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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 3.1898/​1899

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Nr. 11/12 (10. April 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55187#0260
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Deutsche Nun st.

Der Einband der k'Okkce 4s la Lemaine Lainre, Paris 1758, mit dem
Wappen der Prinzessin Adelaide, Tochter Ludwig's XV., als Wittelstück
ist charakteristisch für die reiche Pracht des Rokoko, dessen süßlicher, weicher
Ucppigkeit auch das Ucdergewicht gewebter, licht gefärbter Stoffe, wie Atlas,
Sammet und Seide, vor dem Leder entsprach. Wit ihnen wurden Lucheinbände
geradezu gepolstert. Den gediegenen und ernsten Charakter des Leders suchte
man nicht nur durch übertriebene Goldpressung umzustimmen, sondern man
crtödtete ihn ganz, indem man ihm eine Helle, seinem Wesen nicht mehr ent-
sprechende Färbung verlieh. Die beliebteste Lederfärbung war das süßliche,
von Pierre Portier aufgebrachte psr cbemin verl nui88ant, ein versuch,
das lichte Frühlingsgrün jungen Laubes wiedcrzugebcn.
viel Anklang sand die stit 1750 wlode gewordene Goldpressung a I'oi86au,
ein Rankengewind mit sitzenden und fliegenden Vögeln. Schon im 17. Jahr-
hundert hatte sich nebenbei der Zeitgeschmack wieder wetalleinbänlen zugewandt,
namentlich in Süodeutschland liebte man es, das
ganze Luch, Holzdeckel und Rücken, mit getriebe-
nem Silberblech zu bekleiden. Einzig in ihrer
Art sind die damals entstandenen in Eisen ge-
schnittenen Arbeiten von Gottfried Lexgebe
(F 1685 zu Berlin). Der abgebildete Silber-
einband aus der Sammlung hiersemaiin ist
eine getriebene Arbeit des 17. Jahrhunderts.
Die Rose in der Witte der b.iden Deckel ist von
nahezu natürlicher Größe. Auch der 55 mm
breite Rücken besteht aus getriebenem Silber und
ist durch Scharniere mit den Deckeln verbunden.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das
jene Sitte aufnahm und namentlich bei Aus-
schmückung von Gebetbüchern weiterpflegte, zeich-
neten sich die Augsburger Cdelschmiede in der
mctallenenen Ausschmückung von Bucheinbänden
aus. Der von uns abgebildete zweite Silbereinband
ist eine französische Arbeit. Das Schild in der
Witte des vorderen Deckels stel t die Anbetung
der heiligen drei Könige dar; das Gegenstück
auf den, rückseitigen Deckel wariä Verkündigung.
Durchbrochene Rokokoranken umrahmen die Wittel-
stücke. Betende Engel und Genien mit Llumen-
gewinden und Palmzweigen knien und sitzen in
dem Rankenwcrk zur Seite von zwei Engels-
köpfen. Auf dem vorderen Schilde sind drei
kleine Stempel sichtbar. Der erste, ein gekröntes
I< bedeutet die französischen Iahresbuchstaben für
Silber 1755—1754, der zweite ist der des Päch-
ters der Silberstcuer Hubert Louvet, der die
Pacht als Gcneralpächtcr von 1752 — 1758 inne
hatte, und der dritte endlich ist das Zeichen
des Unterpächters in der Provinz.
Zn Rorddeutschland verwendete man den wetalischmuck sparsamer und
beschränkte ihn auf die Schließen und Beschläge der Ecken und Ränder.
Unter der allgemeinen Ernüchterung, die nach dem leichtfertigen Sinnestaumel
des Rokokos folgte und an Stelle des graziösen Schwungs eine steife Gerad-
heit setzte, verlor auch der Bucheinband seine Pracht und Gediegenheit. Das
Ledcr wurde in Papier imitir, und der Deckel mit eingcpreßten Rosetten,
Vasen, Urnen, Altären und sonstigen antikisirenden Gegenständen, die meistens
nicht am Platze waren, geschmückt. Rur in England machte sich dec verfall

