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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0162
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Zeitschrift

für bildende Kunst, Baukunst und

Kunjlgewcrbe.

Hrgan

der Kunstvereine von

Deutschland.

Unter Mitwirkung von

Kugler in Berlin — PassavanL in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Düsseldorf — Schnaase

in Berlin — Förster in München — Eitelberger v. Edelberg in Wien.

Lrdigirt m /. Eggers in Drrlill.

Man abonnirt in Berlin bei Heinrich Schindler, Köpnickerstraße Nr. 92,

in London bei Williams u. Norgale, in Copenhagen bei C. A. Reitzel,

„ «Paris bei F. Klincksieck, „ Brüssel bei C. Muquardt,

„ «Petersburg bei Eggers u. Co., „ New-Bork bei Wettermann ü. Co.,

„ Stockholm bei Bonnicr, „ Rom bei I. Spithöver,

so wie in allen Buchhandlungen und Postämtern des 2n- und Auslandes für den vierteljährlichen

Preis von 1 Thlr. 20 Sgr. incl. aller Beilagen.,

1. Mai 1856.

Inhalt: Acht Tage in Preußen. Von W. Lübke. (Schluß.) — Kunsttitcratur. Die deutsche Glasmalerei. Geschichtlicher Entwurf mit Belegen von Wil-
helm Wackernagel. W. Lübke. — Zeitung. Berlin. Wien. Göttingen. Ulm. Lille. Amsterdam. — Kunstvcreine. Kölnischer Kunstverein. Bildung
von Zweigvereinen. — Briefwechsel.

Literatur- Blatt Nr. 9. König Jerome's Carneval. Geschichtlicher Roman von Heinrich König. — Der Fürst „Mein Liebchen" und seine Par-
teigänger. Historischer Roman aus der letzten Hälfte des 18. Jahrh. von W. Bach mann. — Nene Erscheinungen. — Zeitung.'

Acht Tage in Preußen.

Von W. Lübke.

(Schluß.)

Mit der Eisenbahn erreichten wir von Danzig aus in kurzer
Zeit Dirschau, wo Rast gemacht wurde, um die großartigen An-
stalten und Vorbereitungen zum Brückenbau zu betrachten. Es ist
charakteristisch für das' Wesen unserer Zeit, daß jetzt einer bisher
hinter dem übrigen Weltgange in mancher Beziehung zurückgebliebe-
nen Provinz die Eisenbahn den Impuls zu rascherer Entfaltung
bringt. Dirschau und Marienburg, so nahe benachbart und doch in
ihrer Bedeutung für die Kulturentwicklung um Jahrhunderte getrennt,
bieten das interessanteste Thema zu einer Vergleichung dar.

So jung aber die Bedeutung Dirschau's ist, so fehlt es der
Stadt doch auch nicht an Spuren des Kulturlebens vergangener
Zeiten. Eine kurze Rast, die uns nach dem gemeinsamen Mittag-
essen vergönnt wurde, ehe die Wagen zu unserer Weiterreise nach
Marienburg bereit waren, benutzte ich zu einem Gang in die Stadt,
wohin mich der wie es schien mittelalterliche Thurm der Kirche
lockte. Ich hatte mich nicht getäuscht. Die Kirche, wenn auch nicht
gerade von vorzüglichem künstlerischen Werth, ist doch als Glied in
der Baugeschichte dieser Gegenden nicht ohne Interesse. Zunächst
fällt dem aus Danzig Kommenden der Polygon aus dem Achteck ge-
schlossene Chor auf. Derselbe ist einschiffig in ziemlicher Ausdehnung
dem aus drei gleich hohen Schissen bestehenden Langhaüse vorgelegt.
Vier Sterngewölbe von einfach klarer Anlage auf Konsolen bedecken
den Chor. Von derselben Beschaffenheit sind die übrigen Gewölbe
sowohl im Mittelschiff, wo sie unterhalb der Scheidbögen auf maß-
werkgeschmückten Konsolen aussitzen, als anch in den nur halb so
breiten Seitenschiffen. Vier ziemlich tiefe Kapellen sind später auf
beiden Seiten des Langhauses angebaut, so daß dieses sünsschiffig

Vll. Jahrgang.

erscheint. Diese letzteren haben theils Kreuz-, theils Sterngewölbe,
Alles von ungleichmäßiger, nichts weniger als sorgfältiger Arbeit.
Die Arkadenpfciler sind plump, achteckig, die Scheidbögen zeigen nur
an den schrägen Seiten einige Rundstabprofile. Der Chor scheint,
nach den einfachen Gewölben und der Form der schmalen, zweitei-
ligen Fenster zu schließen, noch aus dem vierzehnten Jahrh. zu stam-
men. Interessant ist, daß über der nördlich angränzenden Sakristei
eine Loge sich findet, deren vermauerte Bogenöffnung gegen den Chor
noch sichtbar ist. Das schmucklose Aeußere ist, namentlich an den
Seitengiebeln, welche das Dach des Langhauses zum Theil verdecken,
in jüngster Zeit restaurirt worden. Die Strebepfeiler des. Chors
haben eine ansprechende Belebung durch Flachnischen und sind durch
zweimal absetzende Verjüngung gegliedert.

Als ich von meiner Besichtigung der Kirche zurückkehrte, stan-
den die Wagen schon angespannt, auf denen wir durch die fruchtbare
Niederung des V^erders. nach Marienburg geführt werden sollten.
Auf der Fahrt durch dieses reichgesegnete Land fielen uns. die auf
Holzfäulen ruhenden Erker der Bauernhäuser auf, die einen charak-
teristisch malerischen Zug der ländlichen Bauart dieser Gegend aus-
machen. Nach kurzer Fahrt lag Marieuburg vor uns, und als wir
um eine Ecke biegend plötzlich die breite Nogat, die ihre gelblich
trüben ungestümen Wassermassen dahinwälzte, vor uns sahen, und
am andern Ufer iii/hewaltigem Ernst wie ein unbezwungener Riese
die dunkeln zinnengekrönten Mauern des alten Hochmeisterschlosses
aufstiegen, da fühlt5 wohl Jeder sich wie vom geheimen. Wehen der
Geister längst verflossener Jahrhunderte bewegt. Wer könnte diese
ehrwürdigen Reste schein, • ohne an die merkwürdigen Geschicke zu
denken, die über si^^ahingezogen sind! Mitten in dem unruhigen
Gränzlande gelegen, Welches durch die wilde Tapferkeit seiner Be-
wohner bis tief in's dreizehnte Jahrhundert dem Christenthum und
der deutschen Kultur erfolgreich widerstand, wurde es, als die deut-
schen Ordensritter in dem seit 1230 über ein halbes Jahrhundert

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