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Beilage zu M 21 der „Dioskuren"

letzteren ebenso zurückstehen muß, wie umgekehrt letzteres hinter dem elfteren
in Rücksicht ans Gediegenheit und Noblesse de§ Kolorits, auf Feinheit der
Betonung und Genialität der Behandlung. Aber wenn wir, von dem rein
ideellen Moment der Komposition absehend, unfern Blick auf die Malerei
richten — und unter „Malerei" verstehen nicht etwa bloß das Kolorit an
sich, sondern auch das Zeichnen mit der Farbe, die charakteristische Model-
lirung, kurz die technische Behandlungsweise im Ganzen wie in den kleinsten
Details — so fühlen wir uns gedrungen zu sagen, daß unsere Künstler noch
unendlich viel von den Franzosen lernen können. Wir wollen an einigen Bei-
spielen zu zeigen versuchen, was wir meinen. Man betrachte das Meister-
werk von Willems, welches „ eine Bilderauktion" darstellt, in allen seinen
Einzelheiten, namentlich in den zahlreichen Köpfen, recht genau. Nun könnte
Mancher, vom spezifisch deutschen Standpunkte aus, vielleicht vermeinen, daß
der Gegenstand nur ein mäßiges Interesse darbiete. Denn man sieht auf
dem Bilde eigentlich nur eine zahlreiche Gesellschaft von Männern in ver-
schiedenen Gruppen, aber ohne eigentliche Handlung, um den langen Tisch
des Auktionators geschaart Aber, ganz abgesehen von dem tiefen und kräf-
tigen Kolorit, von der einfachen Noblesse der Totalwirkung in Ton und Stim-
mung — Momente, die dies Bild allein schon zu einem Meisterwerke stempeln
würden — welche Charakteristik in diesen Köpfen, welche feinen Nyancen in
Ausdruck und Haltung: keiner dem andern ähnlich, und Jeder doch von so
entschieden charaktervollem Ausdruck! Welche Feinheit der Beziehungen,
wenn wir uns tiefer hineinsehen, entdecken wir in ihnen, welches Studium und
welche Ausführung! Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten,
daß jeder einzelne Kopf, aus dem Bilde herausgenommen, ein kleines Bild
für sich und zwar ein Meisterwerk, eines van Deyck's würdig, sein würde.
Ein solches Bild wie dieser Willem« bildet für sich eine ganze Ausstellung
und wiegt manche der heutigen Ausstellungen vollkonnnen auf. —

Man wende nun seinen Blick auf ein kleines, nur etwa acht Zoll hohes
Bildchen von Neissonnier, welches nur die einzelne Figur eines „Lesen-
den" darstellt. Ein Lesender! Fürwahr ein Motiv, könnte Mancher rufen,
ohne tiefe Bedeutung. Was kann in einer solchen Darstellung bedeutsam sein
und Interesse erregen? Und doch, man betrachte diesen Lesenden genauer:
Man sehe, wie die Gedanken, die in dem Buche in Form schwarzgedruckter
Wörter erscheinen, sich durch den Prozeß dieses „Lesens" auf der Stirn, in
den Augen, in der ganzen Haltung des nachlässig auf den Stuhl hingewor-
fenen Kavaliers wiederspiegeln, und staune dann über diese mikrokos-
mische Wahrheit der Auffassung, über diese psychologische Tiefe der Charakte-
ristik grade bei einem scheinbar so unbedeutenden Motiv, über diese Zartheit
der Empfindung in der Ausführung aller Details und in der wunderbaren
Harmonie, welche alle diese Details zur einfachsten und tiefsten Gesammt-
wirkung verbindet. — Noch ein drittes Beispiel: Oouture's „Falkenträger."
Hier haben wir es ebenfalls nur mit einer einzelnen Figur zu thun, aber in
großer Ausführung. Wir erblicken einen in ein verschossenes Sammthabit
gekleideten Edelknaben, mit einem Falken auf der linken Hand, den er durch
den vorgestreckten Finger der rechten zum Zorn zu reizen versucht, wäh-
rend er, in dieses neckende Spiel vertieft, langsam die Stufen einer breiten
Treppe hinaufsteigt. Also auch hier ein Motiv, dessen genremäßige Bedeut-
samkeit angezweifelt werden mag, wenn man sich an nichts als an die dürre
Beschreibung desselben hält. Aber nun schaue man das Bild sebst au: und
wie mit einem Schlage gewinnt dieser scheinbar unbedeutende Gegenstand durch
die noble Art der Aufassung in Haltung, Bewegung und Ausdruck der Figur,
durch die Eleganz und feine Charakteristik der Zeichnung, durch die tiefe
Naturwahrheit und völlige Abwesenheit jedes Scheins von konventionellem
Pathos, vor Allem aber durch die geniale Virtuosität der Behandlung, welche
namentlich bei diesem merkwürdigen Bilde staunenswerth ist, eine Bedeutung,
welche ihm sofort das Gepräge eines Meisterwerks ersten Ranges in der Ma-
lerei anweist. — Troyon’s „gekoppelte Hunde", ebenfalls ein solches Mei-
sterwerk auf einem andern Gebiete, geben einen vierten Beleg für unsre An-
sicht. Das Motiv kann nicht einfacher sein: ein Jagdwärter in blauem Kittel,
welcher im Walde einige große, lang- und rauhhaarige Windhunde zusammen-
koppelt. Aber eben dieser Einfachheit gegenüber erscheint die geniale Routine in
der ganzen Behandlung des Bildes, besonders aber die unbeschreibliche Feinheit
in der malerischen Charakteristik der Hundephysiognomien um so bewunderns-
würdiger. Dabei herrscht in dem ganzen Gemälde eine Kraft und Sicherheit
der Pmselführung, die nur in des Künstlers tiefem Verständniß der Natur,
vereint mit einer vollkommenen Herrschaft über die Mittel der Darstellung,
ihre Erklärung findet. (Schluß folgt.)