nicht so stark bemerkbar; dorr crhie.t sich eine national binUinA, die wenigstens
die Vorzüge guten waterials und solider Arbeit aufwics. In England erlebte
dec Bucheinband bald einen neuen Aufschwung. Seine Regeneration ist
allerdings deutschen Weistern wie Stegmaver, Laumga rten, L en edi ct,
Kalthöven, Walter, den Vorläufern von Roger und Thomas
pa^'ne, und sein Weltruf Joseph Zaehnsdorf zuzufchreiben, der unter-
stützt von feincm Mitarbeiter wänller, einem Rheinländer, ebenso wie
andere deutsche Buchbinder in Rom und Florenz im Auslande eine weit
erfolgreichere Thätigkeit entwickelte, als sie im Vaterlande möglich gewesen
wäre. In Frankreich trat eine Hebung der Buchbinderei unter der Regierung
Louis Philipp's durch Thouvenin's reformatorische Bestrebungen ein,
die Simicrs, Frantz und Bauzonnet mit künstlerischen und technischen
Erfolgen fortsetzten. Am Bucheinband ist der verfall des knnsthandwerks
im 19. Jahrhundert mit am teutlichsten zu merken. Der Sinn für angewandte
Kunst war eingeschlafen und zeigte kein ver-
langen mehr, Gegenstände, die man täglich im
eigenen Haufe benutzte, durch ihr Aeußercs der
bloßen Zweckdienlichkeit enthoben zu sehen auf die
höhe des ästhetischen Genießens. wo einmal
schüchtern solch ein Loslösen eines Gegenstandes
von, Satze vom Grunde stattfand, geschah es
auch in der Buchbinderei mit dec Aufnahme der
Traditionen dec Renaissance. Zaehnsdorf lehnte
sich an sie an, ebenso der wiener Fr a nzwunder,
der den Lederschnitt und die Ledermosaikarbcit
wieder einführte; die Franzosen machten An-
leihen bei Grotier. So zehrte man von einer
alten Erbschaft, deren Güte man nicht einmal
immer richtig zu verwenden verstand. Cft wur-
den namentlich in Deutschland alte Stempel in
geradezu gedankenloser weise zu widersinnigen
wnstcrkombinationcn mißb.aucht. Wit der neuen,
erfreulichen Renaissance des kunstgewcrbes ist seit
dreißig Jahren auch eine Regeneration des Buch-
schmuckes eingetrctcn. Auch auf diesem Gebiete
zeigen sich bereits die erfreulichen keime eines
verheißungsvollen Vor 8NLvum. Der moderne
Kaliko- und Halbleinenband, der papierne Um-
schlag broschirter Bücher bürgen in einzelnen
Leistungen schon für eine zeitgemäße Buch-
kunst. Bedeutende künstlerische Kräfte haben
sich ihr zugewandt und werden von Verlagsan-
stalten für sie gewonnen. Die vorwiegende Ver-
wendung neuen waterials läßt keine strenge
Anlehnung an die mustcrgiltigen Vorbilder der
Vergangenheit zu und zwingt zu neuen eigen-
crugcn Stilformen; wenn sich so das junge,
zeitgemäße Buchgewerbe seine Eigenart bewahrt,
darf es doch hingcwiesen werden auf die Arbeiten früherer Zeit, namentlich
dec Renaissance, weil sie es lehren, wie man fremde Errungenschaften und
aus zeitlicher und räumlicher Ferne überlieferte Formen mit heimischen und
zeitgemäßen Eigentümlichkeiten verschmelzen kann zu einem eigenartigen,
nationalen Stil, wenn er das höchste Ziel moderner Bestrebungen bleibt,
dann schaffen sich die verschiedenen Völker wieder in ihren Büchern ewig
lebendige Kunstdenkmäler, in denen ihre Anschauungen noch lebendig sein
werden, wenn es auch die Sprache nicht mehr ftin sollte.
Hans Marshall.


Löwenapotheke, Freiburg i. V.

Alt-Freiburg.

ie Lestrebungen der Gegenwart, Lau- und Nunstdenkmäler
der Vergangenheit als kulturgeschichtliche Zeugnisse, als
werthvolle Vermächtnisse der Vorfahren und nationalen
Schatz der Nachwelt zu bewahren, haben eine umfang-
reiche, einschlägige Literatur der Denkmalspflege gezeitigt, die es
sich zur Aufgabe gemacht hat, die Aufmerksamkeit auf jene
kirchlichen und profanen Lauten, Lildwerke und Nlalereien zu
lenken und ihre geschichtliche und künstlerische Ledeutung hervor-
zuheben. Schon ist in allen Gauen Deutschlands eine erstaunliche
lftenge von bekannten sowohl als auch bisher wenig beachteten


Gebilden, in denen der Geist längst entschwundener Zeit noch
immer dem Andrange veränderter Anschauungen trotzt, regiftrirt
und beschrieben und damit eine ergiebige (Duelle der Lelehrung
und Anregung erschlossen worden. Solche Veröffentlichungen
sind geeignet, neben der Pietät vor gehaltvollen und schönen
Arbeiten der Vergangenheit mit dem Hinweis auf deren naftonale
Eigenart auch in uns den Nationalitätssinn wieder soweit zu
stärken und festigen, das; er in der heutigen Nunst als einer echt
deutschen wieder kräftig und schön in Erschcinnng tritt. Städte
wie Nürnberg, Augsburg und Straßburg enthalten einen
 
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