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und des Pinsels, ein so lebendiges Kolorit, eine so durchgebildete, capriciöse
Technik, die nichts unversucht läßt, die piquantesten Wirkungen hervorzubringen,
daß sie als Meisterwerke betrachtet werden müssen, einzig in ihrer Art. Werfen
wir nur z. B- einen Blick auf seinen „Bazar in Smyrna"; welche Feinheit
und Schärfe der Charakteristik, welcher Einklang der Personen und Sachen,
welche Wirkung des Lichtes, welche Tiefe der Perspektive, welche Kraft und
Sättigung der Farbe, welche Originalität und Wirksanikeit der Technik. Der
ruhige, sorglose Türke mit seinem Tchibonck, die maltesische Fruchtverkäuferin,
der alte jüdische Schuhflicker, der schlaue, gewandte Armenier, der feiste, insel-
bewohncnde Grieche, der betrügerische, den Handel ermittelnde Levantiner,
sind Gestalten voll orientalischen Lebens in seinen feinsten Bezugnahmen.

Dieselbe Meisterschaft finden wir in seinem „türkischen Fleischer." Nach-
lässig gegen seine Fleischbank gelehnt, ruhig seinen Tchibouck rauchend in seiner
dunkeln Spelunke, die einer düsteren Felsengrotte gleicht, wartet er der Käufer.
Ein zartbelaubter Baum, ein weißgetünchtes, thurmartiges Hans, eine un-
gepflasterte, schmutzige Straße bilden die schlichten Umgebungen dieser schlichten
Scene. Luft und Licht sind von einer blendenden Wahrheit. Nicht minder
Vorzügliches hat De camp s als Landschafter und Thiermaler geleistet. Be-
weisen schon seine orientalischen Gemälde, daß er eine Meisterschaft in der
Auffassung und Behandlung des Landschaftlichen besitzt, so sind es doch vor
Allem drei eigentliche Landschaften, welche ihn auch in diesem Fache höchst
bedeutsam erscheinen lassen, nämlich eine anatolische und die beiden Landschaften
mit der „Auffindung Mosis" und mit einer „Falkenjagd." Alle drei zeigen nns
dieselbe Charakterschärfe und diese ebenso dem Auge, als dem Geiste sich tief
einprägende Schilderung des Realen, für welches er ein so naturfeines und
kunstgebildetes Fassungsvermögen besitzt. Was er auch schafft und wohin er
auch uns stellt, wir werden sofort von der Wahrheit desselben mächtig ergriffen.
Diese Lüfte sind die azurblauen, sonnendurchglühten, fast wolkenlosen Lüfte des
tiefen Südens, diese leichtgeschwnngenen Sand- oder Kalkberge, über welche
dunkle Chpressen ihre lange Schatten werfen, tragen das scharfe Gepräge des
Orients, diese weißen, nackten Mauern, über welche dichtes Schlinggewächs
als einziger Schmuck blühend herabhängt, führen uns in die Straßen von
Konstantinopel, Smyrna, Brussa u. s. w.

Ein anderes Kunstfach, in welchem er excellirt, ist das Thierstück. Er
behandelt dasselbe mehr oder weniger in Verbindung mit dem eigentlichen
Genre, der Landschaft und der Architektur. Wir führen hier zum Belage nur
an: seine „schiffziehenden Pferde" und seinen „Tiger und Elephanten", die
ersteren, zwei starke normännische Rosse, welche an dem Ufer eines Stromes,
jedoch im Wasser, ein schwer beladenes Schiff ziehen, welches der Künstler
nicht dargestellt hat, da es ihm eben nur auf die Rosse selbst ankam; die
anderen, der Tiger und der Elephant, ans der Lauer, in den Sümpfen und
Steppen Indiens, in Pen-Jaub, dem „Lande der fünf Ströme." — Der
rege und reiche Genius des Künstlers weiß beiden Gemälden ebenso natürlich
als künstlerisch interessante Motive unterzulegen. Die Pferde sind durch des
Tages Last und Hitze bereits ermattet. Am düsteren Abendhimmel erglänzen
noch in den Wolkenschichten einige Strahlen der untergehenden Sonne, es
beginnt bereits kalt zu werden an und auf dem Strome, Roß und und Treiber
sehnen sich zur Ruhe und bieten ihre letzte Kraft ans, sie möglichst bald zu
erreichen. Was wir auch in's Auge fassen, in Allem tritt uns das genauste
Naturstudium und das feinste Künstlerbewußtsein entgegen. — Die indische,
gleichsam urweltliche Landschaft, die höchstens nur eines kühnen Jägers Fuß
* betritt, wie Decamps' selbst einer ist, erglänzt in dem Golde einer heißen
Sonne, deren Strahlen auf den welligen Wolken, wie auf den kühnen Palmen
und rauschenden Schilfstauden sich abspiegeln. Einige Elephanten treiben sich
in der weiten Prairie umher; ein altes, hageres Ungethüm kommt auf den
Beschauer zu, um aus einer Quelle zu trinken, hält jedoch sogleich bedachtsam
an, als eS seinen Feind, den Tiger, erblickt, der regungslos im Schilfe es
belauert. Wir fühlen auf den ersten Blick, daß wir uns in einer fernen,
einsamen Region des Orients befinden, in der eine mächtige Thierwelt seit
Jahrtausenden fast spurlos entsteht und wieder untergeht. Je ursprünglicher
und tiefer wir all' dies Natürliche und Reale erfassen, um so
poetischer und wirksamer wird dasselbe.

