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gehört Moritz En sing er, Sohn von Matthäus und Enkel Ulrichs,
welcher zur Zeit der beigesetzten Jahreszahl das Gewölbe des Mit-
telschiffes schloß. Die Jahreszahl 1470 bezieht sich aber auf die
Entstehungszeit des Wandgemäldes, welches von Iesse Herlin sein
soll. Ich bin aber der Ansicht, daß das Werk vom Vater desselben,
Friedrich Herlin, war, denn damals war der Sohn noch jung,
und es läßt sich nicht wohl annehmen, daß man dem Jüngeren einen
solchen Auftrag zur Ausführung übertrug, währenddem der Alte noch
nicht einmal den höchsten Punkt seines Ruhmes erlangt hatte und
auch an Ort und Stelle lebte. *) Auch ist bekannt, daß der Sohn
Jesse in der Kunst nie seinen Vater erreichte; doch über die Familie
Herlin in meinen folgenden Briefen.
Wie schon erwähnt, so wurden dieses und noch andere Wand-
gemälde im Münster zu vermeintlicher Verschönerung im Jahr 1817
übertüncht, und möglich wäre es, durch sorgfältige Abnahme der
Tünche dem Bilde eine Auferstehung zu gewähren. Man fühlte
damals leider nicht, daß diese große Wandfläche, welche das östliche
Ende des Mittelschiffes bildet, nicht so leer dem unter dem Portal
Eintretenden entgegensehen darf, wie cs nun jetzt ist, so wenig man
30 Jahre später begriff, daß das westliche Ende des Mittelschiffes
erst mit der Portalwand und seinem großartigen Fenster abschließt.
Es wäre daher sehr Unrecht, auf die Leitung jener Tüncharbeiten
jetzt noch einen Stein zu werfen, da ihre Bausünden in jeder Be-
ziehung unwesentlicher und eher wieder gut zu machen sind, als die
neuesten und so kostbaren der Gegenwart!**) Die Symbole der
vier Evangelisten an dem Zugloche des Mittelschiffes nächst dem
Triumphbogen mögen aus derselben Zeit stammen; sie sind glück-
licherweise erhalten geblieben und sind so die einzigen Reste von
sämmtlichen Wandmalereien des Münsters.
Gleichwie das Münster so ziemlich den Mittelpunkt der Stadt
bildet, so war es auch der Punkt, in welchem sich alle Kunst ver-
einte; es war nicht nur in Beziehung auf Architektur weitaus das
größte und interessanteste Gebäude, sondern Holz- und Steinskulptur
wie Wand- und Tafelmalereien fanden hier hauptsächlich Ausnahme.
Allerdings hatten die Klöster und Kapellen in der Stadt auch noch
schöne Werke, besonders an Tafelbildern, und unsere Thorthürme
und unser Rathhaus waren früher auch Zeugen eines ästhetischen
Sinnes, von welch' Allem wir freilich jetzt kaum mehr eine Ahnung
haben. So wurde das lebhafte Profil der Stadt durch den Abbruch
zweier Thorthürme im Jahr 1837 nicht nur verflacht, sondern es
*) Wie auch die Altargemälde in Bopfingen nicht schon im Jahr 1462 von
Friedrich Herlin gemacht wurden, wie Du in Deinem Schreiben angabst, son-
dern erst vom Jahr 1472 sind.
**) Es ist in neuester Zeit versucht worden, den Anschein zu verbreiten, als
ob der Kölner Dombaumeister Herr Regierungsrath Zwirner den gegenwärti-
gen Orgelunterban in der Thnrmhalle gut geheißen habe. Ich muß aber zur
Steuer der Wahrheit erklären, daß Herr Zwirner, als ihm im I. 1848 man-
cherlei Pläne von der Kirchenbau-Verwaltung zur Begutachtung zugeschickt wur-
den, sich für denjenigen Plan entschieden aussprach, welcher einer Ueberwölbung
in der Thnrmhalle nicht bedurfte, und überhaupt jede Ueberwölbung, wenn auch
nur eine theilweise, sehr mißbilligte. Dies schrieb Herr Zwirner damals au die
Verwaltung und an mich. Als er im I. 1852 den bereits ausgeführten Ein-
bau gesehen, welcher bekanntlich die ganze Thurmhalle überwölbt, so mußte er
sein Bedauern nur wiederholen, was er auch, wenigstens mir gegenüber, ge-
than hat.
