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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 2.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.15340#0002
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2

Zur Hebung der Historienmalerei in Deutschland.

Von R. F.

Nächst der nie erlöschenden Bedeutsamkeit dieser Frage ist zur Behandlung
derselben ein besonderer Beweggrund vorhanden. Ich möchte nämlich einem
früheren Leitartikel dieser Blätter^), welchem ich in den meisten Stücken
aus voller Neberzeugung beistimme, eine ergänzende Ausführung folgen
lassen, um diesen hochwichtigen Gegenstand in sein volles, rechtes Licht zu
stellen. Denn die „historische", die Historienmalerei ist eine der glänzend-
sten Blüthen der menschlichen Kultur, da sich in ihr das Ideelle am voll-
endetsten ausspricht und zum Idealen steigert. Die würdigsten Helden der
Idee sind zugleich auch die würdigsten Helden der historischen monumentalen
Kunst und Historienmalerei, und die Darstellung von Personen und Ereignissen,
in denen sich die Macht der Idee und des Gedankens, also der Gottheit selber,
als Inbegriff alles Idealen, am reinsten und herrlichsten offenbart, gehört zu
ihren erhabensten Aufgaben.

Zn meinem Thema übergehend, bemerke ich, daß ich hier von den ver-
schiedenen Richtungen und Erscheinungsformen der Historienmalerei unter an-
dern Nationen und in andern Schulen gänzlich absehe und nur die moderne
vaterländische Historienmalerei berücksichtige, theils uachweisend, warum die-
selbe so in Verfall gerathen, theils hinweisend aus das, was zu ihrer
Hebung vor Allem erforderlich ist.

Werfen wir zunächst einen kurzen Rückblick auf die geschichtliche Entwicke-
lung der jüngsten germanischen Kunst, um zu voller Einsicht in das Wesen
ihres heutigen Zustandes zu gelangen.

Die neugermanische Kunst, wie überhaupt die ganze moderne Kultur, hat
dem durch die französische Revolution gegebenen Anstoß zu einem allgemeinen
Umschwung der Ideen ihren Ursprung zu verdanken. Nun aber ist es ein
eigenthümlicher Charakterzug des germanischen Volkes, daß es bei seiner Nei-
gung zur Ruhe die Ereignisse der Geschichte vor Allem zum Gegenstände der
philosophischen Untersuchung macht, und dasjenige, was andere Nationen, z. B.
die französische und englische, gewissermaßen von einem mächtigen Naturtriebe
gedrängt, schaffen und ausführen — beredet, beschreibt, bephilosophirt. Dieses
doktrinair-philosophische Element spielt unter den Deutschen seit der wieder-
erwachenden, Kultur vom Mittelalter an bis auf den heutigen Tag die Haupt-
rolle. Hat es in Allem, was Unterricht, Bildung, Gelehrsamkeit, Kritik,
Wissenschaft heißt. Großes und Außerordentliches geleistet, besonders bei und
seit dem siegreichen Auftreten des Protestantismus im Zeitalter der Refor-
mation, so hat es andrerseits die schaffende Thatkraft der Nation bedeutend
gelähmt. Was hierbei besonders störend eingreift, ist die deutsche Gemüth-
lichkeit und Sentimentalität, welche sich im Leben wie in der Kunst oftmals
auf eine höchst lächerliche Weise breit macht. Dieses theils doktrinäre, theils
theils sentimentale Element hat die Deutschen zn einem Hyperidealismus ge-
führt, welcher in Verbindung mit der nationalen Zerspaltung auch ans die
Künste, namentlich auf die historische und monumentale, höchst nachtheilig ein-
gewirkt hat. Jener oben angedeutete Umschwung in den Ideen, welcher am
Schlüsse des vorigen Jahrhunderts stattfand, führte zur Natur zurück und
chuf, indem er die Kunst vor Allem von dem Zopfe des Rokoko und von den
Fesseln abgeschmackter Konvenienz erlöste, sie gleichsam von Neuem. In
Deutschland wurden diese große Kunstfragen zuerst durch die Literatur erörtert,
welche von Anfang au einen wesentlichen Einfluß auf die Entwickelung und
Richtung der Kunst ansübte und der Historienmalerei im besonderen ein dok-
trinäres und einseitig idealistisches Gepräge aufdrückte. Die Kritik Lessing's
und die klassische Tendenz Goethes wiesen die Kunst auf die Bahn der
Antike hin, an deren Studium nun die Historienmalerei sich bildete und empor-
wuchs. Zugleich äußerten die ästhetischen Schriften Schill er's auf Künstler
und Laien den veredelnsten Einfluß.

War die Anschauungsweise und Kunstrichtung Goethe's und Schiller's
wesentlich klassisch, so war die neue Literatur der beiden Schlegel und Ticck's
vorherrschend romantisch. Ihnen gebührt wenigstens das Verdienst, die Kunst
von dem Boden Griechenlands in unsere germanische Heimath verpflanzt, in
Gegenstand und Auffassung mehr nationalisirt und so dem Herzen und dem
Verständnisse des Volkes näher geführt zu haben. Wiegte sich der hellenische
Klasstcismus mehr in abstrakten Ideen und Formen, so wies der germanische
Romanticismus zunächst auf die Natur und die Nationalität hin. So trat
denn namentlich in der Dichtkunst an die Stelle der Deklamation die Leiden-
schaft, an die Stelle der konventionellen Form die innere Bewegung, an die
Stelle des Pathos der Gedanke, an die Stelle kalter Regeln warme und er-

*) Siehe „Dioskuren", Jahrgang I. Nr. 1b; „Was thut der deutschen Hi-
storienmalerei Noth? Randglossen zu den Verhandlungen der Verbindung deut-
scher Knnstvereine für historische Kunst."

