vermauertU - Das Stuppacher Marienbild ist von links beleuchtet, ebenso,
und zwar stark von der Seite, Vorder- und Mittelgrund des Freiburger Bildes:
die Maria-Schnee-Kapelle in der Aschaffenburger Stiftskirche, darin der Altar
sich befand, hat nur an der linken Wand ein helles Fenster, rechts öffnet sie
sich gegen die dunklere Kirche.^ - Die Erasmus-Mauritius-Tafel ist von rechts
beleuchtet. Sie stand am Ostende des rechten, südlichen Seitenschiffes der
ehemaligen Stiftskirche zu Halle a. d. Saale,93 die als Hallenkirche nur Licht
von den Seitenschiffen her, hier also von rechts, erhält. - Der ursprüngliche
Standort der beiden Tauberbischofsheimer Tafeln in Karlsruhe ist nicht be-
kannt. Die Kreuzigung ist von rechts beleuchtet, die Kreuztragung jedoch,
welche die Rückseite der Kreuzigung bildete, von links. Vorder- und Rück-
seite sind also auf die gleiche Lichtquelle bezogen, die sich (von der Kreuzi-
gung aus gesehen) rechts vom Bilde befunden haben muß.
In der Abstimmung des Bildlichtes auf das reale Licht kündigt sich die
„Offenheit" des Bildraumes an, die grundlegend ist für die Raumstruktur
Grünewaldscher Gemälde.
III. DIE FARBIGE RAUMSTRUKTUR
Um die räumlichen Funktionen der Farben in den Bildern Grünewalds
richtig zu erfassen, ist es nötig, sich die Besonderheit der deutschen Raum-
struktur und der ihr zugrundeliegenden Bildvorstellung im allgemeinen zu
vergegenwärtigen.
O. Pächt hat in grundlegenden Arbeiten94 das Verständnis für sie erschlos-
sen. Seine Untersuchungen kommen zu folgenden zwei Hauptergebnissen:
1. Die Struktur des deutschen Bildes ist extrem ganzheitlich; alle Einzel-
formen bedingen sich gegenseitig. „In einem deutschen Bild muß jede Einzel-
form sich nicht nur als Projektion (Erscheinung einer Realität) ausweisen
können, sondern sie muß gleichzeitig als Korrelat und Produkt der in der
BildHäche benachbarten Formeneinheiten (d. i. anderen Erscheinungen) ver-
ständlich, also doppelt motiviert sein. Eine krumme Linie ist nicht einfach
die Erscheinung, das Bild eines runden Gegenstandes, sondern die Folge-Er-
scheinung der Einwirkung einer fremden, im Bilde gleich daneben sichtbaren
Macht, die den geraden Gegenstand krümmt. So hat der herkulische Christus
in Grünewalds Kolmarer Altar den ursprünglich geraden Kreuzesbalken zur
Bogenlinie herabgezogen . . . Man will nicht bloß die Gegenstände zeigen, wie
der Blick sie registriert, sondern ihre Entstehung, ihr So-Gewordensein ver-
ständlich machen . . ."9s 2. Der Betrachter steht diesem Kampfspiel der For-
men nicht distanziert gegenüber, sondern wird darin aufgenommen; er muß
in das Bild „e i n t r e t e n", wenn er es richtig verstehen will. Pächt weist
diese Eigentümlichkeit am Lukasbild vom Altar der ehemaligen Augustiner-
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und zwar stark von der Seite, Vorder- und Mittelgrund des Freiburger Bildes:
die Maria-Schnee-Kapelle in der Aschaffenburger Stiftskirche, darin der Altar
sich befand, hat nur an der linken Wand ein helles Fenster, rechts öffnet sie
sich gegen die dunklere Kirche.^ - Die Erasmus-Mauritius-Tafel ist von rechts
beleuchtet. Sie stand am Ostende des rechten, südlichen Seitenschiffes der
ehemaligen Stiftskirche zu Halle a. d. Saale,93 die als Hallenkirche nur Licht
von den Seitenschiffen her, hier also von rechts, erhält. - Der ursprüngliche
Standort der beiden Tauberbischofsheimer Tafeln in Karlsruhe ist nicht be-
kannt. Die Kreuzigung ist von rechts beleuchtet, die Kreuztragung jedoch,
welche die Rückseite der Kreuzigung bildete, von links. Vorder- und Rück-
seite sind also auf die gleiche Lichtquelle bezogen, die sich (von der Kreuzi-
gung aus gesehen) rechts vom Bilde befunden haben muß.
In der Abstimmung des Bildlichtes auf das reale Licht kündigt sich die
„Offenheit" des Bildraumes an, die grundlegend ist für die Raumstruktur
Grünewaldscher Gemälde.
III. DIE FARBIGE RAUMSTRUKTUR
Um die räumlichen Funktionen der Farben in den Bildern Grünewalds
richtig zu erfassen, ist es nötig, sich die Besonderheit der deutschen Raum-
struktur und der ihr zugrundeliegenden Bildvorstellung im allgemeinen zu
vergegenwärtigen.
O. Pächt hat in grundlegenden Arbeiten94 das Verständnis für sie erschlos-
sen. Seine Untersuchungen kommen zu folgenden zwei Hauptergebnissen:
1. Die Struktur des deutschen Bildes ist extrem ganzheitlich; alle Einzel-
formen bedingen sich gegenseitig. „In einem deutschen Bild muß jede Einzel-
form sich nicht nur als Projektion (Erscheinung einer Realität) ausweisen
können, sondern sie muß gleichzeitig als Korrelat und Produkt der in der
BildHäche benachbarten Formeneinheiten (d. i. anderen Erscheinungen) ver-
ständlich, also doppelt motiviert sein. Eine krumme Linie ist nicht einfach
die Erscheinung, das Bild eines runden Gegenstandes, sondern die Folge-Er-
scheinung der Einwirkung einer fremden, im Bilde gleich daneben sichtbaren
Macht, die den geraden Gegenstand krümmt. So hat der herkulische Christus
in Grünewalds Kolmarer Altar den ursprünglich geraden Kreuzesbalken zur
Bogenlinie herabgezogen . . . Man will nicht bloß die Gegenstände zeigen, wie
der Blick sie registriert, sondern ihre Entstehung, ihr So-Gewordensein ver-
ständlich machen . . ."9s 2. Der Betrachter steht diesem Kampfspiel der For-
men nicht distanziert gegenüber, sondern wird darin aufgenommen; er muß
in das Bild „e i n t r e t e n", wenn er es richtig verstehen will. Pächt weist
diese Eigentümlichkeit am Lukasbild vom Altar der ehemaligen Augustiner-
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