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rein gefügten Massen gothischer Dome, in denen der mensch-
liche Geist sich eine der erhabensten Wohnstätten, würdig sie
mit der Gottheit zu theilen, erbaut hat. I»r. E. Braun.

Einige Bedenken über Raphael's Kreuztragung, nach
Massgabe der Schlesinger'schen Kopie.

Der folgende Aufsatz ist, wie das Datum angiebt, schon
vor zwei Jahren geschrieben. Ich hatte ihn für das Stuttgarter
Kunstblatt bestimmt, ihn aber wieder zurückgenommen, da er
möglicher Weise zum Streit Veranlassung geben konnte, ohne
doch sofort zu einem die Sache abschliessenden Resultat zu
führen, üeberdies war die Zeit von so viel gewichtigeren
Streitfragen bewegt, dass man den Frieden im eignen Hause
doppelt gern bewahrte. Indem ich den Aufsatz jetzt, bei der
Eröffnung des neuen Kunstblattes, wieder zur Hand nehme, will
es mich doch bedünken, dass das darin Angeregte einer an-
derweiten Beachtung nicht unwerth sei. Möge die Ketzerei
also (wenn es eine ist) in die Welt hinausgehen! Die Wissen-
schaft will ja den Zweifel, um durch die Kritik zur Wahrheit
— oder doch in die grösstmögliche Nähe der Wahrheit — zu

kommen'). _______

Berlin, 15. April 1848.
Wir hatten in diesen Wochen politischer und socialer Wirr-
nisse und Stürme hier am Ort eine künstlerische Ausstellung,
die immerhin geeignet war, das beschauliche Gemüth aus dem
Drang der Gegenwart in den Kreis idealer, durch ihre histori-
sche Abgeschlossenheit zu einer um so ernsteren Sammlung
führender Interessen hinüberzuleiten. Es war eine Anzahl, zum
grössten Theil im königlichen Besitz befindlicher Kopien nach
Raphael, die, im Ganzen vierzig Gemälde, in der Rotunde des
Museums aufgestellt waren. Bis auf wenige Ausnahmen nach
Staffeleigemälden des grossen Meisters ausgeführt, gaben sie
eine so genussreiche wie belehrende Uehersicht über die ver-
schiedenen Epochen seiner Wirksamkeit, von seiner, unter Pe-
rugino's Leitung emporblühenden Jugend an bis zu seinem Tode.
Die Kopien waren freilich von sehr verschiedenartigem Werth;
gaben einige das Bild des Meisters nur wie in einem trüben,
andere gar wie in einem übel geschliffenen Spiegel wieder, so
wehte uns aus der Mehrzahl doch sein Geist in erfreulicher
Frische entgegen, und vor Allem hatten wir in Hensei's Kopie
der Transfiguralion, der bisher in der Charlottenburger Schloss-
kapelle kein sehr günstiger Platz zu Theil geworden ist, aufs
Neue eine Arbeit zu bewundern, wie sie die nachbildende Kunst
gewiss nur selten hervorgebracht hat. Eine Reihe von Kupfer-
stichen, theils solche, die Marc Anton nach Zeichnungen Ra-
phael's gearbeitet, theils neuere Blätter nach seinen vatikani-
schen Fresken, reihten sich an, auch mehrere Originalhand-
zeichnungen (fast alle aus dem königlichen Kupferstichkabinet),
unter denen besonders der wundervolle, mit der Feder gezeich-
nete Entwurf zu dem Fischzug Petri (die zu den Tapeten ge-
hörige Composition) stets nur mit erneuter Lust betrachtet wer-
den konnte. Noch weiter vermehrt wurde die reiche Schau
durch die Tapeten, die, mit den bekannten vatikanischen Ta-

1) Eine Bestätigung meiner ketzeriscben Ansicht findet sich in der neue-
sten Kritik des Originalgeniäides von Raphael, von dem hier die Rede ist.
Auch Herr von Quandt, in seinen „Beobachtungen und Phantasien über
Menschen, Natur und Kunst auf einer Reise durch Spanien, Leipzig 1850",
die mir so eben in die Hände fallen, erklärt sielt dahin, dass der Kreuztra-
gung nur eine flüchtige Skizze von Raphael zu Grunde liege. Die Ausfüh-
rung des Bildes schreibt er jedoch, abweichend von meiner oben ausge-
führten Hypothese, dem Francesco Penni zu. (Man vergl. seine Darstellung
auf S. 240 (f. des genannten Werkes.)

peten (erster Folge) gleichzeitig gefertigt und mit ihnen von
gleichem Werth, vor einiger Zeit für das hiesige Museum er-
worben und kürzlich über der Gallerie der Rotunde, in sehr
stattlicher, aber nicht ebenso zweckmässiger Weise, aufge-
stellt sind.