3. Die permanente Gemäldeausstellung von Sachse ist in

den letzten beiden Wochen wieder durch eine nicht unbeträchtliche Anzahl neuer
Gemälde bereichert worden. Als die Perle derselben halten wir das überaus
anziehende und in mehrfacher Beziehuug interessante Geureportraibild von
Knaus, einen der eifrigsten unsrer hiesigen Gemäldeliebhaber und Galerie-
besitzer, im prüfenden Anschaucn eines Bildes begriffen, darstellend. In der
That offenbart dies wunderschöne Bild neben seinen eminenten technischen
Eigenschaften, unter denen namentlich die Kraft und Eleganz des Kolorits
obenan steht, eine Feinheit der Beobachtung und eine Sicherheit in der Wieder-
gabe des Beobachteten, welche in diesem hohen Grade zu den größten Selten-
heiten selbst bei sehr begabten Künstlern gerechnet werden müssen. Der ganze
Habitus, die Haltung, die Gesichtszüge — Alles ist so schlagend charakteri-
stisch und dabei so plastisch lebendig und wieder so unbefangen naturwahr,
daß Alle, welche das Original kennen, eine ungewöhnliche Freude an dem
Bilde haben, und selbst diejenigen, welche es nicht kennen, die Meisterschaft

in der Komposition und malerischen Ausführung bewundern müssen. Denn
dies Bild gehört — und dies ist ebenfalls ein und zwar wichtiger Vorzug
desselben — zu den seltenen Portraitgemälden, welche, abgesehen von ihrer
charakteristischen Pvrtraittreue, schon von, bloßen Standpunkt der Bildmäßigkeit
ein ebenso lebendiges Interesse erregen. Handelte es sich in diesem Bilde gar
nicht um ein Portrait, so würde es immer noch als Genrebild von höchst
anziehender Komposition und feinster Charakteristik eine große Bedeutung haben.
Beide Vorzüge, im Verein mit seiner technischen Meisterschaft, verdoppeln, ja
verdreifachen natürlich seinen künstlerischen Werth. — Jaquand’s „Louis XI.
überrascht die Königin, als sie ihren Sohn gegen des Königs Willen lesen
lehrt" besitzt, wie sich von einem solchen Künstler erwarten läßt, viele bedeu-
tende Eigenschaften, hauptsächlich in der Detailbehandluug der Farbe, worin
sich Geschmack und Feinheit deS Gefühls für einfache Gediegenheit des Ko-
lorits offenbart. Allein im Ganzen hat das Kolorit doch etwas Gläsernes,
eine gewisse transparente Härte besonders in den Stoffen, welche nicht an-
genehm wirkt. Auch die Komposition spricht weder zur Phantasie noch zum
Geniüth. Ludwig XI., welcher gleich einem verschlafenen Nachtwächter, der
aus einem bösen Traum aufgewacht ist, in das Zimmer hereinschleicht, macht
einen mehr komischen als dämonischen Eindruck, und die Königin sieht gradezu
abgeschmackt aus. Am besten hat uns noch der Prinz im Ausdruck gefallen,
obschon auch er nichts besonders Anziehendes an sich hat. Wenn wir dies
Bild mit dem im Besitz des Herrn Fallou befindlichen Meisterwerke desselben
Künstlers vergleichen, so wissen wir nicht, ob das oben erwähnte einer viel
früheren Periode seines Schaffens, in der sein Talent noch nicht den Kul-
minationspunkt erreicht halte, oder einer viel späteren zurechnen sollen, wo er von
diesem höchsten Punkte bereits wieder herabgegangen. — I. Schrad er's „weib-
liches Portrait" (im Besitz Sr. Execellenz Herrn Alexander von Humboldt'S)
stellt einen reizenden Mädchenkopf dar, welcher durch seinen geistvollen Aus-
druck in dem großen und dunkeln Auge, durch die Frische und Klarheit des
warmen Inkarnats, besonders aber durch die poetische und dock so naturwahre
Lebendigkeit des Ganzen höchst anziehend wirkt. Heber die Malerei glauben
wir uns nicht deS Weiteren aussprechen zu brauchen, sie ist der Meisterhand
des Künstlers würdig, gesund, kraftvoll und fein in der Wirkung.