Eine besondere Befriedigung endlich findet die tiefe und reiche Originaliät
Decamps' in der Darstellung von Affen. Bald erscheinen sie uns als Künstler,
bald als Handwerker, hier betrachten sie sich eitel und wohlgefällig im Spiegel,

dort beschauen sie prüfend ein Bild, um einen Handel abzuschließen. Er ent-
wickelt hier einen ebenso geistreichen Humor und eine feine, treffende Charakter-
schilderung, als er sein Farbentalent und seine technische Virtuosität auf das
Glänzendste entfaltet. Besonders hat iwch bei diesen wie bei den meisten
Gemälden Decamps die Kritik das genaue Studium lobend hervorzuheben,
sowie die feine Auswahl und die meisterhafte Ausführung alles dessen, was
man Accessoire nennt, wodurch er nicht nur die künstlerische Wirkung erhöht,
sondern auch das sachliche Verständniß vermittelt und erleichtert.

Es bleibt uns nun noch übrig, nachdem wir seine Hauptfächer und Haupt-
verdienste charakterisirt und das Wesen seiner Malerei auseinandergesetzt haben,
den großen Künstler als eigentlichen Zeichner und Aquarellisten kennen zu lernen,
in welchen beiden Fächern er ebenfalls mit das Bedeutsamste produzirt hat,
welches die moderne französische Kunst aufzuweisen hat. In seinen Zeichnungen,
wie in seinen Aquarellen tritt uns natürlich Decamps wesentlich als derselbe
entgegen, als wie in seinen Gemälden. Feine, möglichst konkrete Charakter-
schilderung, die nicht „,idealisirt", aber auch nicht utrirt und karrikirt, sondern
haarscharf bei dem inneren Wesen, dem Nothweudigen der Sache stehen
bleibt, wodurch eben vor Allem seine Werke so mächtig wirken, und geistreiche,
marquante Technik, welcher der feine Kenner sogleich ansieht, daß sie, bei aller
Leichtigkeit, das Ergebniß tiefer Studien ist, zeichnen seine Blätter auf gleiche
Weise wie seine Malereien vortheilhaft aus. Zu seinen bedeutendsten Werken
im Fache der eigentlichen Zeichnenkunst gehören seine Blätter zur Geschichte
Simson's, im Besitze von Mr. Delessert hierorts. Sie waren ausgestellt
im Jahre 1845 und fanden nach Gebühr die allgemeinste Anerkennung. Sie
vor Allem beweisen, daß in Decamps höhere Talente schlummerten, die
durch monumentale Aufträge wach gerufen worden wären. Größe und Kühnheit
der Auffassung, so wie jener innere Realismus, das Mark alles Lebens und
aller sinnst, bilden ihren Hauptcharakterzug. Sie wären ebenso schwer nach-
zuerfindeu, als nachzuzeichnen, denn sie sind durchaus originell. Wer über-
haupt nicht den Orient als Augenzeuge kennen gelernt hat, vermag so Etwas
garnicht zu denken und zu schaffen. Bon seinen Aquarellen heben wir hier
nur als ein Meisterblatt hervor „eine türkische Schule", aus welcher ein
Rudel frischer toller Buben polternd und lärmend herausstürzt; im Besitze
-der Gräfin Lehon hier.

Welche hohe Stufe also Decamps einnimmt und worin sein Wesen und
Werth besteht, ist theils aus den allgemeinen kritischen Bemerkungen, theils
auö den speziellen Belägen klar ersichtlich. Eine so hervorragende, originelle
Persönlichkeit mußte natürlich auch auf die Künstlerwelt von Paris- einen
bedeutenden Einfluß ausüben. Nach allem Gesagten konnte dieser Einfluß
nur ein mehr spezieller und materieller, als allgemeiner und ideeller sein.
Seine Erkenntniß z. B. von der hohen Bedeutung der Lokalfarben, sowie
alles dessen, was Detail und Accessoire heißt, eine Erkenntniß, die wir in so
reichem Maaße schon in den Werken der Kleinlebenmaler der holländischen
Schule vorfinden, hat den Künstlern eine neue und glückliche Bahn eröffnet.
Die künstlerische Gegenständlichkeit Decamps', aus der Erkenntniß der
geistigen Bedeutung der Dinge selbst entsprungen, hat die jüngere fran-
zösische Künstlerwelt dem ernsten und gewissenhaften Studium des Natürlichen
und Realen wiederum zugeführt. Was früher aus Leichtsinn, Absicht, Un-
verstand, Mißverständniß verabsäumt, geringgeschätzt und bei Seite gelassen
und geworfen wurde, ist nun wieder, in Folge der glänzenden Aufnahme der
Decamps'schen Werke, der Gegenstand des gründlichsten Studiums und der
sorgsamsten Bearbeitung geworden. Die französische Malerei, und zwar vor
Allem die Genremalerei, hat somit eine ungleich solidere Basis und einen
bei weitem größeren Umfang gewonnen. Wenig französische Künstler haben
so wesentlich und so siegreich zum Sturze alles dessen beigetragen, was „kon-
ventionell" heißt, wie Decamps. Dieser, große, nicht hoch genug anzu-
schlagende Sieg konnte nur erreicht werden durch die eigene innerste Erfah-
hrung und durch das tiefe, allseitige Studium der Natur, welches die große
Kunst lehrt, auch in der Realität des Kleinsten den Geist des Großen
und Ganzen zu erkennen.

Dies hat Decamps gethan, und daher wird sein Verdienst um die
französische Kunst für die Gegenwart wie für die Zukunft ein großes sein und
bleiben. Nicht ein Künstler gewöhnlichen Schlages, bildet er ein höchst wich-
tiges und einflußreiches Glied in der langen Kette maaßgebender Erscheinungen.
 
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