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Wolfgang Deutsch

Struktur, durch ein geringes Vorziehen des Kinns, ein Zurückdrücken der Stirn, eine
Verdickung der Nasenspitze, etwas für diese eine Figur Charakteristisches aus-
gedrückt, etwas, das sie porträtähnlich macht. Wie schon durch den bloßen Knick
in der Stirnlinie der Schädel eine bildnisartige Einmaligkeit bekommt! 493 Alle
Apostel sind derbe, aber charaktervolle Gestalten, wie sie der Meister ähnlich unter
seinen Zeitgenossen gefunden haben mag.
Auch an Maria erkennen wir, mit welch knappen Mitteln ein zutreffender Aus-
druck erreicht wird. Wie unaufdringlich und doch so eindeutig spricht der Tod aus
dem Antlitz! Es sind aber lediglich die Augen einen Spalt geöffnet, die Lippen haben
sich voneinander gelöst, und die Wangen sind leicht eingefallen.
Die Schaffhauser Mohrenfigur zeigt die Eigenschaften des Bildhauers in unverän-
derter Weise. Der Mohr hat den gleichen ruhigen, träumerischen Blick wie die Apo-
stel, und sein Antlitz ist in der gleichen, oben beschriebenen Weise modelliert. Die
Augen quellen ein wenig nach vorn, wie beispielsweise bei dem dritten Apostel von
rechts in der hinteren Reihe, und der Mund ist leicht asymmetrisch gebildet wie bei
den meisten Riedheimer Figuren. Natürlich ist das Gesicht, als Mohrengesicht, im
ganzen nicht zum Vergleich geeignet; um so besser sind es dafür die Hände. Alle
Zweifel müssen beim Vergleich der Hände schwinden, denn die Formen sind hier
an beiden Werken nahezu identisch. Man vergleiche beispielsweise die vors Gesicht
gelegte Linke des Apostels vorne links mit den Händen des Mohren (besonders die
auf den Schild gestützte Rechte läßt sich am Original bequem betrachten!): Die brei-
ten, knapp aber sicher geformten Finger haben stets flache Kuppen und verhältnis-
mäßig kurze, klar umrissene Nägel, die an beiden Werken völlig übereinstimmend
proportioniert sind. Die ausgestreckten Teile der Finger sind hier wie dort durch
charakteristische kleine Querfältchen gegliedert. Über den Handrücken laufen
wenige, aber deutlich hervortretende Adern gleichartiger Prägung.
Den Gepflogenheiten der Renaissance entsprechend, sind die Gewandfalten jetzt,
beim Mohren, auf wenige, überwiegend parallele, längs- und querlaufende Wülste be-
schränkt. Selbst dieses Faltensystem war im Keime schon an der Riedheimer Gruppe
angelegt, am deutlichsten bei der Maria: Vgl. die Längsfalten an ihrem Kopftuch,
die Querfalten an den Ärmeln. Kennzeichnend für den Faltenstil beider Werke sind
Faltendellen mit kleinen Ausbuchtungen an den Stellen, wo zwei annähernd gleich-
laufende Falten Zusammenstößen (siehe Original!).
In der Körperlichkeit läßt zumal der lesende Apostel rechts schon am frühen Werk
die Renaissance vorausahnen: klar drückt sich der wuchtig gebaute Körper durchs
Gewand. Es ist leicht einzusehen, daß es hier nur eines geringen Anstoßes durch
Schaffhauser Renaissancebildhauer (wie Jörg Dies oder den Meister der Putten-
konsolen von St. Johann) bedurfte, um eine Figur wie den Mohrenkönig entstehen
zu lassen. Vielleicht war nicht einmal dies nötig — wir werden es gleich sehen.

493 Bendel spricht die Figur vermutungsweise als Selbstbildnis des Schnitzers an. Das
bleibt zwar unbeweisbar, doch ist der Modellcharakter besonders dieser Figur deut-
lich. Vor allem auch die kurzen, eine Glatze umsäumenden Haare tragen dazu bei.
Mit Ausnahme der Haare sind allerdings die übrigen Köpfe grundsätzlich in der
gleichen Weise lebensnah gebildet.
 
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