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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1918)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Ist Mehrheit Unsinn?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0017

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der konservativen Partei, gibt es wieder eine Minderheit, welche in wichtigen
Fragen anders denkt als die Herren von Hehdebrand, von Westarp nnd von
Graefe. Bei diesen wäre demnach sehr viel Verstand, weil sie soznsagen doppelt
in der Minderheit sind, nnd etwas Ansinn, da sie in einigen Punkten nrit der
absoluten Mehrheit nbereinstimmen, während bei der Mehrheit der Minderheit
Verstand und Ansinn einträchtig beieinander wohnen müßten. Die Reichstags-
minderheir ist aber zugleich die Landtagsmehrheit — wer der preußisch-konser-
vativen Partei beiträte, würde sich also zngleich für Unsinn und für Verstand
entscheiden. Und die jetzige Reichstagsmehrheit hat überdies ihre geistige Struktur
erst während des Krieges bekommen. Dieselben Männer, die ihr jetzt ange-
hören, haben vor dem August sM den obligaten Minderheitverstand gehabt!
Schluß: Ernst kann man nicht machen mit Sapiehas glühheißem Leidenschaft-
wort, sonst wird er zur Spielerei. Wenn irgendeine Minderheit mit Sapiehas
Wort heute auf den Auhängerfang geht, so ist sie einigermaßen verdächtig
dessen, was man Demagogie zu nennen Pflegt.

Es steht aber der Reichstagsmehrheit noch eine andre Gruppe von „Wenigen"
gegenüber: die Fachleute. Haben diese nun den „Verstand" in Erbpacht? Zu
ihnen gehören etwa die Träger diplomatischer Ämter. Man setzt sich heute in
Dentschland unter Amständen Beschimpfungen aus, wenn man der Diplomatie
Verstand zuspricht — gerade unsre Minderheit, die doch mit Sapiehas Wort
so viel Verstand beansprucht, pflegt diese „Wenigen", die das Deutsche Reich
nach außen vertreten, in Grnnd und Boden zu verurteilen. Also: Wir sind
schon wieder anf ungangbarem Wege. — Zu den fachlich gebildeten „Wenigen"
gehört aber auch etwa der Eisenbahnminister mit seinen Geheimräten. Hier
endlich haben wir einen lehrreichen, nicht nur Lächeln erregenden Fall. Soweit
es sich nämlich um das rein Fachliche handelt, gesteht jedermann Herrn von
Breitenbach überragenden „Verstand" zu; niemand glaubt, daß das „kindliche
Gemüt" bessere Kursbücher oder bessere Wageneinteilungen in geschwinder Ein-
falt fertig brächte. Die Mehrheit Pflegt in solche Dinge auch uicht mit
Machtsprüchen hineinzufahren, sie bekundet da immerhin den „Verstand", die
eigne Einsichtgrenze einigermaßen zu gewahren. Wenn aber der Eisenbahn-
minister den Angestellten das Vereinrecht versagt, schwenkt plötzlich die Mehr-
heit von ihm ab. And es wird immerhin einige Leute auch von anerkanntem
Verstande geben, welche das erlaubt finden, da man offenbar cin vortrefflicher
Eisenbahnfachmann sein und doch zu wenig Sinn für gewisse Rechte und für
das persönliche Wohlergehen irgendwelcher Arbeitermengen haben kann. Noch
viel ausgeprägter ist dieser Fall gegeben beim Generalstab. Nicht nur die
Mehrheit, sondern fast die Gesamtheit gesteht Hindenburg und Ludendorff die
unbeschränkte Autorität iu allem Militärisch-Fachlichen zu. Gegen das Politi -
sieren der Generäle, die er „die Halbgötter" nannte, ist aber schon ein Bismarck
scharf aufgetreten, einer der „Wenigen", denen auch Sapieha einigen „Verstand"
kaum abgesprochen hätte.

Der Verstand, der wirklich immer nur bei Wenigen war, ist der Fach-
verstand, das gründliche, alles umfassende Verständnis für cine verwickelte
Sonderangelegenheit. Der Ansinn der Mehrheit beginnt mit Sicherheit da,
wo sie, ohne solchen Verstand zu befragen, in die Fachangelegenheiten hinein-
beschließt. In Fachfragen soll man allerdings die Stimmen „wägen und nicht
zählen". And allgemein gilt es, die Grenze abzustecken zwischen dem Herrsch-
bereich des „Verstandes" und dem der — ja wessen eigentlich? Wie es scheint:-
der Politik!

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