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Beilage zu M12 der „Dioskuren".

Kunst-Institute und Kunst-Vereine.

Die Sierstorpff'sche Gemäldesammlung in Driburg.

Von St- Th- Brück*).

Der Gründer des Bades Driburg, Freiherr (später Graf) C- H- v- Siersterpff,
herzoglich braunschweigischer Oberjägermeister, auch als Schriftsteller im Forstfach
rühmlich bekannt, wird manchen älteren Lesern noch als eine höchst interressante Per-
sönlichkeit erinnerlich sein. Sein Rechtsstreit mit dem Herzoge Karl von Braunschweig
und seine gefeierte Heimkehr nach Braunschweig, als es der Herzog verlassen mußte,
füllte einst die Spalten politischer Zeitschriften. — Geboren um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts, vereinte er mit der Bildung jener Zeit einen seltenen praktischen Scharf-
blick; auch besaß er ein ungewöhnliches mechanisches Talent, wovon die von ihm selbst
gefertigten Kunstuhren, Teleskope rc. Zeugniß geben. — Eine kleine Sammlung
werthvoller Gemälde aus der Erbschaft seines Großoheims, welcher im 17. Jahr-
hundert Bischof von Antwerpen war, weckte in dem begabten Mann früh die Neigung
zur bildenden Kunst, die durch Reisen in Italien, Frankreich, den Niederlanden reich-
liche Nahrung fand- So entstand bei den reichen Mitteln, die ihm zu Gebote standen,
allgemach ein Bildersammlung, welche den vorzüglichsten Privatsammlungen Deutschlands
zur Seite zu stellen ist. Früher eine Zierde des gastlichen Hauses des Oberjäger-
meisters in Braunschweig, wurde nach seinem Tode (er starb 1842 im 92. Jahre
seines rüstigen Atters) diese Bildersammlung von seinem Sohne, dem Grafen Ernst
v. Sierstorpff nach dem Bade Driburg, das derselbe zu seinem Wohnorte erkoren,
herüber gebracht. Leider starb der Graf schon im Frühjahre 1855 im kräftigen Le-
bensalter, nachdem er die Wirksamkeit seines Vaters und auch die Bildersammlung
in dessen Geiste fortgeführt.

Das gräflich Sierstorpff'sche Bad Driburg, eine Stunde von der Eisenbahn-
station Buke bei Paderborn, steht nach seiner neuesten Analyse an der Spitze der
kohlensauren Eisenbäder, indem seine Hauptquelle 0,85 Gran lohlensaures Eisenoxydul
und 50,50 Cübikzoll Kohlensäure in sechszehn Unzen des Mineralwassers enthält. Bei
Gelegenheit einer Reise im Jahre 1779 erkannte der Oberjägermeister auf den ersten
Blick die große Bedeutsamkeit dieser Stahlquelle, kaufte sie und errichtete das stattliche
Bad, wo gegenwärtig unter der energischen vormundschaftlichen Leitung des Freihrn.
Georg Vincke ein neues Badehaus mit 24 Stahlbädern, ganz den Anforderungen
der fortgeschrittenen Wissenschaft und Technik gemäß, errichtet wird. Die mildere
Hersterquelle, Schwefelschlammbäder und Molken vervollständigen den Heilapparat des
lieblichen Kurortes am teutoburger Walde, über dessen romantische Umgebungen und
musterhafte Einrichtungen man das „malerisch-romantische Westphalen" von Freili-
grath und Schücking (S. 83. fs.) Nachsehen möge.

Zu den schönsten Ressourcen der gebildeten Kurgäste gehört nun die Bildersamm-
lung, welche, vier Zimmer des gräflichen Wohnhauses füllend, diesen sowie allen rei-
senden Kunstfreunden bereitwilligst geöffnet wird, lieber Erwartung befriedigt, verlassen
die Kunstkenner die Bildersammlung gewöhnlich mit dem Bedauern, daß der jetzige
Aufenthalt dieses Schatzes, früher einer Zierde Braunschweigs, allzuwenig bekannt sei.

Möge denn in diesen Blättern, eine Uebersicht der Sieststorpff'schen Sammlung
und die Befchreibungeinigcr der hervorragendsten Stücke nicht unwillkommen sein.