Unter den Genrebildern heben wir besonders eins hervor, welches durch
seine sorgfältige und wohl gelungene ideelle Charakteristik große Anerkennung
verdient, nämlich d'Unker's „Dorfpolizei-Büreau". Hier wird uns ein
Stück aus dem Leben geschildert, welches auf der einen Seite ebenso sehr zum
Mitleid wie auf der andern zuni Lächeln bringt. Ein alter blinder Mann,
geführt von seiner Tochter, einem jungen niedlichen Mädchen mit unschuldigem
Ausdruck, wird von einem Dorfsergeanten auf das Büreau des Schulzen ge-
bracht und als Vagabund denuncirt. Furchtsam und um Mitleid flehend,.
blickt das junge Mädchen auf den gestrengen Herrn, welcher, am Schreibtisch
sitzend, seinen Jnquisitorblick auf die Arrestanten richtet. Wenn schon dieser
Beamte in seiner selbstbewußten Würde eine drastische Rolle spielt, welche
nicht ohne eine gewisse Komik ist, so kommt in der vortrefflich gedachten und
offenbar der Natur abgelauschten Figur des krummbeinigen, rothnasigen und
spindeldürren Dorfsergeauteu, welcher mit wichtiger Amtsmiene die Unthaten
der Delinquenten schildert, die Drastik eines gesunden und kräftigen Humors
zur vollsten Wirkung. Was die Malerei betrifft, so deutet sie aus das aner-
kennenswerthe Streben hin, durch die den Düsseldorfern eigenthümliche ge-
.nerelle Einfachheit der Betonung hindurch auch die Wahrheit der Lokaltöne
zu ihrem Recht kommen zu lassen. Dabei ist dem Kolorit im Ganzen Ge-
diegenheit und Feinheit nicht abzusprechen, nur erhält es durch die zu kalkig-
graue Malerei des Fußbodens, welche die in demselben Ton gehaltene Kalk-
wand nicht mehr lokal genug erscheinen läßt, einen etwas kalten Charakter. —
Auch Ender's (aus Wien) „Enthomologe" ist ein fleißig ausgeführtes und
mit Geschick komponirtes Bild, das uns in seiner anspruchslosen Behandlung
und in seinem bescheidenen Motiv besser gefällt, als das früher erwähnte
große Gemälde „Alexander von Humboldt und Bonpland" desselben Künstlers.
An einem mit physikalischen Instrumenten der mannigfachsten Art bedeckten Tisch
ist ein alter Herr mit mikroskopischen Untersuchungen beschäftigt, während ein
kleines Mädchen, sich über den Tisch beugend, zuschaut. — Löwenthal's
„Ssovar (Gesetzrollenschreiber)" ist das Erstlingswerk eines jungen Künstlers,
das als solches recht anerkennenswerth ist. Einige Härten, welche für die
Gesammtwirkung nicht vortheilhaft sind, und einige andere Kleinigkeiten, z. B.
in der nicht ganz richtigen Richtung des Blicks, abgerechnet, zeugt das mit
großer Sorgfalt durchgeführte Bild von nicht unbedeutendem Talent. . Der
Hauptwerth desselben rücksichtlich des Motivs beruht in seiner historischen,
d. h. spezifisch-jüdischen Bedeutung und Bedeutsamkeit. Es war ein geheiligtes
Geschäft, dieses Abschreiben der heiligen Gesetzesrollen, welches nur durch
anerkannt kundige und in sittlich-religiöser Beziehung über allen Verdacht er-
habene Personen ausgeübt werden durfte. Alles Detail auf dem Bilde, von
der Gesetzesrolle selbst und der geweihten Hülle, die es vor profaner Be-
rührung schützte, bis auf die kleinsten Aeußerlichkeiteu herab, ist »fit Gewissen-
haftigkeit zur Darstellung gebracht. In künstlerischer Beziehung tst besonders
der würdig-ernste Ausdruck im Gesicht des Schreibers, sowie die sorgfältige
Durchführung der Stoffe zu loben. Von der Gräfin Eglofstein sind zwei
Bilder ausgestellt, nämlich ein „Portrait Goethes" und ein „Studienkopf
(Christus)", welche eine talentvolle Dilettantin verrathen. Das letztere na-
mentlich hat viel Gutes, besonders in der einfachen harmonischen Gesammt-
wirkung des Kolorits. — Steinle's „Magdalena, den Heiland suchend"
ist ein sowohl als Komposition wie als Gemälde betrachtet höchst unerquick-
liches Machwerk, welches besser unanögestellt geblieben wäre. Die Haltung
der Figur macht keineswegs den Eindruck, als ob sie jemand suche, sondern
 
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