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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Anhänge, Tafeln — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52870#0056
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REGESTEN

583

stein in diesem Fall zu grossem glück für die alten Fenster, indem
er sie vor grosser unvermeidlicher Schädigung bewahrte.
Es wurden im ganzen aus dem mittel- und rechten Seitenchorfen-
ster 3 Flügel herausgenommen und zwar mit Absicht, solche wel-
che besser erhalten schienen.
Am 22. Mai Nachmittags 3 Uhr fand sich eine Commission der
Kirchenverwaltung in der Kirche ein, um diese Flügel in Augen-
schein zu nehmen. Mit Erstaunen wurde da wahrgenommen, wie
wenig zuverlässig mehr sich die Verbleiung zeigte: überall klaff-
ten Lücken zwischen Metall und Glas, das ungleich starke Antik-
glas stand zuweilen über den Bleirand heraus, aufgelegte Not-
bleie verhinderten notdürftig das Herausfallen der Gläser,
zahlreiche Sprünge (auch Kreuzsprünge) sowie die ganz wacke-
lige Erscheinung der Glasfelder liessen die Überzeugung erste-
hen, dass wohl über die Notwendigkeit einer starken Neuverhlei-
ung kein Zweifel bestehen könne. Diese Flügel wurden wieder an
Ort und Stelle verbracht und nun mit der Besichtigung der 3
Chorfenster von der Innenseite aus begonnen. Mit Hilfe eines
Fahrstuhles konnte man bis zum Masswerk gelangen und die so
meisterhafte Pracht dieser Fenster in nächster Nähe bewundern.
Das Mittelchorfenster: vierteilig - 63 Flügel
Der ganzen Erscheinung nach möchte man dasselbe einer viel
früheren Zeitepoche zuteilen. Als Legendenfenster im reinsten
Teppichcharakter geschaffen, enthält es in beiden Mittellichten
Medaillons mit Scenen aus dem Leben und Leiden Christi, die
äusseren Lichten Propheten und das Ganze ist zusammengefasst
von einer Borte, welche eine lange Reihe von Buchstaben ziert,
d. i. eine Inschrift, welche nach Detzel Stellen aus der hl. Schrift
in Bezug auf die Geburt Christi enthält. Diese Schrift wurde
genau aufgenommen.
Die Reihenfolge der Medaillons ist, wie es scheint, von Kellner
mehr willkürlich gewählt und eingesetzt worden; eine genaue
Folge wäre wohl einzuhalten. Ebenso erscheint es fraglich, ob die
Propheten alle an ihrer ursprünglichen Stelle sitzen. Die ange-
bleiten Schriftbordüren (deren Inhalt infolge mangelhafter Orto-
graphie und Kürzungen nicht so leicht zu enträtseln ist und erst
genau geprüft werden muss) werden wohl den Schlüssel zur
Lösung dieser Frage geben können.
Im Sockel befindet sich ein Stifter, ihm gegenüber sein Wappen,
auf dem Grunde 2 silberne Beile; es ist dies dasjenige der Familie
Lösch.
Da die Malerei im Ganzen sehr gut erhalten, eine bedeutendere
Arbeit von Rekonstruktion nicht nötig und nur eine Gruppe
(Taufe Christi) neu zu gestalten ist, so dürfte sich die durch den
Glasmaler bei der Restaurierung bedingte Arbeit verhältnissmäs-
sig gering einschätzen lassen. Trotzdem dürfte mit der Neuanfer-
tigung von ca.: 100 bis 130 Stückchen gerechnet werden müssen.
An bedeutenderen Stücken sind vorgesehen die Köpfe von Yohel
(vielfach zersprungen) Christi (Grablegung), Ysaias, Sophonias,
Balaam (unterer Teil), Joseph (Geburt), Engel (engl. Gruss),
Donator, Jsaias, sowie die Gruppe der Taufe (1836 von Kellner
restauriert und erneuert). Die betreffenden Köpfe sind in 3-7
Stücken zerschlagen; bei geringerem Bruch ist eine Verbleiung
angenommen.
Das linke Chorfenster Marienfenster ca.: 60 Flügel
Das am besten erhaltene Fenster enthält über dem englischen
Gruss im Sockel in 3 grossen Medaillons Scenen aus dem Leben
Mariä. Wie beim Mittelfenster ist auch hier die Malerei in sehr
gutem Zustande.