Die Sammlung enthält gegen 200, nur ältere, Oelgemälde, und zwar aus dem
15. bis 17. Jahrhundert, meist Niederländer und Deutsche, nur Originale, ohne Aus-
nahme trefflich erhalten. Die gefeiertsten Künstlernamen jener Länder sind durch meist
großartige Werke repräseutirt, nicht selten durch wahre Raritäten. So finden sich in
jeder großen Galerie historische Bilder von Rubens; — wie selten aber sind
Landschaften von diesem Meister! Hier ist eine; der Katalog des alten Herrn,
welchen ich hier benutze, führt sie unter der Nr. 31 ans. Es ist die mit breitem
Pinsel rasch entworfene Skizze eines in der königlichen Galerie ick London befindlichen
Gemäldes von P. P. Rubens, wonach Boydel 1763 einen Kupferstich gefertigt
hat. Diese merkwürdige „Landschaft" (hoch 4' 9", breit 7' 8") scheint eine Vedute
aus halber Vogelperspektive, eine niederländische Gegend. Im Vordergründe links
hohe Bäume, von einem Bache bespült. Rechts auf einem Hügel strohgedeckte Bauern-
häuser. Der Bach treibt eine Mühle im Mittelgründe, welcher durch ein Schloß und
andere Gebäude sowie durch seine Vegetation eine heitere Mannichfaltigkeit bietet,
^ine Stadt im Hintergründe scheint das Ziel der Landleute im Vorder- und Mittel-
gründe zu sein, welche auf Karren und Lastthieren Lebensmittel führen. Der zerrissene
Gewitterhimmel dxs Sommermorgens treibt zur Eile; wie denn das Bild in seiner
^isammtwirkung den Beschauer in eine unruhige Stiminnng versetzt. Herr von
sierstorpff hat es einst in Antwerpen, wo man es hoch schätzte, theuer erkauft.

Wenn dieses Bild als Seltenheit mehr den Kunstkenner reizt, zieht dagegen ein
arunter hängendes Prachtstück zunächst die Liebhaber an: Nr. I. des Katalogs, ze-
ichnet D. F. Franck 1635. (Höhe 5' 4", Breite 7- 5". Äuf Holz). Ich will es
etl „niederländischen Paris" nennen. Die Stadt Antwerpen hatte einst das Bild
ein würdiges Geschenk für ihren Bischof von Sierstorpff malen lassen. Friedrich
ovanck (der Sohn) hat denn auch in diesem Werke den Reichthum seiner Phantasie,
,e Kirnst seiner korrekten Zeichnung und den ganzen Zauber seines blühenden Pinsels
Aufgeboten, sowohl dem weltlichen Sinne der reichen Städter, welche das Bild be-
e tat, als dem geistlichen des ehrwürdigen Änpfängers zu genügen. Füglich könnte
^^hMer'sche Distichon:

) Vom Herrn Verfasser eingesandt.

Willst du zugleich den Kindern der Welt und den Frommen gefallen,

Male die Wollust, nur male den Teufel dazu,
auf dieses Bild verfaßt sein.

Die künstlerische Idee ist: das „Urtheil des Paris," aber durch Allegorie christia-
nisirt. Drei Reihen von Figuren, die größte etwa 1' hoch, breiten sich vor dem
Beschauer aus.. Die mittlere Reihe stellt die eigentliche Handlung dar: Paris, der
junge Hirt, mit dem Ausdrucke gänzlicher moralischer Willenlosigkeit dasitzend, em-
pfängt von der auf einer Kugel stehenden geflügelten Glücksgöttin den goldenen Apfel.
Vergebens scheint Merkur, zu seinem Ohre sich niederbeugend, ihn zur Klugheit bei
der Verschenkung des Apfels zu mahnen. Schon hat Venus sich seines linken Armes
bemächtigt, und Amor zielt nach seinem Herzen. Er wird dem Zuge nach den irdi-
schen Genüssen folgen, welche sich an der Venus Seite ihm darbieten. Neppige Frauen,
ein bekränzter Bacchus mit Silensformen, aus goldnem Becher trinkend, duftige Blumen
und — niederländische Austern in reichen Gefäßen laden zum Genuß. Er wird den
Freuden der Welt willenlos anheim fallen, dieser Paris von Antwerpen, obgleich etwas
tiefer, am Ende dieser Freudengruppe, ein kräftiger Alter mit der Sense — die Zeit —
nur zu bald den Erdenfreuden ein Ende zu machen droht. Dann werden des Sün-
ders die Schrecken harren, welche in der untern Fignrenreihe dargestellt sind. Da
thront nämlich in der Mitte, auf einem Drachen reitend, vor dem Höllenthore Satan
in grimmiger Majestät, in beiden Händen brennende Kränze darbietend.

Alle bisher benannten Figuren sind nackt, und sowohl die männlichen als weib-
lichen Gestalten sind meisterhaft modellirt und glänzend kolorirt. Man sieht, daß
dieses Mitglied der berühmten Malerfamilie Franck nicht vergebens in Venedig weilte.

