang der
Nürnberger Produktion erlaubt97.
In die Zeit dieser enormen personellen Konzentration

fällt - neben der verlorenen Chorverglasung in der Frauenkirche - die Ausstattung des neuen Ostchors von St. Sebald,
dessen 15 riesige Fensteröffnungen allein ein gewaltiges Auftragsvolumen versprachen. Der Neubau war 1361 vermut-
lich von einem Baumeister aus dem unmittelbaren Kreis der Parier begonnen und 1372 weitgehend vollendet worden.
Altarstiftungen für den Ostchor, die nach 1370 einsetzen, sprechen für eine zunehmende liturgische Benutzbarkeit,
die spätestens mit der Schlußweihe am 28. August, dem Sonntag nach St. Bartholomäus des Jahres 1379 in vollem
Umfang gewährleistet war98. Daß der Chor zum damaligen Zeitpunkt noch keines seiner farbigen Fenster besessen
haben soll, wie Frenzel mit Hinweis auf die Genealogie der Stifter behauptet hat, muß freilich mit Fug und Recht
bezweifelt werden. Tatsächlich läßt sich für keine einzige Fensterstiftung anhand der Lebensdaten der beteiligten
Nürnberger Patrizier eine Entstehung nach 1379 belegen, wenngleich es vereinzelte Nachzügler gegeben haben mag99.
Selbst die Fensterstiftung König Wenzels, die der Rat mit 50 Gulden aus der Stadtsteuer beglichen hatte, war dem
Wortlaut der königlichen Bestätigung zufolge bereits Mitte des Jahres 1379 eingesetzt100. Wenig glücklich scheint auch
die Trennung der Fenster in einen »1. und 2. Sebalder Kreis«, da innerhalb beider Gruppen Fenster von deutlich ver-
 
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