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der künftigen schmerzlichen Geschicke angedeutet ist, so wusste
die tiefe Empfindung des Meisters auch die landschaftliche Um-
gebung mit gleicher Stimmung zu beseelen. Es scheint uns
aus dem Bilde ein früher thauiger Morgen anzuwehn; in tiefem
Blau wölbt sich der Himmel über der Landschaft, auf der eine
feierliche Sabbathstille ruht, noch von keinem grellen Lichte
des kommenden Tages gestört. Nur in der Ferne naht Joseph
und so wird auch diese Einsamkeit auf sinnige natürliche Weise
belebt. Neben diesen geistigen Schönheiten des Gedankens
zeichnet sich die Malerei durch sichre breite Behandlung aus;
die Zeichnung der nackten Theile ist von grosser Vollendung
und das Colorit eben so warm und durchscheinend im Kopfe
der Maria und im Christkinde, wie kräftig und frisch im klei-
nen Johannes.

Aber noch existiren drei Gemälde mit demselben Gegen-
stande und sämmtlich Raphael zugeschrieben. Das eine davon
befindet sich im Museum im Haag und ist erst vor wenigen
Jahren, früher der Sammlung Lucian Buonaparte's angehörig,
in den Besitz des Königs von Holland übergegangen. Ich machte
in Gesellschaft des Herrn Professor De Laet die Reise dorthin,
um auch dieses Bild kennen zu lernen. Das Resultat unsrer
Beobachtungen war Folgendes: Das holländische Bild mag bei
seinem ersten Anblicke, besonders auf den Nichtkenner, einen
freundlichem Eindruck machen, als das Antwerpner. Der Grund
liegt in seiner heiterer lichteren Haltung und besonders in der
lichtblauen Luft und Ferne und den brillanteren Farben der
Gewänder, leider rührt aber diese Frische der Farbe grossen-
theils von neueren Uebermalungen her. Unbestritten steht da-
her das Antwerpner Bild dem Haager an ursprünglichem Werthe
voran, so wie es dasselbe auch durchgehends an innerer Schön-
heit überbietet. Die Züge der Maria sind im Haager Bilde im
hohen Grade lieblich, aber auf Kosten höhern religiösen Aus-
druckes. Alles im Marienkopfe ist mehr zierlich und klein,
während im Antwerpner Bilde der Marienkopf bei seiner Zart-
heit doch jene grossen breiten Züge trägt, die die besten Ma-
donnenköpfe Raphaels stets charakterisiren. Ich möchte sagen,
der Kopf der Haager Madonna wird mehr das Auge befriedigen,
der der Antwerpner mehr zur Seele sprechen. Dieses Unter-
scheidungszeichen geht durch -alle Theile beider Bilder hin-
durch: so ist alles Nackte im Holländer Bilde viel weniger
streng und korrekt als blos gefällig gehalten; das schlafende
Christkind verräth weit weniger in Form und Ausdruck jene
Göttlichkeit, die in dem herrlichen Köpfchen und den reinen
Körperformen des Antwerpner Christkindes ausgeprägt ist und
vor Allem ist das Johannisköpfchen im Holländer Bilde im Aus-
druck schwach und fast unschön, während es im Antwerpner
eine der schönsten Parthien des ganzen Bildes ausmacht und
jedem Zuge desselben der Stempel der Meisterhand des grossen
Sanzio aufgedrückt ist. Ebenso unterscheidet sich vortheil-
haft das Antwerpner Bild vor dem Holländer in den Gewändern,
deren Falten besonders im blauen Mantel der Maria bei erste-
rem schöner und charakteristischer gelegt sind. Auch ist unter
dem Mantel auf dem Kopfe der Maria noch ein feiner durch-
sichtiger Schleier sichtbar, der auf dem Haager Bilde fehlt.
In der Landschaft sind ebenfalls geringere Abweichungen bei-
der Bilder zu bemerken.

Das zweite Bild mit demselben Gegenstande aus der Samm-
lung des Herrn Brocca zu Mailand ist beschrieben in der Isto-
ria della vita et delle opere di Raffaetto Sanzio da Vrbino del
S. Quatremere de Quincy, und ist auch durch den Stich
von Longhi und Toschi bekannt. Es stimmt bis in die klein-
sten Theile mit dem Haager Bilde überein, ohne jedoch dessen
schöne Farbe zu haben, auch erreicht der Marienkopf den hol-
ländischen durchaus nicht in seiner Lieblichkeit. Es war ur-

sprünglich rund, gleich wie das Haager Bild es noch heute ist,
wurde aber in ein Viereck umgewandelt, während das Ant-
werpner Bild stets viereckig gehalten war, welcher Form auch
die Anordnung der ganzen Composition am meisten entspricht.

