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VIERTER ABSCHNITT

Die deutsche Kunst von Karl dem Großen
bis zum Ende des romanischen Stiles
1. Die Rezeption der Antike
(Karolingische Kunst; von der zweiten Hälfte
des 8. bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts)
Die karolingische imperiale Idee war tiefer gegründet als in einem
Drang nach Macht und Ordnung. Karls ungeheure Wirkung
beruht darauf, daß er weltgeschichtlich richtig sah, wenn er erkannte,
daß die immer neu sich bewährende Übermacht des Südens in der
Überlegenheit der alten und reifen Kultur über die Barbaren bestand.
Die Kirche war es, in der sich diese reife Kultur ihm repräsentierte.
An diese Kirche aber waren er und die Christen des Nordens nicht
durch Klugheit nur, sondern durch Überzeugung gebunden. Darum
ist es falsch, in der bewußten Einführung antiker Kultur in den
Norden durch Karl nur eine kühne staatspolitische Tat zu sehen.
Karls Reich war ein christliches Reich. Die Kirche war innerer Halt,
Stütze und Macht seines Staates, und zugleich war ihr Schutz und
ihre Förderung seine vornehmste Aufgabe. Das Leben der Kirche
war untrennbar verbunden mit dem Leben der Kunst: die Kunst —
den Franken fremd und staunenerregend —- war Zeugnis der Macht
und Würde der Kirche. Pflege der Kunst mußte so staatlich bewirkt
und gefördert, vom Kaiser befohlen und vorbildlich durchgeführt
werden. Daß diese eingeführte und staatlich gepflegte Kunst dem
Volk zunächst fremd war und blieb, ist selbstverständlich. Gerade
das war ihre Bedeutung in mannigfacher Hinsicht; nur die durch
Fremdartigkeit unfaßliche und erstaunende Kunst gab Kaiser und
Kirche einen über alle irdische Wirklichkeit leuchtenden Glanz, nur
die rücksichtslose Fremdheit konnte die dem Norden zunächst völlig
fremden Inhalte des Christentums zur Erscheinung bringen, nur die
fremde Kunst enthielt jene Kraft, die über das Schmuckhafte hinaus
Gestalten bilden konnte.
Solche Fremdheit dem deutschen Wesen gegenüber offenbart sich
in der karolingischen Kunst noch unserem Blick. Die karolingische
Kunst ist mehr rezipierte Antike als anschauliche Weltdeutung
unserer Vorfahren. Weil die karolingische Kunst nicht einmal
 
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