ging dabei ein bisher verborgener Schatz verloren, der leider nicht
verstanden wurde. Es fand sich nämlich während des Abbruchs des
Franenthor-Thurms in der Höhe von c. 30' aus seiner Mittagseite
eine vermauerte Spitzbogen-Nische, welche 20' hoch, 15' breit und
tief war. Nach Abnahme der äußersten und zur Verdeckung an-
gesetzten Backsteinschichte trat nun ein herrliches Wandgemälde her-
vor: es war ein colossales Kruzifix, mit Maria und Johannes zu
den Seiten, vier schwebende, mit blondlockigen Haaren gezierte und
in faltenreiche Gewänder gekleidete Engel fingen in goldenen Kelchen
das Blut Christi an den bekannten Stellen auf. Die drei Haupt-
figuren waren zwischen 7 — 8' groß. Und da das Bild noch eine
Abtheilung, gleichsam einen Sockel, unten hatte, so konnte der senk-
rechte Kreuzes-Arm unter den Füßen des Gekreuzigten nicht mehr
groß sein, sondern er sah nur etliche Fuß über dem Boden hervor,
und daher war auch der Kopf des Heilandes nur um Weniges hö-
her als die der Nebenstehenden. Christus hatte eine Dornenkrone
und blos ein schmales, weißes Lendentuch umgewickelt. Alle 3 Fi-
guren hatten volle, goldene Heiligenscheine, der von dem Herrn hatte
innerhalb ein Kreuz. Maria sah abwärts und betete, Johannes war
in einer lebhaften Stellung, hielt mit der linken Hand ein geöffne-
tes Buch, währenddem er die rechte Hand und sein Gesicht gegen
Maria richtete. Christus senkte seinen Kopf auf die rechte Seite
und sein gebrochener Blick haftete noch an dem unten liegenden
Schädel Adams; seine Füße waren übereinander gelegt, so daß bloß
drei Nägel verwendet waren. Der Grund des Bildes war blau;
Maria hatte ein grünes Kleid, welches aber größtentheils von einem
weißen Schleier und einem weißen Mantel überdeckt war. Johannes
hatte gleichfalls ein grünes Gewand mit einem rothen Mantel über-
geworfen; sein Haupthaar war sehr lockig und blond. Die Fleisch-
farbe von Christus und Maria war blaß, Johannes hatte dagegen
eine lebhafte Gesichtsfarbe. Wie wir erwähnt, so war das Nischen-
feld abgetheilt in die bildliche Darstellung und einen 7' hohen Sockel,
in welchem je unter einem gedrückten Bogen drei große Wappen-
schilde glänzten. Der mittlere Schild auf blauem Grunde zeigte
aus dem goldenen Felde einen einköpfigen schwarzen Reichs-Adler,
die andern Schilde auf dunkelrothem Grunde waren in ihrer oberen
Hälfte schwarz und in ihrer unteren silbern als Wappen der Stadt
während der mittlere Schild ihre Eigenschaft als freie Reichsstadt
beurkundete*) Die Zeichnung der Figuren war correkt, besonders
waren die Köpfe mit Empfindung gedacht und ausdrucksvoll gezeich-
net; die Gewandungen waren in großartige Falten, jedoch nicht ohne
harte Brüche gelegt. Der Meister dieses Bildes war ein geistreicher
Zeichner und fertiger Maler und der ganze Charakter des Kunst-
werkes verräth entweder Bartholomäus Zeitblom selbst oder einen
seiner ausgezeichnetsten Schüler. Denkt man sich nun, daß dieses
brillante Gemälde die ganze Frauengasse entlang mit seiner Farben-
pracht und seinem Goldglanz leuchtete und zwar noch jedem, welcher
hier seinen letzten Weg nach dem Friedhof geführt wurde, so muß
man den tiefen Sinn der Anordnung nicht minder als die schöne
Ausführung bewundern. Die Nische wurde wahrscheinlich zur Zeit
des Interims vermauert und sollte ihr Geheimniß erst nach 300 Jah-
ren wieder aufgedeckt werden, um alsbald für immer nicht nur sei-
ner Vaterstadt, sondern überhaupt der Kunstwelt verloren zu gehen:
denn der Accordant des Thurm-Abbruchs wollte seine Aufgabe mög-
lichst schnell ausführen, und so blieb dem Kunstfreunde kaum Zeit,
nur eine flüchtige Skizze in Schrift und Linien zu machen. Das
Gemälde, welches durch die Vermauerung keinen auffallenden Scha-
den erlitten hatte, dessen Farben eben noch so lebhaft waren wie
*) lieber die Wappen der Stadt Ulm, namentlich in Bezug ans Deine Ab-
handlung darüber in dem siebenten Berichte des Vereins für Kunst und Alter-
thum in Ulm und Oberschwaben (Ulm 1850) in meinen folgenden Briefen.
