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In diese Zeit fallen mehre seiner Portraits. Später ging Ingres wieder
nach Rom und heirathete daselbst eine Französin, die er selbst „ein Muster
treuer Ergebenheit und den Trost seines Lebens" nennt. Er verlor sie durch
den Tod im Jahre 1849, vermählte sich jedoch wiederum zwei Jahre später.

In dem langen Zeiträume von 1806 bis 1820 verlor Ingres zu Rom
als Künstler seine Eigenschaft als Franzose und ward ein Bürger der Antike.
Ganz der Kunst und seinen Werken lebend, nahm er nur geringen Antheil
an den wandelnden Schicksalen seines Vaterlandes.

Das Unglück lastete schwer auf ihm zu Florenz in den Jahren 1820
bis 1824, ohne jedoch seine fatalistische Ausdauer zu erschüttern. „Ich sah
immer meinen Stern", sagt er, „aber ich habe nur Brod gefunden
in meinem Alter. Ich wollte das Beispiel vieler Künstler un-
serer Tage nicht nachahmen, die nur das Geld lieben und ein;
leichte Arbeit." —

Er kam nach Frankreich zurück mit dem „vosu äs Louis XIII“, welches
wir später kennen lernen werden, das Werk einer fast vierjährigen Arbeit,
durch welches er eine doppelte Absicht zu erreichen hoffte, nämlich einestheils,
die Revolution der Koloristen aufzuhalten und die Traditionen der Akademie
zu wahren, anderntheils, sich einen Namen zu machen und so eine Stellung
sich zu gründen.

Sein Erscheinen fällt in die Zeit des Streites zwischen den Koloristen,
Realisten, Romantikern einerseits, und den Idealisten, Puristen, Akademikern
andererseits. Außer einigen kleineren Gemälden, von denen wir hier seine
„Franziska von Rimini", seinen „Einzug Karl V. in Paris" und seinen „Philip V.,
dem Marschall Berwick den Orden des goldenen Vließes'verleihend", an-
führen, trat Ingres in der Kunstausstellung des Jahres 1827 mit seiner
„Apotheose des Homer" auf. Eugen Delacroix setzte ihr „den Tod des
Sardanapal", und Engen Deveria „die Geburt Heinrich IV." entgegen.
Der Moment war entscheidend. Ingres siegte officiel und ward i. I. 1824
zum Ritter der Ehrenlegion, im Jahre 1825 zum „meinbrs äs l'Institut“
ernannt. Anders war es jedoch mit der Presse und mit der Künstlerwelt.
Die Fehde zwischen dem Realismus und Romanticismus links, und dem
Idealismus und Purismus rechts war nicht bloß ein Kampf zwischen einzelnen
Künstlern und Schriftstellern, es war ein Kampf, welcher das große Kunst-
publikum selbst in Bewegung setzte.

