LXII KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
entwicklungsgeschichtlich zu bewerten. Ein Blick auf die Übersicht am Ende des Bandes zeigt vielmehr, wie
sehr Umfang und Dichte der erhaltenen bzw. überlieferten Glasmalereibestände zeitlich und örtlich schwanken,
wie sehr die Lücken der Überlieferung die entwicklungsgeschichtlichen Aussagen einschränken. Angesichts der
Fülle ungelöster Probleme erscheint es daher ratsam, sich zunächst jenen Fragen zu widmen, die in Einzeluntersu-
chungen einer Klärung näher gebracht werden könnten.
Da die Erschließung der ehemaligen Standorte wie die Rekonstruktion des ikonographischen und kompositionellen
Zusammenhangs der erhaltenen Scheiben angesichts der zahlreichen auseinandergerissenen Bestände in diesem
Band vorrangig war, liegt es nahe, daß Fragen nach dem wechselseitigen Verhältnis von Fensterform und Vergla-
sungstyp, nach den Gesetzmäßigkeiten formaler, farbiger und inhaltlicher Gliederung und schließlich nach der
Rolle von Auftraggeber und ausführender Werkstatt in den Vordergrund rücken gegenüber Problemen der Farbspra-
che oder des graphologischen Stils.
Abgesehen von der um 1280 in Speyer geschaffenen Farbverglasung für St. Dionys in Esslingen, in der alle
damals geläufigen Rahmen- und Gliederungsformen — Kreis- und Paßmedaillons auf durchlaufendem Teppichgrund
für szenische Darstellungen sowie Langpässe und Architekturtabernakel für Standfigurenzyklen — nebeneinander
auftreten, herrschen in Baden und der Pfalz in hochgotischer Zeit architektonisch gegliederte mit stark vegetabilen
Ornamentfeldern verbundene Farbverglasungen auffällig vor. In der zweiten Hälfte des 13. Jh. dürfte dieser Eindruck
durch Verluste verfälscht sein, wie Farbverglasungen mit Medaillonzyklen im Elsaß (Straßburg, Dominikanerkirche
I und St. Thomas; Weißenburg, Stiftskirche; Schedeler-Zyklus auf Burg Kreuzenstein aus Rufach) und in Freiburg
(Münster, Dominikanerkirche) zeigen, für die erste Hälfte des 14. Jh. ist er hingegen vor allem für Konstanz
bestimmend. Die Architektonisierung der gesamten Ausstattung ist zweifellos ein besonderer Wesenszug der hochgo-
tischen Kunst, wird doch mit der Hereinnahme architektonischer Gliederungen in die Farbverglasungen das kathe-
dralgotische Prinzip der diaphanen Wandstruktur erst in seiner letzten Konsequenz verwirklicht. Wie aber kommt
es, daß gerade die Bettelorden, die in ihren Bauten auf den gliedernden und schmückenden Formenapparat der
Kathedralgotik fast völlig verzichten, diese Formenwelt, in bauhüttengerechter Form in die Fläche projiziert,
nicht nur mit ihren ornamentalen Farbverglasungen verbinden, sondern daß gerade sie es sind, die in letzter
Konsequenz die größten Fensterflächen mit Architekturaufrissen füllen, in denen das figürliche Bildprogramm
immer nebensächlicher wird? Bedingten die Abneigung gegen repräsentative theologische Bildprogramme zusam-
men mit den zunehmend steiler und schlanker werdenden Fensterformen die Bevorzugung der »Architekturfenster«
durch die Bettelorden? Wohl kaum, denn gleichzeitig müssen die Bettelorden am Oberrhein bei der Einführung
und Entwicklung der »Großmedaillonfenster« und anderer fensterbreiter Gliederungssysteme, mit denen vor allem
für die erzählenden Zyklen ein neuartiger Bildraum, und damit eine weit in die Spätgotik hineinwirkende neue
Dimension erschlossen worden war, eine führende Rolle gespielt haben, auch wenn die Zusammenhänge im einzelnen
noch der Klärung bedürfen. Für die Frage des »Architekturfensters « liefert das bereits um 1310 mit mehrgeschossigen
Tabernakelaufrissen ganz gefüllte riesige Westfenster der Konstanzer Dominikanerkirche (s. S. L) neue entwicklungs-
geschichtliche Anhaltspunkte. Schließlich stellt sich noch die Frage, inwieweit die reichen Zuwendungen der Bürger
und Patrizier erst die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß sich die Bettelorden, und hier vornehmlich
die Dominikaner, in hochgotischer Zeit Farbverglasungen leisten konnten, die häufig über das den Bischofs-,
Pfarr- und Stiftskirchen Mögliche hinausgingen.
