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Wolfgang Deutsch

dem Schriftgelehrten unmittelbar vor Herodes (auf Nr. 7). Einige Figuren, so die beiden
sitzenden Marien (Nr. 6 und 8), haben eine geradezu archaische Starre. Der ungeschickten
Bewegung der Figuren entspricht eine formelhafte Körper- und Gesichtsbildung — ohne
erkennbaren, der Situation angemessenen seelischen Ausdruck — und ein immer gleichartig
wiederkehrendes Faltenschema.
Mit Hilfe dieser Merkmale lassen sich die sechs Reliefs leicht aneinander anschließen.
Folgende Einzelvergleiche mögen die Zuschreibung bekräftigen:
Die Kopftypen der drei reitenden Könige (Nr. 5) wiederholen sich auf der Anbetung
(Nr. 6); ebenso sehen wir die zickzackartigen Falten in gleicher Form an den Ärmeln der
Reiter und des mittleren Königs der Anbetung.
Auf dem Relief der Flucht nach Ägypten (Nr. 8) wiederholt sich die Maria der An-
betung in der fast frontalen, starren Haltung und im Faltenschema ziemlich getreu. (Auf
die Veränderung des Kopfes vom Klotzig-Runden zum Spitzeren werden wir noch zurück-
kommen.) Auch der Esel unterscheidet sich trotz der längeren Ohren kaum von den Pfer-
den im Zug der Könige.
Stellung und Faltenmotiv des Joseph auf der Flucht kehren an den Schriftgelehrten vor
Herodes (Nr. 7) wieder. Man beachte die langen Faltenröhren zwischen den Knien!
Auch am Kindermord (Nr. 9) sehen wir dieses Faltenschema bei Herodes. Dessen Kopf-
typ kennen wir ebenfalls schon, z. B. vom vorderen der reitenden Könige oder vom mitt-
leren der anbetenden.
Ebenso geläufig sind uns inzwischen die Kopftypen der Taufe (Nr. 10).
Abb. 17 Die vier unteren Reliefs der Tür (Nr. 1—4) sind nach Reiners (S. 365) „anschei-
(Heft 81) nend“ von demselben Schnitzer wie die sechs oberen. Das ist sicher nicht richtig.
Zwar besteht zwischen beiden Gruppen eine enge Verwandtschaft (innerhalb einer
Werkstatt nichts Erstaunliches), die Formensprache jedoch ist deutlich verschieden.
Hier war ein zweiter Schnitzer am Werk.
Die Verwandtschaft zwischen beiden Gruppen erkennt man besonders deutlich beim Ver-
gleich der beiden Josephsfiguren der Flucht (Nr. 8) und der Darstellung im Tempel (Nr. 4):
Figurentyp, Haltung, sogar die Gewanddrapierung gleichen sich. Um so aufschlußreicher
sind die Unterschiede: die Bewegung der Figur ist hier, auf der Darstellung, viel gelöster,
organischer; die Gewandfalten sind weicher und feiner, sie haben nicht die schematische
Starrheit wie auf dem andern Relief; dementsprechend ist auch der Stock des Joseph nicht
mehr bloß ein steifer Bolzen; das Gesicht ist mit mehr Sorgfalt ausgeführt, es hat eine sehr
zarte Zeichnung und eine stille, zurückhaltende Beseelung.
Und so wie der Joseph sind alle Figuren dieser vier Reliefs organischer, gelöster, freier
und beseelter als die unbeholfenen Geschöpfe des anderen Schnitzers. Gesichter und Ge-
bärden strömen die gleiche zarte Stille aus, und zwar in allen vier Szenen. Nur der be-
schwingte Verkündigungsengel steht dazu in einem gewissen Widerspruch; aber wir wissen
ja (vgl. Heft 81, S. 119 f.), er hat ein fremdes Vorbild. Um wieviel lockerer und reicher, vor
allem auch abwechslungsreicher, sind die Gewandfalten des zweiten Meisters! Auch wo er
sich wiederholt, wie etwa am Umhang des Hohenpriesters der Darstellung bzw. des Joseph
der Geburt oder am Mantel Mariens auf Geburt und Heimsuchung, bleibt er sich doch nie
formelhaft gleich.
Im Vergleich zum ersten Meister ist die Qualität hier merkbar höher. Absolut gesehen,
bleibt sie freilich in bescheidenem Rahmen.
Auch durch Einzelvergleiche lassen die vier Reliefs sich leicht zusammenschließen, am
einfachsten wohl mit Hilfe der Kopfform und der Falten. Allein die barhäuptige Maria
kehrt ja dreimal mit fast übereinstimmendem Antlitz wieder.
Der rechte Türflügel. Der erste Schnitzer hat auch die Hälfte der Reliefs am rech-
ten Türflügel ausgeführt, und zwar die Gefangennahme (Nr. 15), Christus am
Kreuz (Nr. 16), die Himmelfahrt (Nr. 18), das Pfingstfest (Nr. 19) und den Marien-
tod (Nr. 20), mit Ausnahme der Grablegung also wieder den oberen Großteil des
Flügels.
 
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