gehört Moritz En sing er, Sohn von Matthäus und Enkel Ulrichs,
welcher zur Zeit der beigesetzten Jahreszahl das Gewölbe des Mit-
telschiffes schloß. Die Jahreszahl 1470 bezieht sich aber auf die
Entstehungszeit des Wandgemäldes, welches von Iesse Herlin sein
soll. Ich bin aber der Ansicht, daß das Werk vom Vater desselben,
Friedrich Herlin, war, denn damals war der Sohn noch jung,
und es läßt sich nicht wohl annehmen, daß man dem Jüngeren einen
solchen Auftrag zur Ausführung übertrug, währenddem der Alte noch
nicht einmal den höchsten Punkt seines Ruhmes erlangt hatte und
auch an Ort und Stelle lebte. *) Auch ist bekannt, daß der Sohn
Jesse in der Kunst nie seinen Vater erreichte; doch über die Familie
Herlin in meinen folgenden Briefen.
Wie schon erwähnt, so wurden dieses und noch andere Wand-
gemälde im Münster zu vermeintlicher Verschönerung im Jahr 1817
übertüncht, und möglich wäre es, durch sorgfältige Abnahme der
Tünche dem Bilde eine Auferstehung zu gewähren. Man fühlte
damals leider nicht, daß diese große Wandfläche, welche das östliche
Ende des Mittelschiffes bildet, nicht so leer dem unter dem Portal
Eintretenden entgegensehen darf, wie cs nun jetzt ist, so wenig man
30 Jahre später begriff, daß das westliche Ende des Mittelschiffes
erst mit der Portalwand und seinem großartigen Fenster abschließt.
Es wäre daher sehr Unrecht, auf die Leitung jener Tüncharbeiten
jetzt noch einen Stein zu werfen, da ihre Bausünden in jeder Be-
ziehung unwesentlicher und eher wieder gut zu machen sind, als die
neuesten und so kostbaren der Gegenwart!**) Die Symbole der
vier Evangelisten an dem Zugloche des Mittelschiffes nächst dem
Triumphbogen mögen aus derselben Zeit stammen; sie sind glück-
licherweise erhalten geblieben und sind so die einzigen Reste von
sämmtlichen Wandmalereien des Münsters.
Gleichwie das Münster so ziemlich den Mittelpunkt der Stadt
bildet, so war es auch der Punkt, in welchem sich alle Kunst ver-
einte; es war nicht nur in Beziehung auf Architektur weitaus das
größte und interessanteste Gebäude, sondern Holz- und Steinskulptur
wie Wand- und Tafelmalereien fanden hier hauptsächlich Ausnahme.
Allerdings hatten die Klöster und Kapellen in der Stadt auch noch
schöne Werke, besonders an Tafelbildern, und unsere Thorthürme
und unser Rathhaus waren früher auch Zeugen eines ästhetischen
Sinnes, von welch' Allem wir freilich jetzt kaum mehr eine Ahnung
haben. So wurde das lebhafte Profil der Stadt durch den Abbruch
zweier Thorthürme im Jahr 1837 nicht nur verflacht, sondern es
*) Wie auch die Altargemälde in Bopfingen nicht schon im Jahr 1462 von
Friedrich Herlin gemacht wurden, wie Du in Deinem Schreiben angabst, son-
dern erst vom Jahr 1472 sind.
**) Es ist in neuester Zeit versucht worden, den Anschein zu verbreiten, als
ob der Kölner Dombaumeister Herr Regierungsrath Zwirner den gegenwärti-
gen Orgelunterban in der Thnrmhalle gut geheißen habe. Ich muß aber zur
Steuer der Wahrheit erklären, daß Herr Zwirner, als ihm im I. 1848 man-
cherlei Pläne von der Kirchenbau-Verwaltung zur Begutachtung zugeschickt wur-
den, sich für denjenigen Plan entschieden aussprach, welcher einer Ueberwölbung
in der Thnrmhalle nicht bedurfte, und überhaupt jede Ueberwölbung, wenn auch
nur eine theilweise, sehr mißbilligte. Dies schrieb Herr Zwirner damals au die
Verwaltung und an mich. Als er im I. 1852 den bereits ausgeführten Ein-
bau gesehen, welcher bekanntlich die ganze Thurmhalle überwölbt, so mußte er
sein Bedauern nur wiederholen, was er auch, wenigstens mir gegenüber, ge-
than hat.
