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DER EXPRESSIONISMUS

symbolhaft hochgetragen durch die ausdrucksstarken Formen des Gesamten.
Expressionismus, Ausdruck eines weitesten, innerseelischen Gefühles ist
hier in solcher Stärke wahr geworden, daß wohl kein seelisch noch Empfäng-
licher sich diesem gewaltigen Erlebnis sperren kann. —
So scheint der Weg bereitet. Der wahre, zukunftsfrohe Weg expressio-
nistischer Gestaltung. Es ist ein schwerer, steiler Weg. Denn was er fordert,
fordert er vorerst vom Menschen, dann vom Maler. Es ist nicht mehr
an dem, daß nun ein Maler werde, wer ein reich empfängliches Auge und
eine sicher folgende Hand besitzt. Sondern die rein menschliche Be-
deutung gibt nun den Ausschlag. Denn nicht mehr leitet jeder Blick in
die ,,Natur“ den Maler und führt ihn sichere und reich bestellte Wege.
Sondern die innerseelische Begabung zu großen Gesichten, zu Ideen der
Gestaltung wird nun erfordert. Zwar wird sie zum Fluch für jene Jungen,
die da glauben, daß nun Natur-Gestaltung überhaupt zu überspringen sei;
die wähnen, daß sie jene Stetigkeit der Entwicklung mißachten können,
die da fordert, daß durch die Natur hindurchgegangen sein muß,
wer über sie hinaus will. Denn nur, wer weiß und sich durch jahrelange
Arbeit als sichersten Besitz errungen hat, wie die Natur die Formen vor-
geformt hat, der kann sie dann erst zwingend im Sinne des Gefühles
überformen, um-gestalten, anders bauen. So bleibt Natur, die Mutter und
die Amme unser Aller, der Ausgangspunkt. Doch wer erwachsen ist, der
muß sich für den kommenden Stil ihrer wiederum entwöhnen. Und was er
dann als Gegen-Gabe wesentlich besitzen muß, ist eben jener Reichtum
innerer Gesichte, jene ,,Phantasie“, die auch sachlich über das hinaus führt,
was Naturgegebenes uns zum Erleben bietet. Denn er muß dann vom Inhalt
aus empfangen, was Bild-Gebäude werden soll. Und diesen Inhalt muß er
aus-gestalten, nicht mehr in Einem Wurf gebären. In tausendfacher Arbeit
muß er sich mühen, die Form zu finden und zu treffen, die jenem Inhalt
Ausdruck gibt. Gemäßen Ausdruck, wie bei Hodler, von jener Kraft und
inneren Gewalt, daß er uns seine Bahnen, seine Wege zwingt, ob wir nun
vorerst wollen oder nicht. Wie Grünewald, wie Michelangelo schufen, aus
Hunderten von Skizzen-Stufen sich ihre Leiter bauend — in den Bereich
der Phantasie naturferner Gestaltung.
 
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