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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Niebergall, Friedrich: Wiedergeburt: zu den Pfingsten 1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0231

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die aufgehende Sonne zuerst die Spitzen der Berge vergoldet, so
^-^macht sich die Umwandlung zuerst in den Idealen geltend. Verbreitrn
sich diese auch von einzelnen Gestalten aus langsam in die Masse, soweit
sie nicht stumpf und widerwillig bleibt, so brechen doch neue Ideale in
solchen Gestalten aus jenen Tiefen empor, wo das Geschehen und das
Sollen in geheimnisvoller Notwendigkeit verbunden sind. Sie lösen ein°
ander ab. wie sie immer der scheinbare Zufall des Geschehens und der
innerlich begründete Wechsel zwischen den Extremen heraufführt. So hat
es den Anschein, als wenn sich im furchtbaren Geschehen des Krieges
ein neues Lebensgefühl und ein neuer Lebensinhalt als Ideal durchsetzen
wollte. Wenn so vieles schwankt oder dahinfällt, was bisher die Lebens-
lust ersehnt oder auch schon die Blasiertheit halb zur Seite geschoben hatte,
so gewinnt anderes seinen Wert, was auf alle FLlle der Vernichtung trotzt:
was uns nur von lieben Menschen bleibt, mag auch noch so viel an ihnen
wunderlich oder verkehrt sein, steigt im Preis; und was nur von Großem
und Gutem und Schönem und Heiligem von dem Menschengeist aus der
Höhe oder aus der Tiefe empfangen wurde, glänzt wieder einmal auf,
wenn geringere Sterne verlöschen. Was wir nur mit Seelentiefe und
Innerlichkeit zu bezeichnen versuchen, bewährt sich nun wieder als echt
und unvergänglich, wenn der furchtbare Krieg uns unsre bisher besten
Besitztümer raubt und damit Lücken in unsre Seele schlägt, die ausgefüllt
werden müssen, sollen wir nicht verzweifeln oder schlecht werden. Denn
vor diesen beiden Seelenzuständen schützt am besten ein Gut, das wirklich
etwas wert ist; wie manche bitter und hart werden, weil sie nichts haben,
woran ihnen liegt, so fallen andre aus reiner Langeweile der Leere von
Klatsch und Sinnenlust anheim. Zwar schafft solches der Krieg selber
nicht, wie Geschehen überhaupt und zumal zerstörendes niemals schafft;
aber er macht eine Bresche für das, was aus der Tiefe hervordrängt, wo
die Quelle alles Guten herausquillen läßt, was durch das Geschehen in
der Welt notwendig wurde. Von da setzt sich auch langsam eine Wandlung
unsres Lebensgefühls wenigstens in unserm Ideale durch. Wieder unter
dem Zwang der Lußern Notwendigkeit, wie sie der Krieg über uns brachte,
gilt heute der Sinn für das Ganze und sür die andern mehr denn vordem.
Zwar hatte es sich schon lang vor dem Krieg geltend gemacht, daß es nicht
mehr das Höchste sei, kraft persönlicher Freiheit über den Menschen und
den Dingen zu stehn; aber der Krieg hat auch diese Entwicklung beschleu-
nigt, die im Rückschlag gegen die Kultur der Persönlichkeit den Sinn
der Verantwortlichkeit für das Ganze schärfte. Unter dem Druck der
Not und dem Zwang der verschiedenen „Karten" setzt sich dieses Gesühl
langsam als Auswirkung des Geistes durch, der, wie es gerade die Zeiten
mit sich bringen, bald die Kräfte, welche die Persönlichkeit, bald wieder
die, welche die Gemeinschaft zu erhalten vermögen, aus seiner Fülle dar-
reicht. Bleibt nur die persönliche Freiheit des innersten Lebens der Seele in
ihrem Verhältnis zu allem Guten und Heiligen gewahrt, so wird sich diese
Wandlung in dem Ideal als dauernder Erwerb dieser Kriegszeit erhalten.

Manchmal begegnet man auch schon einzelnen, die von dem neuen Geiste
berührt worden sind. Manches Antlitz ist unter Tod und Not ernster
 
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