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Kosina, Elena; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen: ohne Lüneburg und die Heideklöster — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52867#0106
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EHEMALS BRAUNSCHWEIG • DOM

ANHANG I: ABGEWANDERTE GLASMALEREIEN

BRAUNSCHWEIG • HERZOG ANTON ULRICH-MUSEUM (Nr. 1-3)

Fig. 63-65, 68-70, Abb. 37-41

Vorbemerkung zum Katalog: Alle drei Scheiben wurden 2007 im Museum in eingebautem Zustand untersucht; die
Rückseite blieb dabei unzugänglich.

1. HL. BISCHOF (BLASIUS?) Fig. 65, 68, Abb. 38, 40
Figurenfragment Inv. Nr. MA 237
H. 64,5 cm, B. 16,5 cm.
Erhaltung: Oberkörper der Gewandfigur im Kern original.
Eine Scherbe in der Mitra und zwei Fragmente der Dalmatik
unten links wurden bei der letzten bzw. vorletzten Restaurie-
rung ergänzt. Füße und rechte Hand verloren. Bemalung weit-
gehend intakt.
Ikonographie: Die durch ihr liturgisches Gewand gekennzeich-
nete Bischofsfigur kann im Hinblick auf ihre Provenienz und
die Ähnlichkeit mit dem Titelheiligen des Domes auf dem Wid-
mungsbild im Evangeliar Heinrichs des Löwen mit Vorbehalt
als die des Hl. Blasius identifiziert werden.
Der Hl. Blasius - ein legendärer Arzt und Bischof von Seba-
ste (Armenien), der in der Zeit des Kaisers Licinus um 316 den
Märtyrertod erlitten haben soll - gehört zu den Vierzehn Not-
helfern der Katholischen Kirche. Im Abendland verbreitete sich
seine Verehrung durch die Translation der Reliquien von Rom
nach Rheinau, dem Mutterkloster von St. Blasien im Schwarz-
wald (um 855). Frühe Darstellungen des Heiligen wie etwa ein
Mosaikfragment in der Unterkirche S. Clemente in Rom (um
1100) oder eine Wandmalerei in Berze-la-Ville (frühes 12. Jahr-
hundert) weisen - wie in Braunschweig - bis auf das Bischofs-
gewand und ein Buch keine erkennbaren individuellen Attri-
bute auf.
Komposition, Farbigkeit, Ornament: Die im Dreiviertelprofil
stehende Heiligenfigur mit der erhobenen Linken und fehlenden
Rechten war höchstwahrscheinlich auf ihr ursprüngliches Pen-
dant - den Hl. Aegidius - ausgerichtet. Die kräftigen, fast kon-
trastierenden Farbtöne - Grasgrün, Karminrot und Gelb - und
die für die Helmarshausener Buchmalerei charakteristische
Kombination eines mit parallelen, geschmeidigen Linien aus-
geführten Faltenwurfs mit flächig geometrischen Rautenorna-
menten als Gewandmusterung (Muster VII,5) zeichnen diese
streng komponierte Figur aus. Ein hellgelbes, mit griechischen
Kreuzen besetztes Pallium und ein mit großen, edelsteinähn-
lichen Ovalen geschmücktes Manipel haben fein ausradierte
(im Pallium allerdings stark abgewitterte) Kreuzschraffuren als
Hintergrund. Die Grundform der Zierborte bilden ebenfalls
große, umrandete Ovale.
CVMA B 1528
2. HL. BISCHOF (AEGIDIUS?) Fig. 64, 69, Abb. 37, 39
Figurenfragment Inv. Nr. MA 238
H. 63,5 cm, B. 18 cm.
Erhaltung: Die Figur ist fast vollständig original. Zwei seitliche
Partien der Dalmatik und ein Fragment unterhalb der Füße
wurden bei der Restaurierung 1877 ergänzt; die linke Hand ist
verloren. Schwarzlot- und Halbtonbemalung in gutem Zustand.
Ikonographie: Die Bischofsfigur ohne Kopfbedeckung und mit
dem Buch in der rechten Hand wird aus den oben genannten
Gründen als die des zweiten Braunschweiger Schutzpatrons
Aegidius gedeutet. Dieser Heilige - ursprünglich ein vorneh-


Fig. 68. ES Museum Nr. i.
M 1:15

Fig. 69. ES Museum Nr. 2.
M 1:15


mer Athener, der in der Camargue als Einsiedler lebte und dort
schließlich die Benediktinerabtei St-Gilles gründete - zählt
ebenfalls zu den Vierzehn Nothelfern. Als legendärer Fürbitter
Karls des Großen genoss er darüber hinaus eine besondere Ver-
ehrung beim Adel und galt als Beistand einer guten Beichte. In
der christlichen Kunst erhielt Aegidius zwar bis zum 15. Jahr-
hundert keine individuellen Attribute zugewiesen, doch gehö-
ren das Bischofsgewand, die Tonsur und das Buch (die Benedik-
tinerregel) zu den traditionellen Kennzeichen des Heiligen11.
Komposition, Farbigkeit, Ornament: Die wie ihr Pendant in
Dreiviertelprofil gezeigte Figur scheint durch das horizontal-
vertikal angelegte, mit Kreuzblüten belegte Raster der Dalma-
tik noch stärker der Fläche verbunden. Die untere Zierborte ist
im Unterschied zu der des Hl. Blasius abwechselnd mit recht-
eckigen und ovalen Schmuckmotiven besetzt. In der Farbigkeit
treten neben dem kräftigen gelb-grün-violetten Akkord Blau
und Rot nur in geringfügigen Akzenten hinzu.
CVMAB 1527
3. ORNAMENTBORTE Fig. 63, 70, Abb. 41
Inv. Nr. MA 239
H. 14,5 cm, B. 106,5 cm-
Erhaltung-, Im Kern weitgehend intakt, einige ergänzte Fehl-
stellen. Blei überwiegend alt. Die gestörte Farbfolge lässt die
Vermutung zu, dass die Borte aus zwei Fragmenten zusammen-
gesetzt wurde.
Komposition, Farbigkeit, Ornament: Fragment einer üppig
gemusterten Ornamentborte aus Palmettenbüscheln, die von
einer Folge ineinander verflochtener, mit Perlen besetzter
Halbkreise und einem Zickzackband hinterfangen bzw. über-
schnitten werden. Die Breite der Zierborte im Vergleich zur
Größe der Heiligenfiguren legt nahe, dass sie einstmals als
breiter, äußerer Rahmen des Standfigurenfensters gedient hat-
te. Eine ähnlich verflochtene Ornamentstruktur und die inten-
sive, abwechslungsreiche Farbigkeit findet sich auch auf dem
Schöpfungsbild im Evangeliar Heinrichs des Löwen (fol. 1721').
CVMAB 1529

Fig. 70.
ES Nr. 3.
M 1:15
 
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