Um nun das Kunstwesen, den Stil, die Richtung eines Künstlers scharf
und richtig zu erfassen und zu beurtheilen, ist es besonders wichtig, die Grund-
sätze zu wissen, welche er selbst ausgesprochen. Wir lassen daher nur einige
Grundsätze Ingres folgen, welche gleichsam das logische Modell abgeben
zu seinen Gemälden. „David", sagt er, „ist der wahre Wiederhersteller
der französischen Kunst und ein sehr großer Meister. Ich bewundere seine
„Horatier" und seine „Sabinerinnen" als Meisterwerke. David ist es, wel-
cher mich gelehrt hat, eine Figur auf ihre Füße zu stellen und ein Haupt
auf ihre Schultern zu setzen. Ich habe mich ergeben, wie er, dem Studium
der Malereien von Herkulanum und Pompeji, und, obgleich ich seinen er-
habenen Prinzipien immer treu geblieben bin, eine neue Bahn eröffnet, indem
ich seine Vorliebe für die Antike mit dem Geschmack an der lebenden Natur
verband, sowie das Studium der erhabenen Tradition der italienischen Schulen
und zwar vor Allem der Werke Rafael's." — „Die Form, die Form ist
Alles. Sie hat strenge Gesetze, die in der Malerei ebensowenig überschritten
werden dürfen, als wie in der Wissenschaft." — „Die Kunst besteht vor Allem
darin, die Natur zur Basis zn nehmen, sie mit strenger Gewissenhaftigkeit zu
kopiren, insofern, als man stets ihre erhabensten Seiten auswählt." — „Die
modernen Künstler nennen sich Historienmaler. Man muß entschieden diese
Prätension zerstören. Historienmaler ist derjenige, welcher heroische Thaten
darstellt, und diese Großthaten finden sich einzig in der Geschichte der
Griechen und Römer. In ihrer Darstellung allein vermag der Künstler sein
Talent zu bezeugen, und zwar vor Allem in der Behandlung des Nackten
und der Gewandung; alle anderen Zeitalter geben nichts als Genregemälde,
da das Gewand die Körper verhüllt. Nur in Folge der verhüllenden Be-
kleidung vermögen die Romantiker in der Malerei ihre Gemälde so leicht zu
schaffen, ohne die ersten Elemente der menschlichen Struktur gelernt zu haben."
— „Zeichnet niemals, ohne die Natur vor euern Augen zu haben. Man muß
nicht eine Hand, nicht einen Finger ans dem Gedächtnisse machen, aus Furcht,
in die Manier, die Nachlässigkeit oder Alltäglichkeit zu verfallen." — „Wenn
% die Farbe liebt, so sei es die Tizian's, niemals die von Rubens.
Laßt uns nach Venedig gehen, Antwerpen aber fliehen." — „Meine Ge-
mälbe beweisen, daß ich auch stark bin in der Farbe (?), wie in der Zeich-
nung; was mich jedoch vor Allem beschäftigt, ist die Form." — Diese Aus-
sprüche des Künstlers sind ausreichend, um seine Kunstrichtung kennen zu
lernen. Seine Gemälde sind mehr oder weniger der bildliche Ausdruck dieser
Prinzipien. So viel Wahres dieselben auch enthalten, so spricht doch auch

aus ihnen eine Einseitigkeit, die in den Malereien selbst noch ungleich greller
und schärfer hervortritt. Wer würde die Wichtigkeit und Bedeutung der Form
in der Malerei auch nur in Zweifel ziehen, sie aber, und mit ihr das ganze
linearische Wesen, zur Hauptaufgabe zu machen, ist ein gänzliches Verkennen
des Wesens der Malerei überhaupt. Wenn, wie es bei einzelnen seiner Ar-'
beiten der Fall ist, die Poesie, das Gefühl, die Phantasie, die Lebenswärme,
die Frische und Kraft der Natur gänzlich fehlt, und das Kunstbewußtsein sich
fast einzig und allein in der Form, in der Linie, in der Zeichnung dokumentirt,
so tritt nothwendig eine Trockenheit und Strenge ein, welche dergleichen Er-
zeugnisse fast ungenießbar macht und ihnen das Recht benimmt, als eigentliche
Malwerke zu gelten.

So überbot sich Ingres sowohl in der Theorie, d. h. in seinen Ansichten
und Grundsätzen, als in der Praxis, d. h. in seinen Gemälden. Einige seiner
Mängel und Fehler, selbst in der Form und Zeichnung, welche doch seine
Hauptstärke ausmachen, sind Fehler „pur s^stsius“, d. h. Konsequenzen seiner
einseitigen Richtung.

Im Jahre 1834 erschien sein „h. Symphorian", eines seiner Hauptwerke,
das Resums aller Regeln der Akademie. Obgleich bestimmt, allen seinen und
ihren Gegnern den Mund zu schließen, ward es im Gegentheil mit einem
wahren Hagel kritischer Schloßen überschüttet. Um den Künstler theils zu
schützen, theils zu ehren, ward er mit der Direktion der Kunstschule zu Rom
betraut, an die Stelle H. Bernet's.

