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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 7 (1. Januarheft 1918)
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Böhm, Hans: An das Schicksal
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0032

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Aber locke nun mich weitcr,

Anö ich bin ein froher Streiter,
Deinem Lvinke still geweiht.
Fahr« fort, mit hellen tzänöen
LNir öas Leben zu vollenöen
Bis znr hohen Abenözeit.

l?ans Böhm

Bom tzeute fürs Morgen

Neujahr

ir haben den Blick lange genug nach
rückwärts gerichtet. Naturwissen-
schaftler und Historiker haben nns die
Wege aufzuhellen gesucht, auf denen
wir bis dahin gelangt sind, wo wir
jetzt stehen. So denken manche Men-
schen bei dem Wechsel der Iahre mehr
an das vergangene als an das be-
ginnende. Sie feiern Silvester, aber
nicht ebenso ernsthaft Neujahr. Kanm
bemerkbar hat sich jedoch im Laufe
des letzten Iahrzehnts ein Stim-
mungswechsel vollzogen. Das Inter-
esse an dem Woher? ließ nach. Wir
sagten uns, daß wir, woher immer
wir gekommen sein möchten, sind, was
wir sind. Wir sind genau die näm-
lichen Menschen, ob wir vom Himmel
heruntergefallen sind oder uns aus
der Lrde aufgerichtet haben. Es ist ja
allmählich eine Wahrheit geworden, die
jedem einleuchtete, daß die Herkunft
einer Sache nichts beiträgt zu ihrem
Werte und ihm nichts abbricht. Also
weshalb so viel nach rückwärts schauen?
Dagegen haben sich die Fragen er-
hoben nach dem Wohin? unsres Wegs.
Es sind kaum Anzeichen dafür vor-
handen, daß wir uns körperlich noch
wesentlich höher entwickeln dürften.
Fechner hat zwar gemeint, der Mensch
vertrage es schwer, daß sich das Heer
der Vögel stolz über ihn erhebe. Aber
wenn uns auch keine Leibesfittiche zu°
wachsen, daran glauben wir, daß unser
Geist noch lange nicht an das End-
ziel seiner Bildung und Ausbildung
gelangt sei. Wer etwas davon ahnt
oder in sich selbst zu spüren meint,

schweigt lieber davon, aber wir leben
alle in Erwartung und Hoffnung von
unsagbaren Dingen. Doch wer wollte
jetzt nur an sich selber denken oder an
das zukünftige Schicksal der Einzel-
seele! Ein neues Iahr ist wie ein
Fenster, durch das wir hinausschauen
möchten in die Zukunft der Völker
und der Menschheit. Die letzten Iahre
haben sich blutig eingeschrieben und
die Frage nach Krieg und Frieden
wird unerledigt auch in das neue Iahr
hinübergetragen. Wir wollen nicht das
Heil von äußeren Veränderungen er-
warten, so notwendig sie auch sein
mögen, sondern von der inneren Er--
tüchtigung, die uns aus den Kriegs-
erfahrungen zuwachsen muß, uns allen,
Verbündeten, Alliierten und Neutra-
len, wenn die Menschheit ein Stück
weiter kommen soll. Das ist auch der
aufrichtige Wunsch, der über alle
Grenzpfähle und Schützengräben sei-
nen Weg findet und an seinem Teil
etwas mitwirkt zur Herstellung jener
Atmosphäre der Versöhnlichkeit, ohne
die wir keinen wahren und dauern-
den Frieden gewinnen können, daß
wir alle als bessere Menschen ans
dem Krieg herausgehen möchten, als
wir in ihn hineingegangen sind. Was
die Kriegsflut auch noch alles weg-
schwemmen mag, sie muß doch zugleich
auch reinigen. And so stehe denn über
dem neuen Iahr, gleichviel ob es noch
Kriegsjahr oder schon Friedensjahr
sein wird, der Wunsch nach Läute-
rung für alle.

Ehristian Geher
 
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