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neu, obwohl mit dem Wort idyllisch nichts Schäfermässiges be-
zeichnet sein soil.) Aber wie Viele irren noch in unwirtlichen
Wüsten, ohne das Kanaan zu schauen, das doch so nahe liegt!
Mit schlichten Worten, die Zahl solcher Werke ist diesmal ge-
ring gegen die, welche Stoffe anderer Art behandeln. Wir er-
wähnen zuerst Wichmanns „Wahrsagerin" (Gypsmodel).
Eine anmuthige Gruppe zweier hübscher Mädchen, von denen
die eine die Wahrsagerin spielt. Denn aufrichtig gesagt, so
gut sie die Gesten eines Zigeunerkindes nachmacht, fehlt ihr
doch gerade so viel Hexenhaftes und Abenteuerliches zu einer
ernsthaften Wahrsagerin, als dem andern schönen Kind Spannung
und Aberglauben zu einer ernsthaften Zuhörerin mangelt. Kurz,
es gebricht dem Werke an dem, was gerade dem Genre Noth
thut, an prägnanter Charakteristik, die allen Humor einer Si-
tuation liebevoll ausbeutet. Die Poesie des Vorganges ist nicht
zu ihrem Recht gekommen, so dass es erscheint, als sei sie
erst gelegentlich und nachträglich hinzugekommen, als der Künst-
ler, der eine Mädchengruppe bilden wollte, um die Haltung der
Arme verlegen gewesen. Hätte er diese Arme, die so zierlich
sind, sich einfach innig umschlingen lassen, so würden „die
Freundinnen " erreicht haben, was der „ Wahrsagerin " nicht ge-
lingt — uns zu erwärmen. Ueber das Machwerk ein Wort
verlieren, wäre ein Zweifel an Wichmann's Talent. Nur der
eine, schon früher bemerkte, Missgriff, dass er Gewandung an-
bringt, die nur fest liegt, wenn sie aus Einem Stück mit dem
Körper besteht, verdunkelt in etwas die Reinheit der Arbeit. —
E. Wolfs „spinnendes Mädchen in Marmor" entbehrt nun aber
jener Schönheit der Linien, die uns bei dem Wichmann'schen
Werk für so Manches entschädigt. Wir fordern alle kleinen
Mädchen Europas — die türkischen vielleicht ausgenommen —
zu dem Versuch auf, ob sie in dieser Stellung einen Faden von
nur einer halben Elle zu Stande bringen können. Das wunder-
liche Lächeln der kleinen Spinnerin macht den Eindruck, als
habe sich das lebende Model des Künstlers über das gelungene
Kunststück gefreut, die Glieder nach den kümmerlichen Massen
eines beliebigen Marmorblocks in diese Lage zu zwingen. Aber
wie muss ihm das Steifhalten des kleinen Rückens sauer ange-
kommen sein! Wir bedauern, dass all diese überwundenen
Schwierigkeiten und der viele Fleiss des sonst glücklichern Mei-
sters einen so wenig erquicklichen Erfolg gehabt haben.

H. Berges' Marmorstatue eines Mädchens, welches bei Ab-
legung des Gewandes in die Ferne blickt, hat ein einfaches,
schickliches Motiv, das durch die über den Augen gehaltene
Hand Gelegenheit zu einem hübschen Spiel des Schattens gab.
Nur ist dem Künstler an dem sonst überaus fieissig modellirten
schlanken Körper die Brust vielleicht zu hoch gerathen, wodurch
eine langweilige Leere bis zur Hüfte entsteht. Tadelloser ist
G. Frühs Schmetterlingsfängcr (von Fischer gegossen und ci-
selirt). Ob er auf diese Art — die in der Plastik scheint ty-
pisch geworden zu sein — viel Beute bei seiner Jagd machen
wird, ist gar zweifelhaft. Indessen kommt es auch hier auf die
Schmetterlinge weniger an, als auf die jugendlichen Gestalten,
die in der Attitüde des Beschleichens immerhin eine eigene An-
muth entwickeln.

Caspar Müller hat eine Genovefa im Model ausgestellt,
die uns völlig misslungen scheint. Die Mutter ist noch leidlich
Wohlgestalt, aber ihr Kind eine wahre Missgeburt, und die Hirsch-
kuh hat einen Hals wie ein Pferd. Zudem ist es widernatürlich,
dass die Mutter den Säugling am Euter der Hinde so sich selbst
überlassen und nicht vielmehr niederknien sollte, ihm das Ge-
schäft zu erleichtern. Warum wendet der Künstler nieht die
geringe Mühe der Phantasie auf, einen Vorgang völlig durch-
zudenken. Wie viel neue Bezüge würden ihm aufgehen, an-
statt dass er jetzt, wo er von einem augenblicklichen Einfall

aus eine Gruppe zurechl baut, der Schönheit und Wahrheit zu-
gleich vor den Kopf stösst.