In Rom fand er viele Anhänger, besonders unter den Künstlern, welche
von Paris nach Rom gesandt worden waren. Sein Ruf wuchs von Jahr.
Einem „Ondit" zu Folge, hatle er sogar sein Auge zur Pairie erhoben und
kam gleich nach der Installation von Schnetz, seines Nachfolgers, im
Jahre 1841 nach Frankreich zurück. Seine Freunde, um sein Wiedererschei-
nen in Paris würdig zn feiern, hatten ein glänzendes Banquet veranstaltet,
in der sicheren Voraussetzung, daß das Künstlerpublikum wie die Kritik nicht
mehr in die alte Feindschaft verfallen würden. Besonders war es auf Eugen
Delacroix dabei abgesehen. Jnständigst gebeten, bei diesen Agapen zu er-
scheinen, durchschaute er doch, welche Buße seiner wartete. Er hütete sich
daher wohl, sich blicken zu lassen. — Vom Jahre 1850 bis 1851 versah
er das Amt eines Rektors der „sools äss Beaux-Arts.“ Von einem allzu
starken Selbstvertrauen durchdrungen, träumte Ingres von einer Diktatur
über die französische Kunst und sagte, natürlich mit Beziehung auf sich selbst:
„Ein Meister sollte für das Heil der Künste in Frankreich sie absolut re-
gieren." —

So einseitig nun auch seine Richtung ist, so viele Mängel seine Gemälde
auch aufweisen, so weit er auch hinter seinem Ideale, Rafael, zurückbleibt,
so kann ihm doch eine vorurtheilsfreie und unbefangene Kritik, die freilich
bei den Künstlern am wenigsten zu suchen ist, große und viele Verdienste
nicht absprechen, die hauptsächlich in dem tiefen Durchdrungensein von der
hohen Würde und Bestimmung der Kunst in dem ideellen Streben und Ge-
halte, in der Keuschheit der Gesinnung, in der feierlichen Stimmung der
Seele, in dem Maaß und Ernste der Haltung, in der Strenge und Reinheit
der Form bestehen. Daß ihn, und besonders seinem großen Schüler, Hippo-
lite Flandrin, die Verehrung altitalischer Kunsttraditionen zuweilen noch
hinter Rafael zurückgeführt hat, ist eben nur die Konsequenz der Einseitig-
keit und Abgeschlossenheit, wie sie vornehmlich in dem Wesen der Orthodoxie
und des Dogmatismus liegt. — Wie es mit den Menschen, als Menschen,
der Fall ist, daß sie für ihr ganzes Leben den von der Natur ihnen ver-
liehenen Grundcharakter beibehalten, so auch mit den Künstlern und ihrem
angeborenen Kunstwesen. Daher kommt es chenn auch, daß alle Jngres'-
schen Gemälde, wenn sie sich auch in drei Klassen oder Perioden eintheilen
lassen, im Wesentlichen denselben Grundzug haben. Zum Belage unserer allge-
meinen Kritik gehen wir nun zur Beurtheilung nur einiger Hauptwerke über.

Eines seiner bedeutsamsten Historiengemälde ist sein „h. Symphorian, wie
er zum Märtyrertode geführt wird", das Altarblatt in der Kathedrale von
Autun. Das Werk gehört seiner Blüthezeit an und ist vom Jahre 1827.
Der Märtyrer, ein edler, gottbegeisterter Jüngling, umringt von einem auf-
geregten, theils Haß und Mordlust, theils Mitleid und Jammer bezeugenden
Volkshaufen, wird von den römischen Liktoren zum Tode geführt. Der edle,
jugendliche Märtyrer vernimmt den Ruf seiner Mutter, welche von der Stadt-
mauer herab in tiefem Wehe und doch in erhebendem Heroismus ihn auf-
fordert, gen Himmel weisend^ der heiligen Glaubenssache treu zu bleiben.
Symphorian blickt in gottergebener Begeisterung zu ihr hinauf und erhebt
seine Hände himmelwärts zum Schwure der Treue und des Glaubens. Der
römische Prätor, eine finstere, diktatorische Gestalt, gebietet mit seiner Rechten
dem Jünglinge sortzuschreiten, um den Zug nicht aufznhalten. Dem Märtyrer
selbst folgt unmittelbar der Träger der Gesetzestafel mit dem Edikte des Kaisers
Diocletian.
 
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