Das dritte Bild desselben Gegenstandes besitzt die Gros-
venorgalerie, Eigenthum des Marquis von Westminster in Lon-
don. Dasselbe ist ebenfalls im viereckigen Format, hat schö-
nen Ausdruck in den Köpfen, doch trübe Färbung und mag
aus einer späteren Zeit herrühren, gleich wie auch das Mai-
länder Gemälde von erprobten Kennern als unächt erkannt wurde.

Aus diesen Bemerkungen mag einfach hervorgehen, dass
die Madonna des Hrn. Wuyts zu Antwerpen unter ihren Schwe-
stern das erste Recht hat, in reiner Ursprünglichkeit und Schön-
heit auf den Namen des Meisters Anspruch zu machen, dessen
göttliche Kunst in all seinen Werken unverkennbar ist.

Nürnberg im März 1850. Fr. Wagner.

Das Geburtsjahr Gerhard Don's.

(Schreiben an den Herausgeber des Deutschen
Kunstblatts.)

Ich erlaube mir, Sie aufmerksam au machen auf einen
nicht unerheblichen Widerspruch zwischen den gewöhnlichen
Angaben der Malerbiographieen und einer Inschrift, die sich
auf dem Meisterwerke Gerhard Dou's, der berühmten Was-
sersüchtigen, im Museum des Louvre, befindet. Diese für
das Geburtsjahr entscheidende Inschrift ist meines Wissens nie
genau untersucht und richtig mitgetheilt worden. Smith, in
seinem Caialogue raisonne, I. p. 3, sagt, jenes Gemälde sei
von 1655 datirt, und Waagen, „Kunstwerke und Künstler" etc.
III. S. 594, hat darauf den Namen des Künstlers nebst Aet. 65.
1678 gelesen. Beide Angaben sind durchaus unrichtig. Weder
Smith, noch Waagen hatte vermuthlich die dazu gehörige Er-
laubniss, die Bezeichung des Bildes einer näheren Prüfung zu
unterwerfen. Die Inschrift befindet sich an dem Schnitte des
aufgeschlagenen Buches, welches auf dem am Fenster stehen-
den Pulte liegt; sie ist in holländischer Sprache abgefasst und
lautet in treuer Abschrift wie folgt:

•1663. vpov . ovt . 65 . jasr.

(d. h. 1663. G. Dou, alt 65. Jahr.)
Die stehenden Angaben der Malerbiographen gerathen, wie Sie
sehen, in bedeutenden Konflikt mit dieser unzweifelhaft echten
Inschrift; denn hiernach wäre Gerhard Dou nicht 1613, sondern
15 Jahre früher, 1598 geboren. Houbracken geht freilich in
seiner Bestimmtheit so weit, dass er Gerhard Dou's Geburtstag
meldet, welchen er auf den 7. April 1613 ansetzt, als hätte er
den Taufschein gesehen; aber die alten Malerbiographen sind
bekanntlich oft sehr unzuverlässig und willkürlich in Angaben
von Daten und Jahreszahlen. Gerhard Dou's eigenhändiges
Porträt in der Pinakothek zu München stimmt mit der ange-
führten Inschrift überein; jenes Porträt ist in demselben Jahre
wie die Wassersüchtige gemalt, 1663, und Gerhard Dou hat
darin das Aussehen nicht sowohl eines Fünfzigers, als eines
Mannes, der über sechzig Jahre alt ist. Ich kenne aus eigner
Anschauung kein anderes authentisches und mit dem Datum be-
zeichnetes Bildniss dieses Künstlers, welches der Angabe Hou-
bracken's, Sandrart's und sonstiger Malerbiographen ebenso ent-
schieden widerspricht. Die muthmasslichen Autoporträts Ger-
hard Dou's, zumal die zahlreichen Violinspieler, die an-
geblich diesen Künstler vorstellen sollen, können nicht in Be-
tracht kommen und belegen nichts, weder für noch gegen
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