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Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0427
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Zehntes Kapitel.

Die kreuzgewölbte Basilika Westeuropas

Wenn die römische Baukunst und nachmals wieder die Renais-
sance ihr Formgefühl am meisten durch das Tonnengewölbe be-
friedigt fand, wenn die Byzantiner die beherrschende Rolle der
Kuppel zuwiesen: so übt auf die Entwicklung des abendländischen
Kirchenbaus im Mittelalter das Kreuzgewölbe alles in allem die
grösste Macht aus, ja es wird hier erst offenbar, was alles mit dieser
Form sich ausrichten lässt. Im Mittelalter verhalten sich Tonnen-
und Kuppelgewölbe zum Kreuzgewölbe gleichsam wie heterodoxe
und häretische Sekten zur Einen rechtgläubigen Kirche. Ihre Ge-
schichte, wie wir sie in den vorigen Kapiteln kennen gelernt haben,
führt deshalb unweigerlich immer zu demselben Endergebnis: dem
Unterliegen unter das Kreuzgewölbe. Der allgemeinste Grund für
die Uebermacht des letzteren ist offenbar der, dass es sich dem
basilikalen Gestaltungsprinzip struktiv am vollkommensten anpasst. Die
Vorherrschaft der Basilika zieht die Vorherrschaft des Kreuzgewölbes
unmittelbar nach sich. Denn was immer der besondere Schönheits-
wert des tonnengewölbten Hauptschiffs sein mochte, er konnte nicht
standhalten vor den zwei grossen Tugenden des Kreuzgewölbes, in-
sonderheit des Kreuzrippengewölbes, welche diese sind. Erstens ge-
stattet es, dank der Unterbrechung der Kämpferlinie durch die Schild-
bögen, die Fenster höher zu führen, als irgend ein anderes System,
bis nahe an den Gewölbescheitel selbst; es ist somit das einzige
System, das einem der wesentlichsten unter den Charakteren der Ba-
silika, dem hoch einfallenden Seitenlicht, volle Entfaltung gewährt.
 
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