Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 2.1857

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15340#0139
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
139

mangelte mir der Geist der Erfindung nicht. Ich würde ehedem sogar von
der geschmacklosesten Idee Vortheil gezogen haben, wenn man mir nur ir-
gend einen Saal zugewiesen hätte. Das, was ich geschaffen hätte, würde
sicherlich den Angriffen vielfache Seiten dargeboten haben, ich gebe das zu;
allein, einmal auf eine eigenthümliche Art organisirt, würde das, was ich
gemalt, wenigstens von dem üblichen Systeme der Plafondmalerei abge-
wichen sein. Dieß Alles verdiente doch wenigstens, daß man es erwog, aber
nein; mit der Prätension, an der Spitze allen Fortschrittes zu gehen, sind
Wir vielleicht dasjenige Volk der Erde, bei welchem der meiste Schlendrian
herrscht."

„Ohne mich jenem ausgezeichneten Künstler gleichzustellen, würde ich
vielleicht das Schicksal von Baryc gehabt haben. Dieser piquante nnd
originale Genius, mit besonderen Anlagen nnd Studien ausgerüstet, der unsere
Plätze mit Monumenten geschmückt hätte, einzig in der Welt, muß froh sein,
seine Ideen in den kleinlichsten Verhältnissen darstellen zu können. Ueberhaupt
ist es sehr traurig, wenn ein Talent, welches sein Vaterland mit einem wahr-
haft originalen Monumente hätte beschenken können, sich auf die Fabrikation
von Kasten heruntergedrückt sieht. —■ Was mich selbst nun anbetrifft, so habe
ich die Ueberzeugung, daß die Nothwendigkeit, in der ich mich befinde, nur
Staffeleibilder produciren zu müssen, mich gänzlich von meinem natürlichen
Berufe abgelenkt hat. — „Wir haben nichts für Sie gethan, sagte mir im
Jahre 1839 ganz naiv ein sehr einflußreicher Direktor, weil Sie unserer nicht
bedurften; denn das Publikum liebt und schätzt ihre Werke." ■—• Was bleibt
uns nach einer solchen Erklärung übrig, als seinen Hut zu nehmen, zu grü-
ßen und von dannen zu gehen. •— Das that ich natürlich auch- —-

„Die einzige Eigenthümlichkeit, welche ich hier anführen könnte, ist die
mit meiner Persönlichkeit zusammenhängende, daß ich niemals, aber auch nicht
ein einziges Mal, auch nur einen Daumen breit kopirt habe; nicht aus Vor-
urtheil und Parteinahme, sondern in Folge eines vagen Instinkts, der mir
das Kopiren unbegreiflicher Weise zuwider machte; denn ich liebte die Malerei
über Alles, und ich tadelte mich oft ob dieser Lücke in meinen Studien."

„Es war stets mein höchstes Vergnügen, jegliche Malerei zu studiren.
In der ich gar nichts fand, was mir gefiel, erachtete ich für vollkommen
verfehlt und sehr schlecht. — Diese Leidenschaft allein für Gemälde erweckte
in mir den Geschmack an der Arbeit; denn, mein Herr, ich bin ein geborner
Faullenzer, und es bedurfte, ich schwöre es Ihnen zu, eines sehr großen
Dranges, Ihnen den Gefallen zu thun, Ihnen einen so langen Brief zu
schreiben. -— Ueberdics habe ich niemals Etwas so gefürchtet, als eine Feder;
dies beweist wohl auch die schwankende, unsichere Art, mit welcher ich sie
führe."

„Genehmigen Sie, mein Herr, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten
Hochachtung."

Den 15. November 1854. Decamps.

