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Beilage zu M s der „Dioskuren"

Kunst-Institute und Kunst-Vereine.

Prozeß gegen den Redakteur dieser Blätter und den Redakteur der

Vossischen Zeitung, wegen „Beleidigung resp. Derläumdung der
Ausstellungskommission der König!. Akademie der Künste.

Fast alle Berichte, welche die hiesigen Zeitungen über den Prozeß gegen den
Redakteur dieser Blätter „wegen Beleidigung resp. Berläumdung der
Ausstellungskommission der Königl. Akademie der Künste" und gegen
den Redakteur der Vossischen Zeitung Herrn E. E. Müller „wegen Verbreitung
dieser Beleidigung" gebracht haben, sind, und zwar in wesentlichen Punkten,
mehr oder minder unrichtig. Ohne uns deshalb in eine Widerlegung und Berichti-
gung dieser Unrichtigkeiten im Einzelnen einzulassen, halten wir es doch zu unsrer
eignen Rechtfertigung für nothwendig, die Verhandlungen möglichst vollständig und
wahrheitsgetreu zu veröffentlichen.

In dem ersten, auf den 29. Januar anberaumten Termine waren als Zeugen
vorgeladen: der Bicedirektor der Akademie, Herr Prof. Herbig, der Sekretair der-
selben, Herr Geh.-Rath Dr. Tölken, und die Maler Herren Gärtner ünd Eybel,
als Mitglieder der Ausstellungskommission. Die Sitzung wurde mit Verlesung
der Anklageschrift seitens des Staatsanwalts eröffnet. Die Anklage betrifft einen
in der ersten Beilage der Nr. 206 der Vossischen Zeitung vom 3. September 1856
veröffentlichten, von dem Angeklagten Dr. Schasler verfaßten Artikel unter der Ueber-
schrift: „Die akademische Kunstausstellung I.", „in welchem mehre tadelnde Bemer-
kungen über Maaßnahmen der Ausstellungskommission, die zum Theil in Beleidigun-
gen resp. Verleumdungen derselben in Bezug auf ihren Beruf ausarten, enthalten"*)
seien. Die Anklage findet den Ton dieses Artikels „gereizt" und „verletzend" und
führt aus, daß „das Unterschieben von Zwecken, die dem Prinzip der Ausstellung fremd
sind, für die Kommission beleidigend seien" und daß, „da die Behauptung, mehrere
100 Bilder seien zurückgestellt worden, zugleich unwahr sei, die Beleidigung dadurch
den Charakter der Berläumdung erhalte. Indessen giebt die Anklage zu, „daß
einige Bilder zurückbehalten waren, weil sich deren Ausstellung augenblickliche Hinder-
nisse entgegenstellten," behauptet jedoch zugleich, daß dem Angeklagten Gelegenheit ge-
geben sei, sich davon zu überzeugen, er sich aber zu einem Widerruf nicht herbeigelassen
habe u. s. w. — Auf diese Ausführung sich stützend, beantragt die Anklage, „nach
§. 32—34 des Pr. Ges. und §. 102 und §. 156 des Str. G. B. gegen den Angeklag-
ten Schasler und nach §. 37 des Preßgesetzes gegen den Angeklagten Müller die
Untersuchung zu eröffnen."

Nachdem der Staatsanwalt die Anklageschrift verlesen und die Frage des Präsi-
denten, ob er noch etwas hinzuzufügen habe, verneint, richtete der Letztere die gewöhn-
lichen Fragen über Alter u. s. f. an die Angeklagten. Der Angeklagte Dr. Schasler
erklärt, daß er der Verfasser des Artikels sei und denselben an die Redaktion der Voss.
Z. zur Veröffentlichung eingesandt habe, daß seines Wissens auch diese Veröffentlichung
erfolgt sei. Auf die Frage, ob er erkenne, daß der Artikel beleidigend sei, antwortet
er verneinend. Der Angeklagte E. Müller erklärt, daß er mit dem Inhalt des Artikels
vollkommen einverstanden sei und ihn durchaus nicht für beleidigend halte. — Der
Rechtsanwalt Lewald giebt die Erklärung ab, daß er die Vertheidigung beider An-
geklagten übernehmen werde. Hierauf fragt der Präsident den Angeklagten S chasler,
ob er etwas zu seiner Vertheidigung zu sagen habe, und beginnt, als dieser bejaht,
einzelne Fragen an denselben zu stellen.