ging dabei ein bisher verborgener Schatz verloren, der leider nicht
verstanden wurde. Es fand sich nämlich während des Abbruchs des
Franenthor-Thurms in der Höhe von c. 30' aus seiner Mittagseite
eine vermauerte Spitzbogen-Nische, welche 20' hoch, 15' breit und
tief war. Nach Abnahme der äußersten und zur Verdeckung an-
gesetzten Backsteinschichte trat nun ein herrliches Wandgemälde her-
vor: es war ein colossales Kruzifix, mit Maria und Johannes zu
den Seiten, vier schwebende, mit blondlockigen Haaren gezierte und
in faltenreiche Gewänder gekleidete Engel fingen in goldenen Kelchen
das Blut Christi an den bekannten Stellen auf. Die drei Haupt-
figuren waren zwischen 7 — 8' groß. Und da das Bild noch eine
Abtheilung, gleichsam einen Sockel, unten hatte, so konnte der senk-
rechte Kreuzes-Arm unter den Füßen des Gekreuzigten nicht mehr
groß sein, sondern er sah nur etliche Fuß über dem Boden hervor,
und daher war auch der Kopf des Heilandes nur um Weniges hö-
her als die der Nebenstehenden. Christus hatte eine Dornenkrone
und blos ein schmales, weißes Lendentuch umgewickelt. Alle 3 Fi-
guren hatten volle, goldene Heiligenscheine, der von dem Herrn hatte
innerhalb ein Kreuz. Maria sah abwärts und betete, Johannes war
in einer lebhaften Stellung, hielt mit der linken Hand ein geöffne-
tes Buch, währenddem er die rechte Hand und sein Gesicht gegen
Maria richtete. Christus senkte seinen Kopf auf die rechte Seite
und sein gebrochener Blick haftete noch an dem unten liegenden
Schädel Adams; seine Füße waren übereinander gelegt, so daß bloß
drei Nägel verwendet waren. Der Grund des Bildes war blau;
Maria hatte ein grünes Kleid, welches aber größtentheils von einem
weißen Schleier und einem weißen Mantel überdeckt war. Johannes
hatte gleichfalls ein grünes Gewand mit einem rothen Mantel über-
geworfen; sein Haupthaar war sehr lockig und blond. Die Fleisch-
farbe von Christus und Maria war blaß, Johannes hatte dagegen
eine lebhafte Gesichtsfarbe. Wie wir erwähnt, so war das Nischen-
feld abgetheilt in die bildliche Darstellung und einen 7' hohen Sockel,
in welchem je unter einem gedrückten Bogen drei große Wappen-
schilde glänzten. Der mittlere Schild auf blauem Grunde zeigte
aus dem goldenen Felde einen einköpfigen schwarzen Reichs-Adler,
die andern Schilde auf dunkelrothem Grunde waren in ihrer oberen
Hälfte schwarz und in ihrer unteren silbern als Wappen der Stadt
während der mittlere Schild ihre Eigenschaft als freie Reichsstadt
beurkundete*) Die Zeichnung der Figuren war correkt, besonders
waren die Köpfe mit Empfindung gedacht und ausdrucksvoll gezeich-
net; die Gewandungen waren in großartige Falten, jedoch nicht ohne
harte Brüche gelegt. Der Meister dieses Bildes war ein geistreicher
Zeichner und fertiger Maler und der ganze Charakter des Kunst-
werkes verräth entweder Bartholomäus Zeitblom selbst oder einen
seiner ausgezeichnetsten Schüler. Denkt man sich nun, daß dieses
brillante Gemälde die ganze Frauengasse entlang mit seiner Farben-
pracht und seinem Goldglanz leuchtete und zwar noch jedem, welcher
hier seinen letzten Weg nach dem Friedhof geführt wurde, so muß
man den tiefen Sinn der Anordnung nicht minder als die schöne
Ausführung bewundern. Die Nische wurde wahrscheinlich zur Zeit
des Interims vermauert und sollte ihr Geheimniß erst nach 300 Jah-
ren wieder aufgedeckt werden, um alsbald für immer nicht nur sei-
ner Vaterstadt, sondern überhaupt der Kunstwelt verloren zu gehen:
denn der Accordant des Thurm-Abbruchs wollte seine Aufgabe mög-
lichst schnell ausführen, und so blieb dem Kunstfreunde kaum Zeit,
nur eine flüchtige Skizze in Schrift und Linien zu machen. Das
Gemälde, welches durch die Vermauerung keinen auffallenden Scha-
den erlitten hatte, dessen Farben eben noch so lebhaft waren wie
*) lieber die Wappen der Stadt Ulm, namentlich in Bezug ans Deine Ab-
handlung darüber in dem siebenten Berichte des Vereins für Kunst und Alter-
thum in Ulm und Oberschwaben (Ulm 1850) in meinen folgenden Briefen.