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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 12.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.13559#0047
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weise anderer Nationen selbst schöpferisch weiter auszubilden oder,
was dasselbe ist, sie in ihre eigene nationale Kunst umzuwandeln.
Und doch scheinen die enragirten Klassiker diese Hoffnung durchaus
noch nicht aufzugebcn. Schon die Römer, die es nicht so weit gebracht
hatten, einen selbstständigen, ihren nationalen Anlagen entsprechenden
Baustyl zu erfinden, und es daher für bequemer hielten, denjenigen
ihrer gebildeten Nachbarn zu annektiren, liefern hierfür einen Beweis.
Bei ihnen verlor die griechische Kunst jenen geeigneten Boden, auf
dem er allein gedeihen und weitere Blüthen treiben konnte, weshalb
er auch, statt sich weiter zu entwickeln und zu den alten Ordnungen
neue hinzuzufügen, sofort anfangcn mußte, zu degeueriren, was er

komponirt er, wenn er anders das nöthige Talent dazu hat, seine Stücke
ohne jede Disharmonie, taktfest und fehlerlos, ohne an die Regeln der Noten-
lagen und des Fingersatzes zu denken oder sich in Gedanken die Takte zu
zählen. Er erzeugt mit derselben Sicherheit die reinsten Töne, mit welcher
das Auge des geschulten Architekten die Verhältnisse seiner Fa?aden bestimmt
und ruft die feinsten Uebergänge und Tonfiguren mit ebenso künstlerischer
Freiheit hervor, wie der Architekt die feingeschwungenen Linien seiner
Profile und Arabesken hinzeichnet, ohne an deren mathematische Grundlage
zurückzudenken. Aber beiden würde dieses nicht gelingen, wenn sie die Gram-
matik ihrer Kunst nicht gründlich inne hätten. Im Uebrigen sind jedoch dem
Architekten weit bestimmtere Grenzen in seiner Kunstübung gesetzt, als dem
Musiker, weil dieser mit der Harmonie der Töne das ganze unendliche Feld
des Seelenlebens beherrscht, während der Architekt die Harmonie der Formen
und Massen nur bei einer bestimmten Gruppe des Körperlichen hervorzurufen
hat. Wie weit er sich dabei seiner Phantasie und seinem Gefühle, aus wel-
chen allein der erste künstlerische Entwurf entspringt, auch rücksichtlich der Ord-
nung , Gruppirung und Form- und Verhältnißbestimmung desselben über-
lassen kann, hängt natürlich meistens von dem durchgebildeten Gefühl und
der Individualität des Künstlers ab. Die deutsche Kunst scheint für alles
Das, was sie mit der Phantasie ersann, jedenfalls mit Rücksicht auf ihre
möglichst große Popularisirung, bestimmte Regeln für deren genauere Form-
gebung festgestellt zu haben, die (wenigstens im späten Mittelalter) nicht nur
die Fialen und Wimperge mit ihren Kreuzblumen, ans das Allergenaueste
jn Bezug auf Form und Größe bestimmten, sondern sogar für die Gestaltung
der Kirchenglocken die bestimmte Quadratur festsetzten. Man vergleiche hier-
über die vortrefflichen Meisterregeln des „Püchlein von der Fialengerech-
tigkeit" u. s. w. Sogar die Arabesken und Figuren für Friese u. s. w.
scheinen, nach einigen Bemerkungen Reichensperger's in seinem oben ange-
führten Werke zu urtheilen, im Mittelalter mit Hülfe eines geome-
trischen Netzwerkes entworfen zu sein, wofür sich einige Beispiele in dem
Manuskript des Architekten Billard aus Honnecourt befinden sollen. Wir
wollen hier noch darauf aufmerksam machen, daß diese geometrische Methode
der Gothik auch das einzige Kunstprincip ist, aus welchem der Ziegelrohbau
und der Fachwerksbau zur Blüthe gelangen kann, weil eben die Elemente
dieser Bauarten von gleichartiger geometrischer Bildung sind. Die Re-
naissance, die nur Quaderbauten kennt, mußte natürlich auch diese Bauten
als solche zu masqniren suchen, was ihr bei den Ziegelrohbauten vermöge
des zu diesem Zwecke erfundenen Putzes auch auf kurze Zeit zu gelingen
pflegte. Bei dem Fachwerksbau konnte sie diese Maske nicht so gut anbringen,
weshalb sie ihre Tyrannei dadurch auszuüben suchte, daß sie die griechischen
Verzierungen in Holz ausschnitzte und die oft so interessanten Holzbauten der
deutschen Bürger zuweilen mit Thür- und Thorpfosten versah, die (llorriblls
dictu) als jonische Säulen ausgeschnitzt sind.