Waren andererseits Architektur- und Ornamentformen zwischen Farbverglasungen von Pfarr-, Stifts- und Bischofs-
kirchen, Bettelordens- und Zisterzienserbauten in dieser Zeit frei verfügbar, wie dies in der Bauweise vielfach
zu beobachten ist, oder gab es Besonderheiten, die nur oder bevorzugt innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereiches
tradiert wurden? Eine systematische Untersuchung des Formengutes aller an Ober- und Hochrhein, in Schwaben
sowie im Gebiet zwischen Boden- und Zürichsee erhaltenen ornamentalen Verglasungen dürfte angesichts deren
Vielfalt und Fülle überraschende Aufschlüsse vermitteln und darüber hinaus vielleicht sogar zur Aufhellung der
Werkstattverhältnisse in hochgotischer Zeit beitragen. Spezifisch zisterziensische, dominikanische oder franziskani-
sche Glasmalerei-Werkstätten scheint es zumindest im Bereich der Konstanzer, Straßburger und Speyerer Diözese
nicht bzw. nicht mehr gegeben zu haben. Dies schließt nicht aus, daß man wie im Falle der Chorverglasungen
der Konstanzer Dominikanerkirche und der Heiligkreuztaler Zisterzienserinnenkirche mit städtischen Glasmalern
wird rechnen müssen, die vornehmlich für einen Orden tätig waren. Nicht zu unterschätzen sind außerdem in
entwicklungsgeschichtlich zu bewerten. Ein Blick auf die Übersicht am Ende des Bandes zeigt vielmehr, wie
sehr Umfang und Dichte der erhaltenen bzw. überlieferten Glasmalereibestände zeitlich und örtlich schwanken,
wie sehr die Lücken der Überlieferung die entwicklungsgeschichtlichen Aussagen einschränken. Angesichts der
Fülle ungelöster Probleme erscheint es daher ratsam, sich zunächst jenen Fragen zu widmen, die in Einzeluntersu-
chungen einer Klärung näher gebracht werden könnten.
Da die Erschließung der ehemaligen Standorte wie die Rekonstruktion des ikonographischen und kompositionellen
Zusammenhangs der erhaltenen Scheiben angesichts der zahlreichen auseinandergerissenen Bestände in diesem
Band vorrangig war, liegt es nahe, daß Fragen nach dem wechselseitigen Verhältnis von Fensterform und Vergla-
sungstyp, nach den Gesetzmäßigkeiten formaler, farbiger und inhaltlicher Gliederung und schließlich nach der
Rolle von Auftraggeber und ausführender Werkstatt in den Vordergrund rücken gegenüber Problemen der Farbspra-
che oder des graphologischen Stils.