Unter den Kopien der Staffeleigemälde befand sich auch
die Kreuztragung (Spasimo di Sicilia), die in jüngster Zeit durch
den Professor Schlesinger, Restaurator der Geinäldegallerie
des Museums, im Auftrage des Königs nach dem in Madrid
befindlichen Originale angefertigt ist. Bei der grossen Bedeu-
tung und dem grossen Ruf, den diese Composition unter Ra-
phael's sämmtlichen Arbeiten hat, bei der weiten Entfernung
des Originals, die die meisten von uns auf unmittelbare Be-
kanntschaft mit demselben verzichten lässt, bei der anerkannten
Meisterschaft Schlesingers in der Wiedergabe der Eigenthüm-
lichkeiten der alten Meister, waren die hiesigen Kunstfreunde
auf die Erscheinung und öffentliche Ausstellung der Kopie leb-
haft gespannt gewesen. Man fand aber nicht, was man er-
wartet hatte, und ein ziemlich allgemeines Missbehagen war
unverkennbar. Viele wussten gar nicht, was sie aus einem
Bilde machen sollten, das so auffallend von der raphaelischen
Behandlungsweise abwich. Einige trösteten sich kurzweg und
meinten, es sei eben eine missrathene Kopie; Andere deuteten,
nicht ganz ohne sarkastische Bemerkungen, darauf hin, dass
der berühmte Restaurator wohl die Absicht gehabt habe, uns
einmal auf eclalante Weise zu zeigen, wie Raphael's Bilder,
ehe Zeit und Unverstand sie in ihre dermaligen Zustände ver-
setzt, ursprünglich beschaffen gewesen seien, oder vielleicht
gar:. wie Raphael eigentlich hätte malen sollen. Auf mich, ich
bekenne es unumwunden, hat die Kopie bei allem Befremdlichen
einen sehr entschiedenen, ich möchte sagen: zuversichtlichen
Eindruck gemacht und sich in diesem bei längerem und wie-
derholtem Beschauen immer fester behauptet; sie hat mir manche
Bedenken, die mir schon bei Betrachtung der Kupferstiche der
Kreuztragung aufgestiegen waren, auf die ich aber bis dahin
kein sonderliches Gewicht legen mochte, bestätigt und näher
motivirt, so dass ich in der That nicht allzuviel zu wagen
glaube, wenn ich aus ihr einen Rückschluss auf das Original
mache. Allerdings kommt es hiebei zunächst in Frage, in
wieweit überhaupt der ursprüngliche Zustand des letzteren noch
erhalten und erkennbar sein mag. Schon die Mirakelgeschichte,
die Vasari von demselben erzählt: wie das Bild gleich nach
seiner Vollendung, also mit noch ziemlich frischen und ver-
letzbaren Farben, nach Palermo eingeschifft worden und wie
es, als das Schiff mit Mann und Maus untergegangen, in seiner
Kiste den weiten Seeweg nordwärts nach Genua zurückgelegt
habe, — schon dieser Umstand dürfte uns schliessen lassen,
dass es mit der ursprünglichen Beschaffenheit desselben eine
kritische Sache sei; da die Hauptsache des Mirakels aber eben
darin bestand, dass das Bild trotz aller ätzenden Kraft des
Seewassers völlig unverletzt an der genuesischen Küste lan-
dete, so werden wir hiebei unser kritisches Bedenken ausser
Spiel lassen müssen, sollten wir auch in rationalistischer Aus-
legung der ehrwürdigen Tradition gar zu der gewagten Hypo-
these kommen, dass nicht die Kiste allein, sondern mit ihr zu-
gleich das solide Transportschiff den unbeabsichtigten Weg nach
Norden"gemacht habe. Dann wissen wir, dass das Bild, als
es nach Paris gebracht war, dort von dem Holz auf Leinwand
übergetragen ist, und wir können somit leicht auf die Vermu-
thung kommen, dass diese schwierige Manipulation doch viel-
leicht starke Verletzungen hervorgebracht und in Folge dessen
bedeutende Uebermalung nöthig gemacht haben dürfte. Aber
wir kennen genug andre Bilder, bei denen diese Operation mit
mehr oder minder gutein Erfolge vorgenommen ist, ohne doch,
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