wärmende Gefühle. Die idealistischen Halbgötter verschwanden allmälig und
die realistischen Menschen nahmen ihre Plätze ein, in den Dichtungen wie auf
der Leinwand. Aber wie es gewöhnlich der Fall ist, daß die Schüler die
Anschauungen und Richtnugen ihrer Lehrer übertreiben, so war es auch mit
den Stiftern dieser romantischen Schule der Fall, namentlich mit August
Wilhelm Schlegel und Tieck, deren Anhänger zum Theil zu blinden
und verschrobenen Adepten des Mittelalters ansarteten und das einseitige Ele-
ment der romantischen Schule, einseitig vor Allem dadurch, daß es ebenso
dem Klassicismus als dem modernen Lebens- und Zeitgeiste den Krieg erklärte,
zu einem förmlichen Rückschritt bis zur bornirten Opposition gegen das Mo-
derne ausbildeten. Hatten die beiden Schlegel in ihrem an und für sich
lobenswerthen Streben, neue Bahnen zu brechen und dem germanischen Wesen
Form und Ansehen zu geben, ihren literarischen Wirkungskreis so weit aus-
gedehnt und ihre Ansichten so auffallend umgewandelt, daß sie von Homer
und Shakespeare zu Calderon und den Nibelungen, und von diesen bis zu
der Bibel und dem MahabhLrata Herabstiegen, so verrannten sich ihre Nach-
folger uud Anbeter in die einseitigsten kirchlichen Vorurtheile, die mit den Be-
griffen des Lebens, der Vernunft und der Schönheit im schneidensten Wider-
spruche standen, und huldigten zuletzt demnthsvoll und glaubensselig der hie-
rarischen Autorität und dem düstersten Mysticismus. Friedrich Schlegel,
Zacharias Werner, die Stolberge n. A. fanden ihr alleiniges Heil in
dem Schooße der römischen Kirche. Schelling's Anschaungstheorie und'
Creutzer's „Symbolismus" sind die Resultate des Rvmanticismus auf dem
Gebiete der Wissenschaft.

Wie nun in der Literatur der Klassicismus in Lessing, Goethe und
Schiller seine ersten Hanptvertreter fand, so in der Malerei und Zeickmen-
kunst in Karstens, Wächter und Schick. Karstens war der Vorläufer
der neudeutschen Kunst, indem er die befruchtende Kraft dem Leben der Antike
entnahm. Seine Zeichnungen zu Weimar, besonders seine „Argonauten", sind
dafür die sprechendsten Beweise und bilden einen entschiedenen Gegensatz zu
dem schwülstigen und faden Wesen der untergeordneten Künstler, welche dem
steten Verfalle der deutschen Kunst zu Ende des achtzehnten und zu Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts angehören, Karstens ging in seinem Bestreben,
die klassische Reinheit und Strenge wiederherzustellen, so weit, selbst Raphael
zu überbieten und ihn als nicht klassisch genug zu befinden, während ihn die
Romantiker als unchristlich verschrieen. Die Schüler von Karstens, namentlich
der berühmteste unter ihnen, Thorwaldsen, waren klassisch, sowohl durch
die Wahl ihrer Sujets, als in der Behandlung derselben. Alle, Zeichner und
Maler, waren weit stärker in der Theorie als in der Praxis, und zeichneten
sich besonders durch die Hoheit ihrer Intentionen und durch eine gewisse fremde
Stilgröße aus. Kolorit und Technik befand sich bei ihnen noch ans einer sehr
niedrigen Stufe.

Im Allgemeinen hatte Deutschland in der Neuzeit dieselben Erfahrungen
und dieselbe Schule in der Knust durchzumachen, wie Frankreich. Wie dort
so bildete auch hier der Romanticismus den belebenden und weiterführenden
Gegensatz. Der formelle Klassicismus konnte nicht genügen, da ihm für uns
die belebende Idee abging. Der Romanticismus, theils von einer gewissen
religiösen Begeisterung, theils von dem erwachten Volksgeiste, der auf seine
eigenen altdeutschen Kunstdenkmäler zurückging, seine Lebenskraft empfangend,
trat nun auf und führte durch die gründlichen und vielseitigen Studien, zu
denen er Veranlassung gab, allmälig zu einer naturalistischen Richtung hin-
über, welche im Allgemeinen jetzt in allen Fächern der Malerei an die Tages-
ordnung kam. Das etwa, was die Schlegcl's in der Literatur waren, wurden
in der Malerei die Gebrüder Riepenhausen. Wie jene, so gingen auch
diese von der heidnisch-hellenischen Antike aus, und wie jene, so wurden auch
diese die eifrigsten Verehrer des christlich-germanischen Mittelalters. Sie be-
gannen mit den Zeichnungen nach den Schriften des Pausanius und endigten
mit Kopien nach Fiesole und Peruginv. Wie den Schlegel's, so mangelte
es auch ihnen an jeder höheren Produktionskraft.

Zu einer ungleich höheren Stufe dieser kirchlich-religiösen Richtung schwan-
gen sich Overbeck und Cornelius auf.

Overbeck ist unstreitig der reinste, kindlichste, gläubigste dieser Roman-
tiker und Puristen. Er hat keine andere Intention und Prätension, als dem
reinen christlichen, „heiligenden" Spiritualismus sich zu weihen, dessen höchsten
vollendetsten Ausdruck er in Fra Angeliko, Fra Bartolomeo und Pietro Pe-
rugino erkennt. Er ahmt sie so viel als möglich nach und findet die Schön-
heit, mithin also auch das Gesetz der Historienmalerei, vorzugsweise in der
Negation des Materiellen. Das Materielle, Realistische, Naturalistische ist
für ihn, als strengkirchlichen Dogmatiker, das Diabolische, welches er von sich
 
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