DRITTER ABSCH NITT
Die Einheit der christlichen Kunst des
Mittelalters und die besonderen Probleme
der deutschen Entwicklung
Da, wie wir sahen, das Mittelalter (wenigstens bis ins 13. Jh.)
universal ist, so ist die Christenheit Träger der Kultur. Daß die
Scheidung in Nationen innerhalb des Abendlandes geschlossene Kul-
turgebiete bewirkt, ist späteren Datums. Bis zu einem gewissen
Grade wäre es darum richtiger, von der „mittelalterlichen Kunst in
Deutschland“ oder besser noch „auf deutschem Boden“ zu reden als
von der „deutschen mittelalterlichen Kunst“. Denn um es noch ein-
mal zu betonen: das Abendland ist im Mittelalter Kultureinheit, die
begründet ist auf dem Christentum. Die deutsche Kunst des Mittel-
alters ist nur eine besondere Spielart der mittelalterlichen christlichen
Kunst (eben darum können die allgemeinsten Gesichtspunkte nur
unter Zwang am Teilgebiet gefunden werden).
Trotzdem ist es — nicht nur innerhalb einer Gesamtgeschichte
der deutschen Kunst — berechtigt, die deutsche Kunst des Mittel-
alters besonders zu behandeln; erstens weil die eigentümlichen
Kräfte der schon früh sich bildenden deutschen Nation sie ge-
prägt haben, dann weil durch die anderen politischen, ethnischen
und landschaftlichen Verhältnisse, besonders die andere Sprache,
die östliche Kunst des Abendlandes, die deutsche, einen anderen
Charakter gewinnen mußte als die westliche, die französische;
schließlich — und das ist das wichtigste — weil die künstlerische
(und politische und gesellschaftliche) Entwicklung in Deutsch-
land anders verlief als in Frankreich und das trotz der kultu-
rellen Einheit des Abendlandes und sogar trotz des zu fast allen
Zeiten regsten geistigen und künstlerischen Austausches zwischen
West und Ost.
In Frankreich, das als römisches Kolonialland und durch Blut und
Sprache als romanisches Land natürlicherer Erbe der Antike ist als
Deutschland, war die Wirkung der karolingischen Renaissance
geringer; es entging dadurch und weil es nicht Träger der Kaiseridee
war, der ungeheuren Verpflichtung einer jahrhundertelangen Aus-
einandersetzung mit dem fremden Erbe. So sank die französische
Die Einheit der christlichen Kunst des
Mittelalters und die besonderen Probleme
der deutschen Entwicklung
Da, wie wir sahen, das Mittelalter (wenigstens bis ins 13. Jh.)
universal ist, so ist die Christenheit Träger der Kultur. Daß die
Scheidung in Nationen innerhalb des Abendlandes geschlossene Kul-
turgebiete bewirkt, ist späteren Datums. Bis zu einem gewissen
Grade wäre es darum richtiger, von der „mittelalterlichen Kunst in
Deutschland“ oder besser noch „auf deutschem Boden“ zu reden als
von der „deutschen mittelalterlichen Kunst“. Denn um es noch ein-
mal zu betonen: das Abendland ist im Mittelalter Kultureinheit, die
begründet ist auf dem Christentum. Die deutsche Kunst des Mittel-
alters ist nur eine besondere Spielart der mittelalterlichen christlichen
Kunst (eben darum können die allgemeinsten Gesichtspunkte nur
unter Zwang am Teilgebiet gefunden werden).
Trotzdem ist es — nicht nur innerhalb einer Gesamtgeschichte
der deutschen Kunst — berechtigt, die deutsche Kunst des Mittel-
alters besonders zu behandeln; erstens weil die eigentümlichen
Kräfte der schon früh sich bildenden deutschen Nation sie ge-
prägt haben, dann weil durch die anderen politischen, ethnischen
und landschaftlichen Verhältnisse, besonders die andere Sprache,
die östliche Kunst des Abendlandes, die deutsche, einen anderen
Charakter gewinnen mußte als die westliche, die französische;
schließlich — und das ist das wichtigste — weil die künstlerische
(und politische und gesellschaftliche) Entwicklung in Deutsch-
land anders verlief als in Frankreich und das trotz der kultu-
rellen Einheit des Abendlandes und sogar trotz des zu fast allen
Zeiten regsten geistigen und künstlerischen Austausches zwischen
West und Ost.
In Frankreich, das als römisches Kolonialland und durch Blut und
Sprache als romanisches Land natürlicherer Erbe der Antike ist als
Deutschland, war die Wirkung der karolingischen Renaissance
geringer; es entging dadurch und weil es nicht Träger der Kaiseridee
war, der ungeheuren Verpflichtung einer jahrhundertelangen Aus-
einandersetzung mit dem fremden Erbe. So sank die französische