Bei dem untersten Bilde ist allerdings die restaurierende Hand
Kellners stark zu bemerken, auf den ersten Blick weniger auffal-
lend, aber in der Nähe deutlich erkennbar. So sind der Kopf des
Engels, des Johannes darüber, fast das ganze gelbe Gewand des
Engels inclusive grünem Futter im untersten Flügel, von der
Maria blaue und rote Draperiestücke, von der Josefsfigur die
ganze untere Partie der Gewandung, wie viele Architekturstücke
zu erneuern, so dass im Ganzen auch hier immerhin ca.: 80 bis gc
Stücke ersetzt werden müssen.
An Fleischteilen ist äusser den beiden erwähnten Köpfen noch ein
Kopf bei der Himmelfahrt Christi, der aus sieben Scherben
besteht, zu ergänzen.
Das rechte Seitenfenster mit Mannaregen.
Dieses überrascht durch seine Schönheit, Tiefe und Reichtum der
Gedanken, steht aber in Farbenpracht und Stilistik hinter den
anderen speziell dem an Brillanz der Farbe geradezu unüber-
trefflichen Mittelfenster stark zurück. Dieses Fenster hatte aller-
dings unter der Verwitterung des Glases am stärksten zu leiden,
so dass ein starker Wettersteinbelag die Farben sehr verdunkelt.
Auch möchte es fast den Anschein haben, als sei einmal an der
Aussenseite eine absichtliche Abtönung erfolgt. Während die
obersten 6 Flügel in leuchtender Klarheit erscheinen, setzt dann
sofort nach unten zu eine starke matte Tönung ein. Dieses Fenster
bedarf der meisten Arbeit und Sorgfalt zu einer gediegenen
Wiederherstellung.
Im Sockel fällt das Mittelfeld mit dem Wappen Rothenburgs als
neu (von Kellner) mit der Inschrift: »Stephan Kellner Nürnberg
1836« sofort störend auf; daneben sind 2 Apostel, Philippus und
Jakobus, welche wohl einem der nun leeren Seitenchorfenster
zugehört haben mögen (mit dem einen gemalten Flügel in der
Sakristei.).
Wie diese Sockelfelder gestaltet werden sollen, darüber bedarf es
noch speziellen Beschlusses.
Bei der folgenden Gruppe, welche die herrliche, simbolische Dar-
stellung von der Erlösung Christi durch seinen Tod am Kreuze
zum Gedanken hat, fällt der linke Flügel in der zweiten Reihe als
neu in die Augen.
Bei der Darstellung des hl. Messopfers sind rechts bei der Gruppe
der Gläubigen grössere Stücke von Draperien erneuert.
Bei dem Bilde des Mannaregens ist der rechte Flügel mit 2 Juden
ebenfalls vollständig zu ergänzen; ferner sind in der rechten
Lichte, in der 3. & 6. Reihe von oben noch 2 Flügel Architektur
mit Engeln zu erneuern. Diese von Kellner ausgeführten Arbei-
ten stammen aus einer Zeit, in welcher man weder das Material
(Antikglas) noch die Farben und noch weniger die Maltechnik
der Alten kannte. Wenn die Flügel nicht störender wirken, so ist
dies nur der jetzigen Dunkelheit der ganzen Arbeit zuzuschrei-
ben und ob diese nicht absichtlich gemacht wurde, wie schon
erwähnt, wird sich ja bei der Restaurierung der Fenster im Atelier
herausstellen.
Äusser diesen neu herzustellenden Flügeln sind noch ca.: 80
Stücke zu erneuern, welche entweder ganz zerbrochen oder
falsch in Farbe eingesetzt wurden.
Nachdem nunmehr ein genaues Bild über den derzeitigen
Zustand der 3 Chorfenster gewonnen werden konnte, lassen sich
auch die Kosten für die notwendige Instandsetzung dieser Klei-
nodien mittelalterlichen Kunstfleisses mit ziemlicher Bestimmt-
heit festsetzen. Sollten sich Änderungen während der Arbeit an
unserem jetzigen Restaurierungsvorschlag ergeben, was ja kaum
 
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