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SEEHEIM • PFARRKIRCHE
er nicht nur den Bauformen nach älter zu sein, sondern
auch das in ihm erhaltene, um 1400 entstandene Wand-
gemälde einer Kreuzigung Christi lässt auf eine deutlich
frühere Errichtung schließen. Unabhängig davon ist für
das späte 15. Jahrhundert eine intensive Bau- und Aus-
stattungsphase festzustellen, zu der der Einbau von Maß-
werkfenstern im Chor (erhalten in s II; Fig. 403) ebenso
gehört hat wie die Anschaffung einer neuen Glocke im
Jahr 1483, die in Speyer gegossen wurde6. In den Jahren
1819/20 erhielt das Langhaus seine heutige Höhe und Ge-
stalt mit je vier Lanzettfenstern in den Längswänden; das
gotische Maßwerk wurde dabei aus allen Fenstern - auch
aus dem Ostfenster im Chor - entfernt. Die damals über
Fig. 403. Seeheim, Pfarrkirche. Grundriss mit Fensterschema.
Maßstab 1:300.
den Lanzettfenstern angebrachten Halbrundfenster wur-
den 1959/60 durch Rundfenster ersetzt, und im Westen
erhielt die Kirche einen vorhallenartigen Anbau.
Von mehreren im 19. Jahrhundert noch erhaltenen Glasmalereien (s. Anhang S. 435) ist lediglich ein Scheibenfragment
überliefert. Es war Teil einer Fensterstiftung, die nach Ausweis seiner verlorenen Inschrift von einem hans berckstres-
ser getätigt worden war. Dessen Name soll auch auf der Fußschwelle des 1503 vollendeten Westportals zu lesen ge-
wesen sein7. Offenbar handelte es sich um einen vermögenden Seeheimer Amtmann oder Bürger, der den Umbau der
Kirche »mit erheblichen Geldmitteln« unterstützt hatte8; er dürfte mit einer jener Personen mit dem Namen »Berg-
sträßer« identisch sein, die laut Rudolf Kunz in Seeheim von 1458 an in vier Generationen nachweisbar sind9. Die wei-
tere Geschichte der Verglasung ist nahezu unbekannt. Seit 1914 ist das erhaltene Scheibenfragment mehrmals versetzt
worden. In der Sakristei, wo es sich seit der Innenrenovierung des Jahres 1922 befunden haben dürfte, wurde es 1943
bei einem Fliegerangriff zum Teil zerstört. Danach lag es defekt auf dem Speicher (19 52)10 und wurde wohl erst 1959/60
restauriert und auf der Nordseite des Langhauses eingesetzt. Mit dem Einbau zeitgenössischer Farbfenster von Hans
Gottfried von Stockhausen (1967) wanderte es schließlich an seinen heutigen Standort, wo es 1985 von der Werkstatt
Münch, Groß-Umstadt, eine unbelüftete Außenschutzverglasung erhielt11. Vermutlich wurde ein Gewandstück des
Hl. Bischofs nach 1959/60 ausgetauscht.
Rekonstruktion: Wie anhand einer Aufnahme aus dem frühen 20. Jahrhundert zu belegen ist, war das heute in eine
farblose Butzenverglasung eingesetzte Fragment ehemals Teil einer Rechteckscheibe von ca. 50 cm Höhe und 40 cm
Breite12. Ob damit das ursprüngliche Scheibenmaß überliefert ist, ist unbekannt. Trotz Reste alter Farbgläser(?) - na-
mentlich im Randbereich - könnte die Scheibe 1914 bereits beschnitten gewesen sein; die diversen Umbauten deuten
darauf hin, dass mit einer derartigen Maßnahme zu rechnen ist. Der ursprüngliche Standort des Fragments ist daher
nicht sicher zu ermitteln. Am wahrscheinlichsten ist gleichwohl ein Standort im Chor (I oder s II), wo es zusammen
mit den zwei überlieferten Darstellungen des Hl. Laurentius und des Hl. Nikolaus zu einem partiell farbig verglasten
Standfigurenfenster gehört haben könnte. Das noch mittelalterliche zweibahnige, einschließlich der Kopfscheiben
vierzeilige Chorfenster süd II weist mit einer Breite von 42-43 cm je Bahn annähernd passende Maße auf (Fig. 403).
Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheibe wurde im Oktober 1991 fotografiert und in den Jahren 2004/05 in situ
untersucht.
6 Scholz, Darmstadt, 1999, S. Nr. 82.
7 Kunz 1960 (s. Bibi.), S. 42.
8 Scholz, Darmstadt, 1999, S. 110 (Nr. 167).
9 Kunz 1960 (s. Bibi.), S. 42h
10 Schreiben der Fa. Glatt, Friedberg, vom 4. Febr. 1952; Seeheim,
PfA, Abt. V, Nr. 60, Kirchengebäude.
11 Seeheim, PfA, Abt. 511, Kirchenrenovierung 1983-1986, Rech-
12 Kdm. Hessen, Kr. Bensheim, 1914, Abb. 256.
13 Vgl. die Halbfigur im Tympanon des romanischen Portals der Me-
morie im Mainzer Dom und die Skulptur am Sakristeiportal desselben
Baues; Kautzsch/Neeb 1919, Taf. 71 (Memorie), Taf. 66 (Sakristei).
14 Vogel (1978) (s. Bibi.), S. 13.
15 Höfler 2007, II, Abb. 158.
nun gen.
