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1. Die Rezeption der Antike

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Wiederaufleben (Renaissance) der auf nördlichem Boden erwachsenen
Antike, der nördlichen Provinzialkunst ist, sondern Übernahme des
völlig Fremden als Erbe, gerade darum ist sie historisch unschätzbar
wichtig, aber als eigene schöpferische Leistung minderwertig. Es
sind bezeichnenderweise gerade die echtesten Werke der karolin-
gischen Hof- und Staatskunst, die historisch am wichtigsten sind,
künstlerisch aber nicht. Denn niemals ist Übernahme und Nach-
ahmung des Fremden ohne freie Übertragung in das eigene Idiom
wertvoll und überzeugend.
Wenn die karolingische Kunst als Rezeption und Imitation der
Antike anzusehen ist, so ist damit zugleich das andere Element
dieser Kunst genannt, das eigene nördliche, das fränkisch germa-
nische. Es ist uns zwar überliefert, daß Karl und noch lange hin seine
Nachfolger fremde italienische oder griechische Meister kommen
ließen. Wir wissen aber, daß die bestimmenden und leitenden
Künstler Franken waren, wie Odo von Metz, der Erbauer der
Aachener Pfalzkapelle, des vornehmsten Bauwerkes der Zeit. Wie
gut diese fränkischen Künstler auch die vorbildlichen Werke im
Süden kannten, wie sehr sie sie auch bewundern mochten —- ebenso
wie Karl, von dem wir es namentlich wissen — und wie sehr sie
gleich ihm sich mühen mochten, die bestaunten Zeugnisse der glän-
zenden und verehrten, überlegenen und durch die Kirche geheiligten
Kunst getreu nachzuahmen: sie blieben die Germanen, die eine
fremde, nur halb verständliche Sprache nachstammelten. Ob sie
wollten oder nicht: indem sie die fremde Kunst nachahmten, ver-
darben sie diese und bildeten sie um. Künstlerische Schwäche und
künstlerische Stärke der karolingischen und noch der späteren Kunst
sind in dieser Tatsache gleichermaßen beschlossen; künstlerische
Schwäche: denn alle karolingische Kunst ist von der Antike aus
gesehen barbarische Kopie; künstlerische Stärke: denn eben diese
beginnende Barbarisierung ist Offenbarung der eigentümlichen nor-
dischen Schöpferkraft.
Dreifach als minderwertig gezeichnet stehen die Werke der begin-
nenden deutschen Kunst vor unseren Augen (denn solche Qualitäts-
losigkeit ist sichtbar in den erhaltenen Werken): die karolingische
Kunst ist fremd, künstlich und im tiefsten Sinne unvolkstümlich,
sie ist Imitation, und sie ist stillos, insofern alle Werke zerbrochen
sind durch das harte Gegeneinander von gewollter Antike und dieser
gegenüber zuletzt verständnislosem Germanentum. Solcher Mangel
an künstlerischem Eigenwert ist die Kehrseite der unvergleichlichen
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