Abgesehen von der um 1280 in Speyer geschaffenen Farbverglasung für St. Dionys in Esslingen, in der alle
damals geläufigen Rahmen- und Gliederungsformen — Kreis- und Paßmedaillons auf durchlaufendem Teppichgrund
für szenische Darstellungen sowie Langpässe und Architekturtabernakel für Standfigurenzyklen — nebeneinander
auftreten, herrschen in Baden und der Pfalz in hochgotischer Zeit architektonisch gegliederte mit stark vegetabilen
Ornamentfeldern verbundene Farbverglasungen auffällig vor. In der zweiten Hälfte des 13. Jh. dürfte dieser Eindruck
durch Verluste verfälscht sein, wie Farbverglasungen mit Medaillonzyklen im Elsaß (Straßburg, Dominikanerkirche
I und St. Thomas; Weißenburg, Stiftskirche; Schedeler-Zyklus auf Burg Kreuzenstein aus Rufach) und in Freiburg
(Münster, Dominikanerkirche) zeigen, für die erste Hälfte des 14. Jh. ist er hingegen vor allem für Konstanz
bestimmend. Die Architektonisierung der gesamten Ausstattung ist zweifellos ein besonderer Wesenszug der hochgo-
tischen Kunst, wird doch mit der Hereinnahme architektonischer Gliederungen in die Farbverglasungen das kathe-
dralgotische Prinzip der diaphanen Wandstruktur erst in seiner letzten Konsequenz verwirklicht. Wie aber kommt
es, daß gerade die Bettelorden, die in ihren Bauten auf den gliedernden und schmückenden Formenapparat der
Kathedralgotik fast völlig verzichten, diese Formenwelt, in bauhüttengerechter Form in die Fläche projiziert,
nicht nur mit ihren ornamentalen Farbverglasungen verbinden, sondern daß gerade sie es sind, die in letzter
Konsequenz die größten Fensterflächen mit Architekturaufrissen füllen, in denen das figürliche Bildprogramm
immer nebensächlicher wird? Bedingten die Abneigung gegen repräsentative theologische Bildprogramme zusam-
men mit den zunehmend steiler und schlanker werdenden Fensterformen die Bevorzugung der »Architekturfenster«
durch die Bettelorden? Wohl kaum, denn gleichzeitig müssen die Bettelorden am Oberrhein bei der Einführung
und Entwicklung der »Großmedaillonfenster« und anderer fensterbreiter Gliederungssysteme, mit denen vor allem
für die erzählenden Zyklen ein neuartiger Bildraum, und damit eine weit in die Spätgotik hineinwirkende neue
Dimension erschlossen worden war, eine führende Rolle gespielt haben, auch wenn die Zusammenhänge im einzelnen
noch der Klärung bedürfen. Für die Frage des »Architekturfensters « liefert das bereits um 1310 mit mehrgeschossigen
Tabernakelaufrissen ganz gefüllte riesige Westfenster der Konstanzer Dominikanerkirche (s. S. L) neue entwicklungs-
geschichtliche Anhaltspunkte. Schließlich stellt sich noch die Frage, inwieweit die reichen Zuwendungen der Bürger
und Patrizier erst die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß sich die Bettelorden, und hier vornehmlich
die Dominikaner, in hochgotischer Zeit Farbverglasungen leisten konnten, die häufig über das den Bischofs-,
Pfarr- und Stiftskirchen Mögliche hinausgingen.
Waren andererseits Architektur- und Ornamentformen zwischen Farbverglasungen von Pfarr-, Stifts- und Bischofs-
kirchen, Bettelordens- und Zisterzienserbauten in dieser Zeit frei verfügbar, wie dies in der Bauweise vielfach
zu beobachten ist, oder gab es Besonderheiten, die nur oder bevorzugt innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereiches
tradiert wurden? Eine systematische Untersuchung des Formengutes aller an Ober- und Hochrhein, in Schwaben
sowie im Gebiet zwischen Boden- und Zürichsee erhaltenen ornamentalen Verglasungen dürfte angesichts deren
Vielfalt und Fülle überraschende Aufschlüsse vermitteln und darüber hinaus vielleicht sogar zur Aufhellung der
Werkstattverhältnisse in hochgotischer Zeit beitragen. Spezifisch zisterziensische, dominikanische oder franziskani-
sche Glasmalerei-Werkstätten scheint es zumindest im Bereich der Konstanzer, Straßburger und Speyerer Diözese
nicht bzw. nicht mehr gegeben zu haben. Dies schließt nicht aus, daß man wie im Falle der Chorverglasungen
der Konstanzer Dominikanerkirche und der Heiligkreuztaler Zisterzienserinnenkirche mit städtischen Glasmalern
wird rechnen müssen, die vornehmlich für einen Orden tätig waren. Nicht zu unterschätzen sind außerdem in