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Jahrg.IIZ

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Die „Dioskurcn" erschei-
nen am 1. und 15. jedes Mo-
nats in !—2 Bogen gr. 4.

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landes nehmenAbonnements
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Nicolai'schen Buchhand-
lung in Berlin.

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spondenzen aller Art, welche
den Inhalt der Zeitung be-
treffen, sind an die „Ne-
daction der Dioskuren"
(Jagerstr. 28), Rcclama-
tionen an die „ Expedi-
tion der Dioskuren"
(ebend.) zu richten.

sPreis einer einzelnen
Nummer 5 Sgr. ohne Kunst-
bcilage.j

Zeitschrist für Klink, Kunkindnstrie und künstlerisches


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1857. f

rebigirt unter Mitwirkung einheimischer unb auswärtiger Jtunltfreunbe

von

Dr. Max Schasler,

Secretair des „Museums für Kunst und künstlerische Interessen" in Berlin.


15. Mai.

Das Redaktionsbureau der „Dioskuren“ (Jägerstrasse 38) ist in der Regel täglich von 9 —12 Uhr geöffnet.

3 n I) a I t :

Abhandetndc Artikel: Die Häupter der modernen französischen Malerei von R. F.
I. Ingres.

Kunstchronik: Verschiedene Lokotnachrichten ans Berlin, Danzig, Düssel-
dorf, Köln, Colberg, Gotha, Haag, Paris, Rom, London, Man-
chester.

Kunstkritik: Kritische Wanderungen durch die Knnstinstitnte und Ateliers
von Berlin. Permanente Gemäldeausstellung von Sachse. (Fortsetzung.)

Kunstinstitute und Kunstvrreine: Archäologische Gesellschaft in Berlin. — Aufruf
zur Errichtung eines Denkmals für Philipp Melanchton in Wittenberg. — Ge-
sammtüberficht der Ausstellungs- Cyklen der verschiedenen deutschen Kunstvereine
im Laufe des Jahres 1857.

Die Häupter der modernen franMschcn Materei.

Ein Beitrag zur Geschichte und Kritik derselben
von

Richard Fischer.

I.

Ingres.

Paris, Anfang Mai. — Wenn auch aus der geschichtlichen Einleitung
zu unseren kunstkritischen und biographischen Berichten von selbst erhellt, was
wir unter „Häuptern" der modernen französischen Malerei verstehen, so er-
achten wir es doch zum Verständnisse des Ganzen für nothwendig, einige
Worte über diesen Gegenstand voranszuschicken.

Auf den Gebieten der Kunst und Literatur sind vor Allen Diejenigen
unter „Häuptern" zu verstehen und seitens der Kritik als solche anzuerkenuen,
welche als Schöpfer und Vertreter bestimmter Richtungen, als stimmführende,
tonangebende Autoritäten, selbst wenn sich auch ihre Anschauungen und Grund-
sätze mehr auf die Vergangenheit stützen, wie es z. B. mit Ingres der Fall
ist, als durchgreifende Reformatoren, als schöpferische Genies, überhaupt also
als die Obersten, Bedeutsamsten, Einflußreichsten dastehen und gelten und
somit stets eine historische Bedeutung behaupten werden.

Zu diesen Häuptern gehört denn nun auch der oben Genannte, den wir
schon aus dem Grunde an die Spitze unserer geschichtlichen und kritischen
Berichte setzen, als er mit der würdigste Vertreter der religiöskirchltchen
Malerei Frankreichs ist. Ingres, in Deutschland seinen Werken nach gänz-
lich unbekannt, ist hier, in Paris, vielfach verkannt, mißverstanden und miß-
achtet worden, freilich nicht von einer wahrhaft freien und philosophischen
Kritik, denn eine solche ist erst die wahre und alleinige Kritik, sondern von
jenen Modeschriftstellern und Modemalern, die nur dem Neuen huldigen und
jhr Hauptverdienst in brillantes Kolorit, in technische Bravour setzen und
jomit die Knust mehr zu einem Handwerke erniedrigen, anstatt sie zur sicht-
baren Offenbarung der Idee zu erheben. Solche Schriftsteller und Maler
jetzen somit sich selbst außerhalb der Sphäre der Kunst und Kritik; nur an
dein Mittel, Farbe und Pinsel, haftend, können sie sich nicht zu einem wahren,
^efen, geistigen Verständnisse erheben. Sie werden stets leichtfertig das verwer-
und verspotten, was nicht gleich und gerade in ihren Kram paßt, oder was
^ohl gar zu ihrem Wesen und Treiben in direkte Opposition tritt. Aus diesen
Sünden hat denn der strenge, kalte, gemessene, tiefsinnige Ingres vielfache
^ascindungen hier erfahren, namentlich von den Koloristen und Romantikern.

Jean Auguste Dominique Ingres ist im September 1781 zu
Montauban geboren. Lassen wir ihn selbst sprechen. „Ich bin ein Zögling
des Rothstifts. Mein Vater, Musiker und Maler, bestimmte mich zur Ma-
lerei, und unterwies mich nur zum Zeitvertreibe in der Musik. Nachdem er
mir eine Mappe mit etwa vier Hundert Kupferstichen nach Rafael, Tizian,
Correggio, Rubens u. s. w. übergeben hatte, brachte er mich nach Tou-
louse zu Roques, einem Schüler Vien's. Ich führte daselbst auf der
Bühne ein Violincouzert von Viotti auf im Jahre 1793. Meine Fortschritte
in der Malerei waren rasch. Eine Kopie der Madonna de la sedia, welche
mein Lehrer ans Italien mitgebracht hatte, ließ den Schleier vor meinen
Augen fallen. Rafciel ward meine Offenbarung. Ich zerfloß in Thränen.
Dieser Eindruck wirkte mächtig auf meinen Beruf und erfüllte mein ganzes
Leben. Ingres ist noch heute derselbe, der er mit 12 Jahren gewesen." —
Diese wenigen einfachen Worte tragen außerordentlich viel bei zur Würdigung
seiner Werke.

Einige Jahre vergingen. Der Jüngling kam nach Paris. David,
den wir bereits näher kennen gelernt haben, nahm ihn in den Kreis seiner
Schüler. Ein zweiter PreiS: „Antiochus renvoyant son Als Scipion fait
prisonnier sur mer“ erlöste ihn von der Konskription, und der erste große
Preis des Konkurses im Jahre 1801: „Achille recevant dans sa tente les
deputes d’Agamemnon“ erhob ihn zum Pensionair der französische» Akade-
mie zu Rom. Als Flaxman, der berühmte englische Bildhauer, der kon-
tinentalen Kunstwelt vorzugsweise bekannt durch seine geistreichen Zeichnungen
zum Homer, minder durch sein Meisterwerk „der Schild des Achilles", dieses
Gemälde, gegenwärtig in der Galerie der „ecole des Beaux-Arts“ hierorts,
erblickte, sagte er: „ich habe nichts so Schönes gesehen in Paris, als dieses
Bild." — Das „directoire“ hatte Frankreich erschöpft, die Akademie in Rom
war ihrer Einnahme beraubt worden. Ingres, ohne Mittel, war nun ge-
nöthigt, fünf Jahre in Paris zu bleiben, woselbst er kümmerlich sich erhielt
durch Zeichnungen und Illustrationen zu Büchern. So viel es seine Zeit
gestattete, kopirte er die Antiken des Louvre, die Kupferstiche der kaiserlichen
Bibliothek und das lebende Modell in dem „atelier Suisse“, welches alle
berühmten Maler Frankreichs seit David bis auf unsere Tage besucht haben.
 
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