Zu denjenigen Künstlern, welche selbstständig und entscheidend zwischen
die streitenden Parteien der Akademiker und Romantiker traten, gehört auch
Decamps. Nicht durch große, ehrwürdige Traditionen genährt, nicht von
erhabenen, schwnngrcichen Ideen getragen, nicht als Dichter oder Patriot für
gewaltige, monumentale Ereignisse begeistert, nicht in einer strengen, wissen-
schaftlichen Kunstschule gebildet, wie er in seinem Briese an Vüron selbst
eingesteht, war er durch seine Statur, niehr noch, wie er selbst klagend bekennt,
durch die Ungunst der Verhältnisse in die niedere Sphäre des Alltagslebens
herabzusteigen genöthigt. Eines beschäftigte ihn daher besonders, da ihn der
Stil, das Sublime, die Poesie, das Gedankliche nnd Ideelle minder berührte,
nämlich — das Kolorit, die Ausführung, die Technik. Schon seine ganze
geistige Richtung und künstlerische Eigenthümlichkeit, die oft an das Sonderbare
streift, drängte ihn zu dem Studium der Farbe, sowie zu der Auffindung
vriginellcr Mittel, die Wirkung des Kolorits möglichst zu erhöhen und die
Farbe zu vergeistigen.

Die verjährten Professoren wollten z. B. um keinen Preis von der alten,
strengen Regel abweichen, die Schatten zu verreiben und die Lichter zu im-
stastiren. Die Palette ließ nur eine gewisse Zahl von Farben zu, die nach
^ner hierarchischen Ordnung aufgesetzt werden mußten; selbst die Pinselstriche
waren unbeugsamen Gesetzen unterworfen. Die Launen, die Eindrücke, die
Schwingungen nnd Nuancen des Geistes und des Temperaments fanden auch
«icht die geringste Ausflucht vor diesen! Exekutionstypus, in welchen der
Künstler eingepreßt war, wie in eine Art Zwangsjacke.

Decamps nun, schon als Knabe wild nnd unbändig, nnd der Schule
^'ie dem Atelier zu frühe entlaufen, um etwas Ordentliches gelernt zu haben,
Ieöte sich vorzugsweise auf die materielle Seite der Malerei, da ihm die ideelle
entging, und stellte hinsichtlich der Farben und des Kolorits, sowie
"ller nur irgend zweckdienlichen technischen Mittel, die mannigfachsten Versuche
ttn- Selbst originell, träumte er auch von einer Originalität in der Malerei,

von ganz unvorhergesehenen Effekten, von einem genialen Umschwünge in dem
Kolorit und in der Technik, nnd beschloß die ganze malerische Behandlung
durch ungewöhnliche Manipulationen und originelle Einfälle und Versuchezu re-
generiren. Rembrandt besonders bot ihm ein reiches Feld für diese Studien.
Die Maler, welche für sich die Freiheit in Anspruch nahmen, ganz nach ihrer
Art zu malen, feierten ihn bald, in Folge seiner Triumphe, als einen originalen
Meister, der zum Heile der Künstler erschienen sei, die Fesseln der Malerei
zu lösen. Während also Delacroix, Barye, Sigalon u. v. A. ihren
Geist von dem Drucke pedantischer Regeln befreiten, arbeitete Decamps an
der Emancipation der Palette. Die Jury jedoch setzte seine Gemälde vor
die Thüren der Ausstellung, wie es auch später den Werken von Theodor
Rousseau erging. —■ Von da an schreibt sich das Aufsehen, welches er
machte, und das Ansehen, welches er gewann. Was die Jury verwarf, ward
Seitens der Presse einer besonderen Prüfung unterworfen. Fand sich darin
irgend etwas Originelles, Geniales, eine „nouveau!«“ in Idee, Stoff oder
Behandlung, eine siegreiche Auflehnung gegen Alles, was Tradition heißt und
als solche Autorität gewonnen hatte, so war das Glück des Künstlers gemacht.
So war es auch mit Decamps, dessen Sache mehre kritische Federn siegreich
gegen die Jury und Akadenne verfochten.

Um Studien in dem Leben der niederen Volksklassen zu machen, durch-
streifte Decamps die Hügel des Mont-Martre und von Saint Chaumont,
die Faubourgs von Paris, die Ufer des Kanal de l'Ourcq, die Gebäude von
Pantin, die Viertel von St. Lazare, Distrikte, in denen sich ihm vielfache
Gestalten in der Manier Callots darboten. Was ihn besonders anzog,
war das Originelle, Piquante, Bizarre, Abenteuerliche des Proletariats.

