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Demmin, August
Handbuch der bildenden & gewerblichen Künste: geschichtliche, archäologische, biographische, chronologische, monogrammatische und technische Encyclopaedie der Baukunst, Bilderkunde, Bildhauerei, Buchbinderei, Buchdruckerei, Buchmalerei ... (Band 1): Encyclopädie der Schriften-, Bilder und Wappenkunde, Trachten, Geräthkunst, Gefässkunde, der bürgerlichen und kirchlichen Baukunst, Kriegsbaukunst und Schiffsbaukunst: mit über 1000 Abbildungen — Leipzig, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.23810#0258
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250 Zweiter Theil. Allgemeines. Die bürgerliche und kirchliche Baukunst.

Schäften, und der nicht blos selbstständigen, sondern nach welt-
licher Herrschaft ringenden Priesterschaft, als klarster Ausdruck
der Kunst des Einzelnen, der freiwillig nur dem Ganzen sich fügt,
als Triumph des Geistes über den Stoff. — Die Werke der Re-
naissance bezeugen das Ueberwiegen der Einzelwillkür in Zer-
splitterung der bisherigen, durch freiwillige Einigung so mächtigen,
Gesammtheit, und die daraus folgende Unterwerfung des minder
kräftig als willkürlich schaltenden Einzelnen unter Herkommen und
Mode, denn als solche zeigt sich die zur Maitresse herabgewürdigte
Kunst der absoluten Monarchie, die, je nach dem Charakter des
Herrschers, bald wie unter Ludwig XIV. ceremoniös und coquett,
bald wie unter Ludwig XV. launenhaft, verweichlicht, weibisch er-
scheint; dann, wie unter dem ersten Kaiserreich, der plumpe Pomp
des in die aus dem Jahrtausende alten Grab aufgesuchte Toga
sich hüllenden Emporkömmlings, der seinem eisernen Willen die
vor Kurzem erst befreite Nation und selbst das Ideale unterwirft.

So prägt sich in den Werken der Baukunst der Geist des
Volkslebens aus; für den Forscher aber geben diese Werke,
zusammengehalten mit denen der Gefässkunst und mit den Waffen,
die sichersten Anhaltspunkte, ja oft die einzigen, so lange nicht
das wissenschaftliche Forschen der Liebhaberei erliegt, die aus
einem vom Rost zum unförmlichen Klumpen verwandelten Metall-
stück, aus öden Steinhaufen wunderbare Aufklärungen schöpfen zu
können glaubt, und, wie dies in Wiesbaden und Homburg geschehen
ist, blosse Grundmauern, deren genaue Ausmessung und Aufzeich-
nung völlig genügt haben würden, um die Maasse und Eintheilung
der Räume in bürgerlichen und kriegerischen Bauten von vermuth-
lich römischem Ursprung dem Studium unterzulegen, vielmehr als
Hemmniss für die Vergrösserung und Verschönerung der Stadt mit
Aufwendung grosser Summen erhalten will, während man wichtige,
höchst interessante und noch rettbare Bauten des Mittelalters und
der Renaissance in Trümmer sinken lässt, die dem Archäologen
Stoff zu Forschungen, dem Künstler Vorbilder, den Gewerken An-
leitung, dem Publicum Rettung aus dem Sumpf bieten würden, in
welchen sein Geschmack durch die kasernenhaften Schablonen-
bauten der letzten Jahrzehnte versunken ist, die alles Schönheits-
gefühl fast erstickt haben, welches nur dadurch wieder gehoben
werden könnte, wenn zwischen dem Qualm der Dampfwagen und
Fabrikschornsteine hie und da der poetische Duft wahrer Kunst
ihm zum Einathmen geboten würde.

Die ersten Regungen baulicher Thätigkeit galten der Her-
stellung- eines Obdachs. Ein solches erstrebte der Mensch zuerst
für sich und seine Familie, dann für seine Hausthiere und Ernten,
sowie er aus einem Nomaden und Jäger zum Hirten, Ackerbauer
und damit zum Züchter geworden war. Er schritt von der Höhle
und Erdgrube zur Lehmhütte, von der Zweighütte und dem Fell-
zelt zur Strohhütte und zum Holzhaus, von diesem zum Steinbau
vor; schon früh begann er die Hütte zu schmücken, bis er endlich
das Steinhaus zum prunkvollen Schloss ausgestaltete. Auch die

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