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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0057
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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

wie das breit umlaufende Schriftband angeführt werden, das in den späteren Fenstern der Nürnberger Marthakirche
und in den Exportwerken in Erfurt - dort sogar in Verbindung mit einer Wiederholung der Rothenburger Gesamt-
komposition - beibehalten wird. Ebenso gut wäre auf stilistische und motivische Zusammenhänge mit dem Heils-
bronner Passionsretabel und dem Reliquienaltärchen des Germanischen Nationalmuseums zu verweisen (Textabb.
9-11). In Zeichnung und Typenschatz sehr eng verwandt sind - neben dem Hohenloheschen Lehensbuch von 1345
(Fig. 315) - in erster Linie die Illustrationen einer Sammelhandschrift des Abts Hermann von Kastl in der Gräflich
Schönbornschen Schloßbibliothek Pommersfelden, die von Suckale im Kontext der »Wirkungen« ludovizischer
Hofkunst in Franken in die Nähe des Rothenburger Achsenfensters gerückt und - in Anlehnung an die Stilableitung
von Petra Simon - versuchsweise mit einer Nürnberger Werkstatt in Verbindung gebracht worden sind (Textabb.
15 f.)75. Tatsächlich offenbaren die Miniaturen der Heiligenviten, der Credozyklus, das Weltgericht und die Fünfzehn
Zeichen bis hinein in die botanische Vielfalt der Rankengründe im Initialschmuck der Handschrift die unmittelbarsten
Zusammenhänge zum figürlichen und ornamentalen Repertoire des Rothenburger Fensters (vgl. Textabb. 17).
Da die dekorativen Rahmensysteme der Großmedaillons, wie sie im Passionsfenster der Regensburger Minoriten um
1360 zum Einsatz kamen, konsequent fortentwickelt, mit identischer Ornamentik und gepaart mit einer nochmals
gesteigerten Expressivität der Zeichnung im späteren Freuden-Marien-Fenster in Rothenburg (nun mit ziemlicher
Sicherheit aus einer Nürnberger Werkstatt) wiederkehren, wurde sogar vermutet, daß es sich hier noch um ein und
dieselbe Werkstatt-Tradition handeln könnte76. Bezieht man schließlich den gegen 1370 ausgeführten Hochaltar der
Nürnberger Deutschordenskirche St. Jakob als späteres Zeugnis Nürnberger Tafelmalerei mit in die Betrachtung ein,
dann treffen wir dort, rund zwei Jahrzehnte nach dem Rothenburger Achsenfenster, zumal in einer Kirche des Deut-
schen Ordens, noch auf erstaunliche figürliche und motivische Parallelen in den Gestalten der Apostel und Propheten
(vgl. Textabb. 30)77. Tatsächlich dürfte mit der Farbverglasung des in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts neu
errichteten Chors der Nürnbergerjakobskirche das entscheidende Verbindungsglied zum Achsenfenster der Rothen-
burger Ordenskirche verloren gegangen sein. Hier war an der skulpturalen Ausstattung offenbar ein Ableger der
Münchner Hofwerkstätten tätig, und mit Heinrich von Zipplingen, dem Landkomtur in Franken mit Sitz in Nürn-
berg, einer der einflußreichsten Berater Kaiser Ludwigs des Bayern als potentieller Auftraggeber in die Bauangelegen-
heiten involviert78. Bedenkt man, daß zuvor die Langhauserweiterung im Augsburger Dom und damit auch die Ver-
glasung des riesigen Querhausfensters mit dem monumentalen Thron Salomonis unter maßgeblicher Beteiligung des
Domkustos Konrad von Randegg und der Bischöfe Ulrich II. von Schönegg (1331 —1337) bzw. Heinrich III. von
Schönegg (1337-1348) ebenfalls einen Auftraggeberkreis aus dem engsten Lager des Kaisers erschließt, die Fenster-
stiftung jedenfalls ein entschieden prokaiserliches Programm vertritt, wie Becksmann zuletzt dargelegt hat79, dann
werden - ganz im Sinne von Suckales Hofkunst - die Konturen einer ‘Kunstpolitik’ sichtbar, die ein enges Bezie-
hungsgeflecht der Parteigänger Ludwigs des Bayern umfaßt, zu denen neben dem Augsburger Domklerus und dem
Deutschen Orden eben auch die Regensburger Franziskaner gehörten, selbst wenn deren Chorausstattung bereits in
die Zeit nach dem Tod des Kaisers im Jahr 1347 fällt (Textabb. 18). Dieses Erklärungsmodell scheint durchaus geeig-
net, die angesprochenen Zusammenhänge zu verstehen, wobei die Möglichkeit einer tragenden Rolle des Franziskan-
erordens bei der Vermittlung der Künstler noch der genaueren Prüfung bedürfte80.

75 Eine definitive Lokalisierung der Handschrift ist gleichwohl nicht
möglich, da neben der Nähe zum Heilsbronner Passionsretabel und einer
Reihe fränkischer Miniaturen auch »Elemente Regensburger Orientie-
rung« festzustellen sind (vgl. Simon, 1978, S. 134-159; Suckale, 1993,
S. 139). Hinzuweisen wäre etwa auf die zwei Initialminiaturen eines
älteren Regensburger Antiphonars (um 1310 wohl zu früh datiert) oder
auch die ganzseitigen Miniaturen eines Gebets- und Andachtsbuchs aus
St. Emmeram in Regensburg, um 1330/40 (vgl. Robert Suckale, in: Kat.
Ausst. Regensburg 1987, Kat. Nr. 74 und 77; Hernad, 2000, Kat. Nr. 23,
Farbtaf. III, Abb. 58—65).
76 Becksmann, DGM I, 1995,5. 150.
77 Zum Hochaltar von St. Jakob vgl. vor allem: Zimmermann, 1930/31,
S 26-28, Taf. 46-62; Beenken, 1933, S. 323-333; Stange, DMG II,
1936, S. 166; Strieder, 1993, S. 17-20, 168.

78 Martin, 1927, S. 31-45; zur Herleitung der Werkstatt der Jakobs-
kirche aus der Münchner Skulptur der Residenzkapelle bes. S. 43!.;
Suckale, 1993, S. 79h, 86-89. Einige Verwirrung stiftet nach wie vor die
Existenz von zwei gleichnamigen Angehörigen des Ministerialenge-
schlechts Zipplingen im Deutschen Orden, die hier nicht zu klären ist
(vgl. Weiss, 1991, S. 170-177, bzw. Suckale, 1993, S. 185, Anm. 30).
79 Becksmann, 1995, S. 247-263. Allerdings dürfte die Stiftung des Fen-
sters nicht ohne Beteiligung des Domkustos Konrad von Randegg
erfolgt sein, der sich unterhalb der Trumeaumadonna am Augsburger
Nordportal in ähnlicher Pose und Tracht darstellen ließ wie die kleine
Stifterfigur zu Füßen der thronenden Madonna im äußersten rechten
Feld des Fensters (Becksmann, 1995, Abb. 96 und 98). Entgegen Meier,
1988, S. 40 und 65, Suckale, 1993, S. 214, und Becksmann, 1995, S. 261,
Anm. 20, ist darauf hinzuweisen, daß der Stifter sehr wohl tonsuriert ist,
 
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