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1. Die Rezeption der Antike

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Durch diese Aufgaben war man jedoch den antiken Formen als
zwingenden Vorbildern verpflichtet. Denn den Steinbau konnte
man nur im Süden und durch Übernahme antiker Formen lernen,
und die bedeutende figürliche Darstellung war nur in der antiken
Formung den Germanen bekannt und zugänglich, sie war nur durch
Nachahmung möglich. Außerdem waren es ja gerade die Formen,
die man wollte. Sie waren geheimnisvoll, aber dies Geheimnis
enthielt die Überlegenheit der südlichen Kultur, und dies Geheim-
nis war vielleicht nichts anderes als der anschauliche Sinn für das
Organische, das Maßvolle und das Schöne: die Form. In der Tat
scheint es der antike Gedanke des Maßes, der Begrenzung, der
Ordnung gewesen zu sein, der von der karolingischen Kultur
zuerst erfaßt wurde. Immer haben ja die formlosen Deutschen
eine tiefe Achtung vor der reichen, klaren Form gehabt und immer
versucht, die Sehnsucht nach ihr im Süden zu befriedigen. Der
Mangel an Maß hatte den primitiven Ornamenten des Nordens
ihre reiche Eigenart verliehen, obwohl sie aus einfachsten Ele-
menten zusammengesetzt waren. Das Schicksal der Deutschen,
immer nur in Sehnsucht nach der warmen Klarheit des Südens und
in Nachahmung der antiken oder der romanischen Kunst zur
Form zu gelangen: in der karolingischen Kunst ist es schon offen-
bar, fruchtbar und gefährlich.
War so durch die karolingische Rezeption der Antike das Orga-
nische und die Form vorbildlich den Deutschen vor Augen gestellt,
so war auch durch die Verbindung der beiden neuen Aufgaben, des
Steinbauesund der Darstellung, mit der heimischen, phantasiereichen
Schmucktradition das Ziel der neuen Kunst so gesteckt, wie es schließ-
lich erreicht wurde: Monumentalität und bedeutende Dekoration.
Den Römern war an den landbauenden Germanen immer der
Mangel an festen Dauerwohnsitzen und an großen Wehrbauten
aufgefallen. Kultbauten hatten die alten Germanen gar nicht; die
Holzarchitektur genügte für den Wohnbau. Die jahrhundertelange
Herrschaft der Römer am Rhein hatte daran nichts Wesentliches
geändert. Wenn Karl nun ausdrücklich den Steinbau befahl und selbst
voranging im Erstellen großer steinerner Gebäude, so war das die
steinerne Begründung der weltlichen und kirchlichen neuen Macht.
Aber nicht allein Material und Technik waren im Norden neu, sondern
die Bauaufgaben selber: Kirchen, Klöster, Pfalzen. Die Übernahme
des antiken Erbes verpflichtete zu diesen Aufgaben und die Antike
selbst half, sie zu erfüllen. An sich forderten diese Aufgaben keines-
 
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