Während Venus mit ihrem Gefolge sich bereits dieses Paris bemächtigt zu haben
scheint, erblicken wir in der Mittelreihe des Bildes, rechts von dem Jünglinge (links
vom Beschauer) eine zweite Gruppe, an deren Spitze Minerva, die (christliche)
Weisheit nebst allegorischen Personifikationen, dem Glauben, der Liebe (eharitas), der
Hoffnung, der Standhaftigkeit; — letztere in der Gestalt des Herkules. Vergebens
zeigt die Weisheit nach oben, nach der ersten Figurenreihe des Bildes, welche, durch
Gewölk von der irdischen Mittelreihe getrennt, den christlichen Himmel darstellt. Der
moderne Paris scheint die spirituellen Freuden desselben den kleinen Engeln nicht zu
beneiden, welche den hebräischen Namenszug Jehova musicirend umschweben, indeß
Andere Kronen und Kränze denen entgegen bringen, welche dem Rufe der christlichen
Weisheit folgen möchten.

Auch die dritte Göttin, welche Anspruch an den Apfel des Paris machte, die
Juno, durfte nicht fehlen. Auch sie tritt, mit ihrem Gefolge fast die linke Hälfte der
Mittelreihe unseres Bildes einnehmend, dem Paris verlangend entgegen. Doch auch
sie, die „Hoheitblickende" Spenderin weltlicher Macht, Ehren und Güter wird von
dem apathischen Jünglinge nicht beachtet. In dieser Partie haben wir vor allem die
Kunst der Grnppirung, die schönste Mannichfaltigkeit der Köpfe und die würdige Hall
tung so vieler prächtiger Männer aus verschiedenen Nationen zu bewundern, welche
im Gefolge der Göttin als die Repräsentanten stolzen Kriegesruhmes, weltlicher und
, geistlicher Herrschsucht aus einem Ruhmestempel sich hervordrängen.

Sofort tritt jedoch auch hier die moralisirende Allegorie des Künstlers hinzu.
Denn sowie rechts die Ueppigkeit der allmälig hinmähenden Sense der Zeit zum
Opfer fällt und in ihrem Repräsentanten, dem Amor, von schönen Bacchantinnen zur
Hölle, nach unten, getragen wird; so fällt hier links die weltliche Macht und Herr-
lichkeit einem pfeilbewaffneten, drohenden Gerippe anheim — dem gewaltsamen Tode. —
Wie nämlich dort rechts Saturn, so vermittelt hier links das Todtengerippe den
Uebergang von der Mittlern Reihe (des Lebens) zur unteren (der Hölle). Und sowie
rechts die Hinfälligkeit irdischer Wollüste in einer Procession zur Hölle dargestellt ist
durch vier liebliche Kinder, welche welke Blumen, Heu und Stroh streuen und die
Schlangen der Reue tragen, indem sie nach einem Schatten greifen: so wird hier
links der Götze des weltlichen Ruhmes, ein dekorirter Affe, von zwei Fanatikern der
Ehre zur Hölle getragen, indem sie ihrem Götzen mit Inbrunst die Rauchfässer schwin-
gen. Auch diese Procession ist von trefflich modellirten Kindern belebt, welche Todten-
köpfe und Kronen tragen, Seifenblasen werfen u. dergl. So gelangen denn, von
musicirenden Satyrn geführt, in der unteren Reihe unsres reichen Bildes von der
einen Seite die Thoren der Sinnenlust, von der anderen die Götzendiener des Ruh-
mes vor den Höllenrichter, um seine brennenden Kränze zu empfangen, während der
Himmel (in der oberen Reihe) ünbevölkert bleibt.

Vergebens würde ich versuchen, die Schönheit der Zeichnung, die Kraft und
Zartheit des Pinsels an diesem überreichen Kunstwerke (es enthält über 70 menschliche
Figuren) durch Beschreibung annähernd auszudrücken. Möge es mir gelungen sein,
die außerordentliche Komposition einigermaßen zu veranschaulichen.

In dem untern Theile des Bildes hat der Maler vor allem seinen Humor durch
treffliches Höllenbeiwerk: Spinnen Eidechsen, Kröten, Schlangen, Eulen rc. entwickelt,
während in grauenhaftem Ernste aus einer männlichen und einer weiblichen Caryatide
am Höllenthor dem Beschauer das laseiate ogm speranza entgegen tönt.

Die Bilder dieses jüngeren F. Franck sind selten. Ein ähnliches Bild von die-
sem Meister, sagt unser Katalog, doch bei weitem nicht von der Größe und reichen
Zusammensetzung, wird in der jetzt in München befindlichen Düsseldorfer Galerie
als eines der vorzüglicheren Stücke geschätzt und ist schon vor 100 Jahren für mehrere
tausend Gulden angekauft worden.
 
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