SEEHEIM • PFARRKIRCHE
er nicht nur den Bauformen nach älter zu sein, sondern
auch das in ihm erhaltene, um 1400 entstandene Wand-
gemälde einer Kreuzigung Christi lässt auf eine deutlich
frühere Errichtung schließen. Unabhängig davon ist für
das späte 15. Jahrhundert eine intensive Bau- und Aus-
stattungsphase festzustellen, zu der der Einbau von Maß-
werkfenstern im Chor (erhalten in s II; Fig. 403) ebenso
gehört hat wie die Anschaffung einer neuen Glocke im
Jahr 1483, die in Speyer gegossen wurde6. In den Jahren
1819/20 erhielt das Langhaus seine heutige Höhe und Ge-
stalt mit je vier Lanzettfenstern in den Längswänden; das
gotische Maßwerk wurde dabei aus allen Fenstern - auch
aus dem Ostfenster im Chor - entfernt. Die damals über
Fig. 403. Seeheim, Pfarrkirche. Grundriss mit Fensterschema.
Maßstab 1:300.
den Lanzettfenstern angebrachten Halbrundfenster wur-
den 1959/60 durch Rundfenster ersetzt, und im Westen
erhielt die Kirche einen vorhallenartigen Anbau.
Von mehreren im 19. Jahrhundert noch erhaltenen Glasmalereien (s. Anhang S. 435) ist lediglich ein Scheibenfragment
überliefert. Es war Teil einer Fensterstiftung, die nach Ausweis seiner verlorenen Inschrift von einem hans berckstres-
ser getätigt worden war. Dessen Name soll auch auf der Fußschwelle des 1503 vollendeten Westportals zu lesen ge-
wesen sein7. Offenbar handelte es sich um einen vermögenden Seeheimer Amtmann oder Bürger, der den Umbau der
Kirche »mit erheblichen Geldmitteln« unterstützt hatte8; er dürfte mit einer jener Personen mit dem Namen »Berg-
sträßer« identisch sein, die laut Rudolf Kunz in Seeheim von 1458 an in vier Generationen nachweisbar sind9. Die wei-
tere Geschichte der Verglasung ist nahezu unbekannt. Seit 1914 ist das erhaltene Scheibenfragment mehrmals versetzt
worden. In der Sakristei, wo es sich seit der Innenrenovierung des Jahres 1922 befunden haben dürfte, wurde es 1943
bei einem Fliegerangriff zum Teil zerstört. Danach lag es defekt auf dem Speicher (19 52)10 und wurde wohl erst 1959/60
restauriert und auf der Nordseite des Langhauses eingesetzt. Mit dem Einbau zeitgenössischer Farbfenster von Hans
Gottfried von Stockhausen (1967) wanderte es schließlich an seinen heutigen Standort, wo es 1985 von der Werkstatt
Münch, Groß-Umstadt, eine unbelüftete Außenschutzverglasung erhielt11. Vermutlich wurde ein Gewandstück des
Hl. Bischofs nach 1959/60 ausgetauscht.
Rekonstruktion: Wie anhand einer Aufnahme aus dem frühen 20. Jahrhundert zu belegen ist, war das heute in eine
farblose Butzenverglasung eingesetzte Fragment ehemals Teil einer Rechteckscheibe von ca. 50 cm Höhe und 40 cm
Breite12. Ob damit das ursprüngliche Scheibenmaß überliefert ist, ist unbekannt. Trotz Reste alter Farbgläser(?) - na-
mentlich im Randbereich - könnte die Scheibe 1914 bereits beschnitten gewesen sein; die diversen Umbauten deuten
darauf hin, dass mit einer derartigen Maßnahme zu rechnen ist. Der ursprüngliche Standort des Fragments ist daher
nicht sicher zu ermitteln. Am wahrscheinlichsten ist gleichwohl ein Standort im Chor (I oder s II), wo es zusammen
mit den zwei überlieferten Darstellungen des Hl. Laurentius und des Hl. Nikolaus zu einem partiell farbig verglasten
Standfigurenfenster gehört haben könnte. Das noch mittelalterliche zweibahnige, einschließlich der Kopfscheiben
vierzeilige Chorfenster süd II weist mit einer Breite von 42-43 cm je Bahn annähernd passende Maße auf (Fig. 403).
Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheibe wurde im Oktober 1991 fotografiert und in den Jahren 2004/05 in situ
untersucht.
6 Scholz, Darmstadt, 1999, S. Nr. 82.
7 Kunz 1960 (s. Bibi.), S. 42.
8 Scholz, Darmstadt, 1999, S. 110 (Nr. 167).
9 Kunz 1960 (s. Bibi.), S. 42h
10 Schreiben der Fa. Glatt, Friedberg, vom 4. Febr. 1952; Seeheim,
PfA, Abt. V, Nr. 60, Kirchengebäude.
11 Seeheim, PfA, Abt. 511, Kirchenrenovierung 1983-1986, Rech-
12 Kdm. Hessen, Kr. Bensheim, 1914, Abb. 256.
13 Vgl. die Halbfigur im Tympanon des romanischen Portals der Me-
morie im Mainzer Dom und die Skulptur am Sakristeiportal desselben
Baues; Kautzsch/Neeb 1919, Taf. 71 (Memorie), Taf. 66 (Sakristei).
14 Vogel (1978) (s. Bibi.), S. 13.
15 Höfler 2007, II, Abb. 158.
nun gen.