Angeklagte S.: „Herr Präsident. Ich möchte Sie ersuchen, mir statt der Be-
antwortung der einzelnen Fragen, welche Sie mir vorzulegen haben, zu gestatten, das,
was ich zu meiner Vertheidigung zu sagen habe, im Zusammenhänge vorzubringen.
Ohnehin dürften die Fragen, welche Sie au mich zu richten haben, der Art sein, daß
ich besser thue, ihre Beantwortung meinem Vertheidiger zu überlassen. Ich weiß nicht,
ob mein Wunsch zulässig ist. Ist er es nicht, so verzichte ich für jetzt auf das Wort."

Staatsanwalt: Ich glaube, daß dem Wunsche des Angeklagten nichts ent-
gegen steht.

Der Präsident bewilligt dem Angeklagten das Wort.

Angeklagte S.: Ich bin mit dem gerichtlichen Verfahren und namentlich mit
den seinen Definitionen des Gesetzbuches zu wenig bekannt, als daß ich die Absicht
haben könnte, die Anklage ihrer juristischen Logik nach widerlegen zu wollen. Wie ich
bereits bemerkt, werde ich diese Sorge meinem Vertheidiger überlassen. Der Stand-
punkt, welchen ich der Anklage gegenüber einnehmen will, ist ein ganz anderer, ein —
wenn ich mich so ausdrücken darf — höherer. Für mich handelt es sich in diesem
Augenblicke durchaus nicht um persönliche Differenzen, sondern um eine prinzipielle
Differenz: dort die Akademie mit ihren veralteten Institutionen, aber in offizieller
Berechtigung, hier die Presse, als Ausdruck des öffentlichen Urtheils über diese hinter
den Forderungen der Zeit zurückbleibende Einrichtung der Akademie. Als Bericht-
erstatter der Voss. Zeit., eines der weitverbreitetsten und einfiußreichsten Organe der
Presse — eine Stellung, deren Schwierigkeit und Verantwortlichkeit ich wohl kenne —
glaube ich verpflichtet zu sein, mich in diesem Augenblick als Vertreter der öffentlichen
Meinung gegenüber der Akademie zu betrachten. Und von diesem Gesichtspunkt allein
will ich einige Worte über die Anklage sagen.

*) Da der betreffende Artikel verurtheilt ist, so nehmen wir aus Rücksicht auf
das Preßgesetz Anstand, die inkriminirten Stellen hier wiederzngeben.

Und hier drängt sich mir zunächst die Frage auf: Ist es denn wirklich die Aka-
demie, welche sich durch meine Berichterstattung beleidigt gefühlt hat? Ist sie es, von
welcher der Antrag auf Erhebung der Anklage ausgegangen ist? Das betreffende
Schreiben an die Staatsanwaltschaft ist allerdings unterzeichnet: „Königl. Akademie
der Künste. Bicedirektor Herbig; Sekretair Dr. Tölken." Augenscheinlich waren
also diese beiden Personen entweder von der Akademie dazu beauftragt, oder sie
betrachteten sich als schlechthin berechtigteVertreter derselben, verpflichtet, auch ohne
besondere Autorisation einen solchen Schritt zu thnn. Das Erstere ist, wie ich erweisen
werde, nicht der Fall gewesen, das zweite wäre nur ein völliges Mißkennen ihrer Be-
fugniß. Die Akademie findet ihre volle und wahre Vertretung für alle akademischen
Angelegenheiten nur im Senat. Dieser ist das eigenttiche und allein beschlußfähige
Organ der Akademie und deinzufolge auch in allen Dingen, wo es sich um Vertretung
der Akademie im Ganzen oder einzelner Organe derselben, wie beispielsweise der Aus-
stellungskommission, handelt, ausschließlich maaßgebend. Der Direktor, resp. Vice-
direktor, der Sekretair, der Inspektor u. s. f. sind nur ausführende Beamte des Senats,
welche ohne Autorisation des letztem keinen offiziellen Schritt im Namen der Akademie
zu thun berechtigt sind. Ihre Befugnisse find im „Reglement für die Akademie vom
26. Januar 1790", worauf die.Staatsanwaltschaft zum Theil ihre Anklage gegen mich
basirt, genau vorgezeichnet. Nach §. 4 ist die Aufgabe des Direktors, für die „re-
gelmäßige äußere Ordnung in den Sitzungen des Senats", sowie dafür zu sorgen,
daß „die als Lehrer sungirenden Mitglieder der Akademie ihre Pflicht erfüllen", und
was den Sekretair betrifft, so legt ihm der Z. 21 die Pflicht auf, „die akademischen
Patente und Matrikel für die Scholaren auszusertigen, das Protokoll bei den Sitzun-
gen und die Korrespondenz zu führen u. s. f." Vom Senat dagegen heißt es in
Z. 6 und namentlich 8- 7, daß er „durch wirksame Berathschlagungen den Flor der
Künste und die Verbreitung des guten Geschmacks allenthalben in unfern Staaten zu
befördern sich angelegen fein lassen" und sonstige akademische Geschäfte ord-
nungsmäßig abthun" solle. Es scheint danach unzweifelhaft, daß die beiden ob-
genannten Personen, ohne vom Senat dazu autorisirt zu sein, keinerlei Berechtigung
hatten, im Namen der Akademie jenen Antrag zu stellen. Ich habe auf diesen Man-
gel an prinzipieller Berechtigung der Anklage schon in meiner Voruntersuchung hinge-
wiesen. Die Folge davon war, daß die genannten Herren nachträglich beim Senat
den Antrag stellten, die Klage in seinen! eignen Namen aufrecht zu erhalten. Dieser
Antrag ist vom Senat abgelehnt worden*). Der Senat mußte also wohl trif-
tige Gründe haben, um seine eignen Beamten, trotz des bereits geschehenen Schrittes,
zu desavouiren. Denn daß diese Ablehnung nach solchem Schritt einer Des-
avouirung gleichkommt, kann für keinen Unparteiischen zweifelhaft sein. Der Ein-
wand, daß es sich hier nicht um den Senat, sondern um die Ausstellungskommission
handele, als deren Vertreter sich die genannten Herren vielleicht betrachteten, erledigt
sich dadurch, daß die Ausstellungskommission selbst ja nur ein Organ des Senats ist
und ebensowenig wie ein einzelner Beamter desselben ohne besondere Autorisation
zu handeln befugt ist. Um übrigens die Richtigkeit meiner Augaben festzustellen, er-
suche ich den Herrn Präsidenten, die Zeugen zu fragen, ob ein solcher Antrag beim
Senat gestellt und ob derselbe abgelehnt sei.

