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Kosina, Elena; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen: ohne Lüneburg und die Heideklöster — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.52867#0096
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AMELUNGSBORN • EHEMALIGES ZISTERZIENSERKLOSTER

95

Saint-Quentin (um 1220/25) oder in der Kathedrale zu Soissons
(1. Viertel 13. Jahrhundert) ist die Szene der Maria überbrachten
Ankündigung ihres nahen Todes in vergleichbarer Weise dar-
gestellt worden93.
Technik, Stil: Ein wunderbares Zeugnis der künstlerischen
Handschrift des maßgeblichen Amelungsborner Glasmalers ist
der zum Glück erhaltene Kopf des Engels, zu dem ein - höchst-
wahrscheinlich von derselben Hand ausgeführtes - Pendant
des Verkündigungsengels aus Feld je in der Klosterbibliothek
in Amelungsborn (Fig. 48) aufbewahrt wird. Die an beiden
Seiten das fast runde jugendlich-weibliche Gesicht des Engels
umspielenden Korkenzieherlöckchen, die durch das hinterlegte
Silbergelb hervorgehoben werden, die mandelförmigen Augen
mit den feinen Doppellinien der Lider, der kleine lächelnd ge-
öffnete Mund und das zierlich gerundete Kinn - all diese phy-
siognomischen Details prägen den höfisch-femininen Gesichts-
typus der Amelungsborner Gestalten, der an den Pariser Stil
um 1300 denken lässt.
Charakteristisch ist die großzügige Verwendung von Silbergelb
in den originalen Gewandpartien.
CVMAE 09/128

3 ARCHITEKTURBEKRÖNUNG Fig. 58, Abb. 15
Ursprünglicher Standort ungeklärt.
H. ca. 56 cm, B. 39 cm.
Erhaltung: Etwa ein Drittel der Scherben ist original. Wenige
Ausbesserungen des 19. Jahrhunderts, drastische Reparaturen
Mühlenbeins wie in Lhs. nord IX, 2. Wesentlich schlechtere Er-
haltung der Schwarzlotmalerei als im erwähnten Feld.
Technik, Stil: Wie Lhs. nord IX, 3.
CVMA E 09/129
4 KOPFSCHEIBE Fig. 58, Abb. 15
H. ca. 38 cm, B. 39 cm.
Ursprünglich in Chor I, 17.
Erhaltung: Der Kleeblattbogen etwa zur Hälfte intakt, der äu-
ßere Hintergrund ist ein Pasticcio aus nicht zugehörigen alten
wie neuzeitlichen Scherben und farblosen Einflickungen Müh-
lenbeins. Der originale rote Hintergrund enthält sowohl stark
korrodierte Scherben als auch kaum angegriffene Gläser. Parti-
eller Schwarzlotverlust in der Ornamentrahmung.
Komposition: Wie Lhs. nord IX, 4.
CVMA E 09/129

ANHANG I: AB GEWANDERTE SCHERBEN UND FRAGMENTE

AMELUNGSBORN • KLOSTERBIBLIOTHEK
1. KOPF DES VERKÜNDIGUNGSENGELS
Fig. 21, 48, Abb. 19
H. 17 cm, B. 14 cm.
Ursprünglich in Chor I, je.
Erhaltung: Der Kopf mitsamt dem Nimbus und zwei darüber
sitzenden Sternen sowie zwei darunter eingefügten Blattfrag-
menten ist intakt und kaum korrodiert. Die Schwarzlotmalerei
ist sehr gut erhalten. Zusammen mit den erwähnten mittelal-
terlichen Scherben und einer Blattrosette des 19. Jahrhunderts
wurde der Engelskopf in einen Leuchtkasten von 37,5 x 30 cm
eingebaut.
Ikonographie: Das Fragment ist zweifelsfrei als der Kopf des
Erzengels Gabriel aus der Verkündigung an Maria (I, je) zu
identifizieren. Der historischen Aufnahme nach sind beide Sze-
nen der Verkündigung je und 13c bis auf wenige abweichende
Details - Schriftrolle und Taube des Hl. Geistes in je bzw. dem
Palmzweig in 13c - nach ein und derselben Vorlage ausgeführt
worden.
Technik, Stil: Wie beim Engelskopf in Lhs. nord III, 3.
CVMA EK/2009 D
2. HANDWASCHUNG DES PILATUS Fig. 59, Abb. 18
H. 28 cm, B. 28 cm.
Ursprünglich in Chor I, 9d.
Erhaltung: Der Kopf des Pilatus ist eine Neuschöpfung des 19.
Jahrhunderts. Zwei große unbemalte Fragmente im Gesicht des
Dieners sowie einige weitere kleine Ergänzungen sind auf die
letzte Restaurierung zurückzuführen. Der Rest ist original, ob-
schon die gesamte Komposition durch mehrere Sprünge und ei-
nige Notbleie ziemlich verunklärt ist. Die Schwarzlotmalerei ist
relativ stark abgewittert. Durchgehend Blei des 19. Jahrhunderts.
Ikonographie: Die Handwaschung des Pilatus folgt einem fest-
gelegten Bildtypus94. Ungewöhnlich ist allenfalls die Beschrän-
kung der Szene auf zwei Figuren: Pilatus und seinen Diener.

Technik, Stil: Trotz des relativ schlechten Zustands der Lotma-
lerei lässt sich die spröde, hölzerne Zeichnung der Hände, der
Wasserkanne sowie des Wasserstrahls nicht ohne Weiteres mit
der geschult eleganten Linienführung in der Darstellung des
Caspar (Lhs. nord I, 2) oder in der Verkündigung des Todes an
Maria (Lhs. nord III, 2) vergleichen. Ebenso verweist die recht
plumpe und unpräzise Ausführung aller erhaltenen Gewand-
fragmente - insbesondere der ungewöhnlich breite und steife,
mit großen Rhomben besetzte Kragensaum im Gewand des
Dieners - auf eine andere Handschrift als bei den erwähnten
Szenen.
Für die boshafte karikierte Fratze des Knechts ist wiederum
ein bräunliches Inkarnat wie bei den alttestamentlichen Patri-
archen verwendet worden, das hier zusammen mit dem Spitz-
hut als Kennzeichen des Juden zu verstehen ist95.
CVMA EK/2009 D


Fig. 59. ES
Klosterbibliothek Nr. 2
M 1:15

9° Aufschlussreich hierzu Elisabeth Roth, Der Volkreiche Kalvari-
enberg in Literatur und Bildkunst des Spätniittelalters (Philologische
Studien und Quellen 2), Berlin Ü967, S. 22, bes. S. 44-57.
91 Vgl. etwa die sog. Kaufmannsche Kreuzigung (um 1340/50; Staat-
liche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie) oder den Nieder-Wildunger
Altar von Conrad von Soest (1403; Bad Wildungen, Stadtkirche).
92 Vgl. Benz T979, S. 583.
9^ Zu Saint-Quentin s. CV France, Recensement I, 1978, S. 167; zu
Soissons ebenda, S. 171.
94 Vgl. LCI, III, 1971, Sp. 4j6f.
95 Vgl. den Schergen in der Darstellung des Lanzenstichs (Abb. 14).
 
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