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Kosina, Elena; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen: ohne Lüneburg und die Heideklöster — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.52867#0349
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348

EHEMALS NORDEN • DOMINIKANERKLOSTER

sonsten keine weiteren Körperteile von Löwen oder anderen Tieren zu erkennen sind, ist diesen Darstellungen
vermutlich eine eher dekorative Funktion beizumessen, wie etwa in Grotesken, die über das ganze Mittelalter
hinweg immer wieder ornamentale Bildbereiche belebten9.
Hingegen kann die ursprüngliche Bestimmung des einzigen, ca. 5,5 x 4 cm großen Fragmentes mit einem männ-
lichen Kopf nur schwerlich ermittelt werden (Fig. 353). Hervorzuheben ist, dass das Gesicht mit wild gelockten
Haaren und Nimbus auf ein Stück weißes Glas gezeichnet wurde. In Anbetracht der geringen Größe des Bruch-
stücks ist die Verwendung einer solchen Figur in einem Maßwerkfeld denkbar. Allerdings lassen die wenigen
nicht-ornamentalen Fragmente aus diesem Grabungsfund - etwa mutmaßliche Gewandteile und Buchdeckel - kei-
nen näheren Zusammenhang mit dem Kopffragment erkennen.
Farbige Glasfragmente sind vergleichsweise selten und zeigen meist Bruchstücke von Rosetten, die ursprünglich
einen Durchmesser von max. 5 cm hatten. Ferner haben sich bemalte und unbemalte Randstreifen und vereinzelt
Gewandfragmente erhalten. Eine einzige Scherbe trägt eindeutig Reste einer Inschrift, deren Inhalt allerdings
nicht mehr erschlossen werden kann.
Zusammenfassend handelt es sich bei dem beschriebenen Scherbenkonvolut um den Überrest einer etwa zeitgleich
entstandenen Grisailleverglasung, deren vornehmlich vegetabil gestaltete Bildfläche mit vereinzelten Farbak-
zenten - Rosetten, Kreisen, Bändern und kleineren Grotesken - aufgelockert gewesen sein dürfte. Die greifbaren
stilistischen Merkmale der Bruchstücke, die stilisierten Formen der Blätter und Ranken, die feinen Schraffuren des
Hintergrunds und vor allem die stark gewellten Locken und mandelförmigen Augen der wenigen Kopffragmente
sprechen für eine Datierung der Verglasung in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Darüber hinaus weisen der
Fundort und der Motivschatz der Scheiben auf ihre Herkunft aus dem Kreuzgang der Klosterkirche hin.
Von der oben dargelegten Gruppe lassen sich jedoch einige wenige Stücke deutlich abgrenzen10. Diese zeigen ein
dünneres Glas mit geringen Korrosionserscheinungen, einer Bemalung in halbtransparentem Braunlot, vereinzel-
ten Silbergelbspuren und insgesamt einer deutlich filigraneren Maltechnik. Zu dem Formenschatz dieser Scher-
bengruppe gehören neben Ranken- und Laubwerk auch Fragmente mit Architekturteilen sowie vermutlich Reste
von Gewändern und Flügeln. Als plausibler Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung dieser Gruppe kann das
mehrfach auftretende charakteristische Rankenmuster mit ausgesparten nierenförmigen Blüten dienen, das mit
großer Wahrscheinlichkeit nicht vor dem Ende des 14. Jahrhunderts anzusetzen ist11. Der spärliche Umfang dieser
Scherbengruppe und die lückenhafte Quellenlage verbieten indessen jeden weiteren Versuch einer Rekonstruktion
oder Lokalisierung.




Fig. 349—353- Fragmente von Tier- und Men-
schenköpfen aus dem Grabungsfund im ehe-
maligen Dominikanerkloster. 2. Hälfte des
14. Jahrhundert.
(Umzeichnungen von Ulf-Dietrich Korn).

Fig. 354. Hintergrundranke mit
nierenförmigen Blättern.
Ende 14. Jahrhundert.


Ein frühes Beispiel für derartige in eine Ornamentborte eingefloch-
tene Löwenköpfe findet sich bereits um 1200 in der ehemaligen Ver-
glasung der Klosterkirche zu Alpirsbach (Scholz 2001, S. 203E, Abb.
200; Farbabb. bei Balet 1912, Taf. II).
Bärenfänger 2007, S. 188.
11 Vgl. etwa CVMA Deutschland 1,2, 1986, Muster 1,29 (um 1395);
CVMA Deutschland XIII,i, 1987, Muster XIII,53 (um 1370);
CVMA Deutschland X,2, 2013, Muster X43 (um 1380/90).
 
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