Staatsanwalt: Ohne die Freiheit der Vertheidigung im Geringsten beschrän-
ken zu wollen, möchte ich doch den Angeklagten in seinem eigenen Interesse darauf
aufmerksam machen, daß die von ihm berührte Frage von keiner Wichtigkeit ist. Ob
ein solcher Antrag gestellt sei oder nicht, ist jetzt gleichgültig. Nachdem die Staats-
anwaltschaft einmal die Klage angestellt — und dazu war sie auch ohne jeden Antrag
berechtigt, ja verpflichtet — hat die Vertheidigung sich nur mit dieser von der Staats-
anwaltschaft angestellten Klage zu beschäftigen.

Angeklagter S.: Ich füge mich dieser Bemerkung, die ich als vollkommen
begründet anerkenne, und lasse demnach die Folgerungen auf sich beruhen, welche ich
aus den angeführten Thatsachen in Betreff der Motive, durch die jene Herren geleitet
worden, ziehen wollte. Es bleibt mir nur noch Zweierlei zu betrachten. Der eine
Punkt betrifft den thatsächlichen Inhalt des inkriminirten Artikels, der andere die
Form desselben.

Die Anklage bestreitet die Wahrheit meiner Behauptungeu. Um hiegegen zu ant-
worten, werde ich mir gestatten, das Sachverhültniß kurz darzustellen. Einige Tage
nach Eröffnung der Ausstellung waren von verschiedenen Seiten Klagen darüber laut-
geworden, daß die Äusstellungskommission mehre hundert Bilder in einem der ver-
schlossenen Säle zurückgestellt habe und daß sich auch solche darunter befanden, welche
mehre Wochen vor dem Eröffnungstage, ja sogar vor dem vorgeschriebenen Termine
eingesandt worden seien. Verschiedene Künstler hatten sich darüber bei mir beschwert.
In Folge dessen erschien mein Artikel Nr. 1, in welchem ich diesen Klagen einen öffentli-
chen Ausdruck gab. An demsell'en Tage wurden nunmehr plötzlich zwei Säle und ein
Korridor, mit Bildern angefüllt, eröffnet — ein thatsächlicher Beweis, daß
meine Behauptung der Sache nach richtig war. Ich war an demselben Tage — wenn
ich nicht irre, der 4. September — auf der Ausstellung anwesend, als Herr Professen
Eybel, den ich bis dahin zu kennen nicht die Ehre gehabt, mich in sehr heftigen
Weise in Gegenwart des Publikums wegen meines Artikels zur Rede setzen wollte,

*) Hienach berichtigt sich die Angabe verschiedener Zeitungen, daß der Antrag vom
Senat ausgegangen sei.
 
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