Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1918)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Ist Mehrheit Unsinn?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jst MehrheiL Llnsinn?

ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Rnsinn, Verstand ist stets bei
» Hwenigen nur gewesen . . . Der Staat innß untergehn, früh oder spät,
, 'wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet." Man würde Mühe

haben, auch nur zwei Dutzend „Zitate" zusammenzubringen, die sich so pracht-
voll im politischen Kampfe verwenden lassen. Eine unheimliche Macht, etwas
wie ein Abglanz von der alten magischen Zaubergewalt des Wortes steckt in
diesem. Es frißt sich ein in ein Denken, das nicht über starke Gegenkräfte ver-
fügt, es schmeichelt dem Sclbstgefühl, es überredet, es beruft sich auf tausend
Erfahrungcn, es überzeugt und ist doch nicht Weisheit, sondern Halbwahrheit.

Die ganze Wahrheit konnte weder Fürst Sapieha gebrauchen, der den pol-
nischen Reichstag nicht akademisch belehren, sondern die eigne Entrüstung wir-
kungvoll begründen wollte, noch Schiller, da er keine Abhandlung, sondern
ein Drama schrieb. Die ganze Wahrheit ist vermutlich hier wie in tausend ähn-
lichen Fällen nur annähernd und jedenfalls nur durch langwieriges Auflösen
der Begriffe in Tcilbegriffe und der Sätze in Teilsätze zu finden. Versuchen
wir, wenigstens einige Richtlinien zu ziehen!

Da Schiller keine Sinnlosigkeiten zu schreiben pflegte, muß es einen „Ver-
stand" geben, der stets nur bei Wenigen war. A.nd es gibt ihn: jene Bcgabung,
verwickelte Dinge denkend in ihre Bestandteile aufzulösen, sie auch wieder
sachgerecht „zusammenzudenken" und über das Bewußtsein von der Sachforde-
rung das Gemüt nicht blindlings Herr werden zu lassen. Das ist der „Ver-
stand der Verständigen", der — zuweilen nicht sieht, was ein „kindlich Gemüt"
„in Einfalt" findet. Er bleibt leicht im „Auflösen" stecken und vergißt darüber
das „Zusammendenken". Kommt er aber noch dazu, so lähmt er leicht den
Entschluß; er muß tausendmal hören, er sei „kalt", das Herz allein sei „warm",
der Wille entscheidend; und von den tausend Malen mag dies Arteil über
den Verstand wohl in neunhundert Fällen zutreffen. Ein so durch Sprich-
und Schlagwörter umgrenzter Begriff von „Verstand" paßt zwar in keine
wissenschaftliche Untersuchung, wohl aber in Sapiehas Reichstagrede.

Und wer sind nun die „Wenigen", die Verstand haben? Etwa die Vertreter
unserer Minderheiten? Im Reichstag in Berlin wäre dann der „Un-
sinn" bei zwei Dritteln der Abgeordneten, her „Verstand" bei einem Drittel.
Wer wollte dicsen Satz verteidigen? In der Reichstag-Minderheit, z. B. in

Ianuarheft (XXXI, 7)

G
 
Annotationen