auch mit ziemlicher Geschwindigkeit zu Stande brachte. Statt ein
reiner, sich direkt aus der Konstruction entwickelnder
Baustyl zu bleiben, wie er es bei den Griechen war, wurde er
bald zum bloßen Dekorationsstyl degradirt, weil die Römer, unbe-
kannt mit dem feinen Kunstschaffen der Griechen, denselben nicht für
ihre neuen Konstructionen umzuwandeln im Stande waren. Sie be-
hielten den aus der Steinbalkendecke entstandenen Styl bei und
brachten ihn als bloße Dekoration in eine durchaus unnatürliche Ver-
bindung mit ihren Wölbungen, in welcher die griechischen Säulen
meist nichts mehr zu tragen und ihre Gebälke keine Decke mehr zu
bilden hatten. Jn ähnlicher Weise entlehnte die Renaissance den
griechischen, von den Römern schon degradirten Baustyl; aber wie
die Sprachen dieser Völker todt und keiner neuen Belebung mehr
fähig sind, so mußte auch deren Formensprache nach allen möglichen
Versuchen, ihr neues Leben einznhauchen, endlich im krampfhaftesten
derselben, dem verschrobenen Rokoko, zu Grunde gehen. — Auch die
moderne Zeit sucht noch einmal dem großen griechischen Tobten deut-
sches Leben einzublasen, aber kaum hat ihm Schinkel das erneuerte,
rein griechische Gewand angezogen, so fängt man schon an, dasselbe
mit allerlei Schnörkeln und unpassenden Anhängseln zu verunzieren,
welche die unzweifelhaften Vorzeichen eines neuen Barockestyles sind.
Noch verlachen wir zwar die gewundenen Säulen und übrigen Wun-
derlichkeiten desselben, aber wir zweifeln durchaus nicht, daß,
wenn unterdessen nicht der echt nationale Baustyl in seine Rechte
tritt, man auch wieder zu diesen oder ähnlichen unnatürlichen Gestal-
tungen greifen wird, nachdem die allgebietende Mode, diese Feindin
jeder wahren Kunst, und der innere Trieb des Menschen, 'der ihn
unaufhörlich Neues zu ersinnen zwingt, uns zum zweiten (oder, wenn
wir die Aufnahnie des griechischen Styles durch die Römer als die
erste Renaissance bezeichnen, zum dritten) Male durch alle Phasen der
alle nationale Baukunst tödtenden Renaissance getrieben hat. Bis
dahin hat man Zeit genug, das frühere Hohnlächeln über den sog.
„Zopfstyl" zu vergessen, das heut zu Tage Mode ist. Haben doch
in noch kürzerer Zeit die Spötter der Gothik das Lachen verlernt!
Nachdem sich überhaupt die Baukunst von ihrer organischen Ent-
wickelung, die nur in der Ausbildung der nationalen Kunstprincipien
und deren Anwendung auf die stets neu entstehenden Konstruktionen
und Bedürfnisse wurzeln kann, losgesagt hat, ist sie besonders im Pri-
vatbau zur Modesache herabgewürdigt, für welche Paris, Berlin
und München die tonangebenden Städte find. Ebenso wie die mo-
dernen Kleidermoden das nationale Kostüm aufheben und ihre Motive
in allen Zeiten der Renaissance und des Zopfstyles zusammensuchen,
um uns von Paris aus als Neuigkeiten mitgetheilt zu werden, geht
es auch mit den modernen Bauten, für die wir, wenn wir genauer
zusehen, in der genannten Periode die oft sehr genauen Vorbilder
wiederfinden können. Es ist noch nicht lange her, daß die Reifröcke
der Damen ans Ludwig des XIV. Zeit und die gleichzeitigen kolos-
salen Mansardedächer für gleich häßliche Ungcthüme gehalten wurden.
Aber wehe dem, der sie jetzt noch verhöhnen wollte, da die ersteren
unter dem Namen der „Crinoline" schon eine Zeitlang Mode gewor-
den sind und die andern eben anfangen, in die Mode zu kommen.
_ (Fortsetzung folgt.)

Iriefkasten.

Herrn □ Korrespondenten in St. Petersburg. Ihrem
Wunsche (in dem letzten rekommandirten Briefe) gemäß kündigen wir Ihnen
also den Empfang der Korrespondenz an. Zuvor mußte jedoch erst der Schluß
der vorigen gedruckt werden. Das Gesandte gehört zu der Korrespondenz

in Nr. 2, hat also mit der in Nr. 3 nichts zu thun. Ihren letzten Brief
ebenfalls erhalten. Das Exemplar an Hrn. G. ist regelmäßig expedirt wor-
den. Eine Frage: Kennen Sie Herrn Naphthali und können Sie uns
seine Adresse angeben? Die Red.
 
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