Allen den Künstlern gleich, welche keine andere Methode nnd keinen andern
Führer haben als ihren eigenen Instinkt, ihre Laune, ihr Gefühl, gab sich
Decamps alle Mühe, seinen Gestalten den sprechendsten Charakter und
seinen Gemälden das originellste Gepräge aufzudrücken. Talent und Energie
vereinigten sich zu diesem Zwecke in seltenem Grade. Alles, Papier, Stifte,
Farben, Pinsel wurden auf das Genaueste nntcrsncht nnd alle nur möglichen
Manipulationen vorgenommen, um die angestrebten malerischen Effekte zu
erreichen. Seine Operationen waren zum Theil so seltsamer Art, daß die
Sprache nicht für sie ausreichte und neue Worte von ihm erfunden werden
mußten, um die neuen Erfahrungen zu bezeichnen. Daß die eigene Praxis
ihn in diesen technischen Fortschritten und koloristischen Studien immer mehr
förderte, ist ganz natürlich. So stehen seine früheren Gemälde, z. B. „Don
Quichote und Sancho Pansa" seinen späteren, z. B. seiner „türkischen Fleisch er-
bnde", weit nach. Sind die späteren ihrer technischen Verdienste wegen bei
weitem vorzuziehen, sch sind die früheren besonders anziehend durch die Naivetät
der Auffassung, welche er später dem Raffinement der Technik zuweilen ans-
opferte.

Es konnte nicht fehlen, daß alle diese eifrigen Bemühungen und Studien
dem unermüdlichen, hochbegabten Künstler die lebhafteste Anerkennung und die
reichste Belohnung verschafften. Viele seiner Malereien wurden, besonders
von der jungen Künstlerwelt, mit stürmischem Enthusiasmus ausgenommen.
So hoch jedoch Decamps als Kolorist und Techniker dasteht, so geht seinen
Gemälden doch leider mehrfach die Einfachheit und Wahrheit der Statur ab,
und zwar aus dem Grunde, weil er sich vorzugsweise von seiner Subjektivität
und Originlaität hat bestimmen lassen. Diese Originalität ist hie und da
zu einer Caprice geworden, die nur von ihrem Gesichtspunkte ans die Dinge
erfaßt nnd behandelt, nur ans ihren speziellen Zweck hinarbeitet.

Da er sich in keinem seiner meist kleinen Gemälde in die Sphäre des
Idealen und Historischen erhebt, sondern stets innerhalb der Kreise des ge-
wöhnlichen Lebens bleibt, so ist auch die Kritik weitschichtiger Schilderungen
überhoben. Das niedere Genre also ist sein eigentliches Element. Bettler,
Kinder, Bauern, Fuhrleute, Jäger, Zigeuner sind mehrfach und meisterhaft
von ihm behandelt worden. Ein Bettler z. B., der seine Tageseinnahme
zählt, in der Sammlung des Mr. Albert hier, ist ein Meisterstück der Art.
Alt und niedergebeugt, mit einer Jacke bekleidet, die aus allerlei bunten Lappen
zusammengestickt ist, einen Hut auf dem langhaarigen Haupte, den er von
einem Kehrichthaufen des Mont-Martre aufgelesen zu haben scheint, sitzt er
theilnahmlos da, mit dem Zählen einiger schmutzigen Sous beschäftigt, als
ein sprechendes Abbild der proletarischen Verkommenheit.

So höchst verdienstlich auch diese Stücke des proletarischen Genre sind,
die Spitzen seiner Werke bilden jedoch die Scenen aus dem orientalischen
Volksleben, wie „der türkische Fleischer", „der große Bazar", „die türkischen
Kaffeehäuser", die „türkischen Kinder mit Schildkröten spielend", „Albanesen
und Araber an einer Tränke" u. s. w. In allen diesen Bildern und Bildchen,
hiesigen Privatgalerien angehörig, erweist sich eine so scharfe nnd lebendige
Auffassungsgabe, ein so feines Studium der verschiedensten Charakternuancen,
an denen der Orient so überaus reich ist, eine so sichere Führung des Stiftes

X-
 
Annotationen