Das mangelhafte Durchdenken des Lebens, diese Trägheit
der umsuchenden Phantasie trägt die Schuld, dass das ganze
Gebiet des Genre so dürftig angebaut ist. Denn dass die Phan-
tasie den Bildhauern überhaupt ausgestorben sei, ist Gottlob!
erlogen. Sie liegt nur in einem dumpfen Halbschlummer, bis
die Allegorie kommt und sie rüttelt. Und dann greift sie
mit den noch schlaftrunkenen Augen oft nach dem Allerver-
kehrtesten.

Allegorie, sagten wir. Die Künstlichkeit, mit der die mo-
derne Bildung auf ihre Löcher die buntfarbigsten Lappen ge-
flickt hat, hat es zu verantworten, wenn wir für eine ganze
Klasse von Kunstwerken keinen schlagenderen Namen zu finden
wissen. Wir leben nicht mehr in den glücklichen Zeiten, wo
die Religion dem einfachsten Menschen einen Katechismus der
Kunst-Symbolik an die Hand gab, wo es nur darauf ankam,
bei neuen Schöpfungen die alten Zeichen verständig zu com-
biniren, um verständlich zu sein. Aus einem halben Dutzend
Mythologien sind uns einige Dutzend Gestalten und Attribute
geläufig geworden, dem einen diese, dem andern jene, und es
ist ein eben so grosser Zufall, wenn ein symbolisirendes Bild-
werk verstanden wird, als wenn zwei Menschen, die von der-
selben Sprache jeder einige Brocken aufgefischt haben, zufällig
dieselben Brocken erhaschten.

Denn eine Sprache ist allerdings die Symbolik, aber heut-
zutage oft die Sprache Talleyrands, die dazu dient, Gedanken zu
verbergen. Oder hätte der Freiherr vonPrintz sich uns
verständlich machen können ohne den Dolmetscherdienst des
Katalogs? Das eine seiner beiden runden Basreliefs stellt eine
Schaar spielender Kinder dar, die in der Luft neben einander
schweben. Zwei zornige Bürschcheh balgen sich wacker ab
und werden von einem weiblichen Genius, der mit seinem un-
thätigen männlichen Gefährten die Kinder beaufsichtigt, zur Ruhe
gewiesen. — „Und das findet man undeutlich? Nichts ist klarer,
als dass dieses Bild über der Pforte^eiper Anstalt für verwahr-
loste Kinder, oder auch einer blossen Kleinkinderbewahranstalt
aufgestellt werden soll. Und wenn das nicht, so wird es irgend
einem Gymnasium zur Zierde dienen, und der Jüngling neben
dem weibliehen Wesen deutet auf den Director, der. sich auf
den Genius der Pädagogik stützt." — Aber das zweite Relief,
das augenscheinlich den Gegensatz bilden soll, drei Reiter mit
wilden Geberden und Fackeln? — „Nun? und das wäre ver-
wickelter zu lösen? Wer begreift nicht, dass es die bösen Fol-
gen der Nachlässigkeit darstellt, mit der manche Eltern ihre
Kinder nicht zur Schule halten. Da wachsen sie denn zu wil-
den Rangen auf, die Mordbrennereien treiben und den ganzen
Tag auf dem Pferde liegen." — Gut. Das gäbe Alles einen
leidlichen Sinn. Aber wie übersetzt nun der dolmetschende Ka-
talog diese doppelsinnige Sprache? Er sagt: Zwei Basreliefs,
Krieg und Frieden darstellend. Haben wir uns nun unserer
prosaischen Deutung zu schämen, oder muss Herr von Printz
roth werden? Wir entscheiden hier nicht, weil wir Partei sind.
Aber so viel wissen wir, dass die Rälhsel schlecht sind, die
doppelle Lösung zulassen. Und hier hat der Künstler nichts ge-
than, um uns gleich von vorn herein auf die poetischere zu
bringen, auch in der Ausführung nicht, denn die Kinder sind
nicht bloss im Scherz verwahrlos'! zu nennen, und ein seltsam
mohrenhafter Typus ist allen Gesichlern eigen. Ferner aber
dünkt uns auf dem Relief des Krieges die Composition schon
im Gröbsten mangelhaft, indem der mittlere Reiter kümmerlich
zwischen die andern eingeklemmt und fast um eine Kopflänge
niedriger angeordnet ist.

Es ist keine Bosheit, wenn wir neben dies missrathene
Bildbeschreibung
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