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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0236
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225

bach und Scholz, welcher Unterschied zwischen Bruischanck und
Grandville!

Was wir oben von der Vorliebe der Sculptur für den reinen
Genuß des Daseins, für das Behagen physischer Existenz gesagt, über-
hebt uns eigentlich der Verpflichtung, ihr Recht aus die Darstellung
der Thier Welt erst noch nachzuweisen. Wir sind hier nicht ganz

noch immer innerlich nothwendigen Gebilde des Thierreichs *) und
den unerschöpflichen Reichthum der Vegetation bis zu jenen reizenden
geometrischen Linienspielen, die den Crystallisationen des dritten Na-
turreichs nachgebildet scheinen. Und nicht allein bietet sich ihnen das
Vorhandene zu unendlicher Auswahl, sondern bald aus seinen ein-
zelnen Theilen, bald in freier Analogie mit ihm erschaffen sie um

einverstanden mit unserm wcrthen Freund, dem Redakteur, der vor die Wette Neues, Unmögliches und dennoch Wahres, lassen sie nie-
Kurzem*) die leidenschaftlose Thierdarstellung .nicht für den-Triumph gesehene Blätter und Ranken an Sims und Pfeiler, an Prachtge-
der Gattung, ja kaum für schön wollte gelten lassen. Ohne Zweifel schirr und zierlichem Hausrath, auf dem Pergamentrand des heiligen
ist das Thier in der Leidenschaft, oder sagen wir lieber in der Buchs wie am Beschlag seines ehrwürdigen Einbands hinwuchern,
Aktion, für viele Beschauer interessanter. Aber im Wesen der unerhörte Blumen üppig daraus hervorsprießen, und Wundergeschöpfe
Plastik liegt dennoch, daß die Gestalt die Hauptsache bleibt, und darauf leben, kämpfen und sich ergötzen, die weder der Naturforscher
nicht für den Menschen allein „ist uns jeder noch so geringe Vor-' noch der Archäologe zu benennen weiß. Auf diesem Felde scheint
wand recht", um uns nur diese vor Augen zu führen. Für die uns in der That fast der einzige Unterschied der beiden Künste im
Kuh ist das Grasen, was er als Beispiel anführt, oder das Säugen Material zu liegen, welches vielleicht der Malerei hier wie überall
des Kalbes, wie es, nach Göthe, Myron zur Darstellung gebracht, freiere Bewegung gestattet, der Plastik näheres Anschließen an die
grade so bedeutsam und schön, als für Löwe und Panther der Linien der Architektur oder des sonstigen zu schmückenden Gegen-
Sprung und das Zerreißen, und wir glauben nicht, daß z. B. eine standes auferlegt.- Welcher launenhaften Phantastik, welcher graziösen
von der Bremse Verfolgte oder vor einem größern Feinde Flüchtende! Bizarrerie aber auch die Sculptur fähig ist, ohne darum unschön
schöner sein müßte. Wir fürchten stark, sowohl die -alte Welt, die werden zu müssen, mag man nächst den reizendsten antiken Beispielen
Myrons Werk bewunderte, als der moderne Grieche auf seine Art vor allen an den Werken Cellini's. und seiner bessern Nachahmer
der darüber geschrieben, würden in diesem Punkt nicht der Meinung lernen. Und während die ernste Schwester sich harmlos nicht allein

unseres Freundes sein. Doch dies bei Seite; wir werden hernach
beim Ornamentalen noch auf eine kleine Differenz mit ihm stoßen.
So bedeutend die Plastik im Thierreich, wenigstens bei den

mit der Pracht der Farben, sondern auch mit dein Schimmer bun-
ter Steine, zierlicher Emaillen putzt, entäußert sich oft die Malerei
gleichsam scherzend ihres Anrechts auf solche Zierde, und ahmt täu-

Quadrupeden, mitherrscht (denn schon bei Vögeln, Amphibien und schend, bald mit weiß und grau, bald mit dunklem Grün und gol-

Fischen, geschweige denn bei Kerbthieren und Gewürmen ist sie weit
eingeschränkter, als die Malerei) so gering ist ihr Antheil an der
vegetativen Welt nicht allein, sondern an 'der ganzen unbelebten oder
vielmehr unbeweglichen Natur überhaupt. Wir wagten schon an

denen Lichtern, bald in allerlei Marmornüancen die Erscheinung des
Reliefs nach. Vielleicht liegt ein Hauptreiz der künstlerischen Dar-
stellungen auf diesem ganzen Felde in der fast schrankenlosen Freiheit
der Behandlung bei so eng umschriebenem Zweck, ein Reiz, der aber

anderer Stelle ohne Bedenken die Behauptung, daß die Landschaft freilich nur von Eingeweihten der höhern Grade ganz empfunden wird-

wesentlich malerisch, daß sie eigentlich**) von der Sculptur als
selbständige Darstellung ausgeschlossen sei; -wir müssen hier hinzu-
fügen, daß es mit dem Stillleben dieselbe Bewandniß hat und

Kehren wir von diesem Ueberblick der Darstellungsgebicte bei-
der Künste zu unseren früheren Bemerkungen über Specialität zurück,
so scheint sich theils direkt, theils indirelt der Grund zu ergeben.

zwar aus verwandten Gründen. In beiden Gattungen nämlich ist weshalb die Sculptur von diesem Modeübel so gut als frei geblie

mehr als in jeder andern, das Portrait nicht ausgenommen, die
Farbe das eigentliche Lebenselement, und unmittelbare Naturwahr-
heit ein nothwendiges Erforderniß. Annäherungsweise kann wohl
die Farbe durch ein Verwandtes, durch Licht und Schatten ersetzt werden,
wie in Sepien und Aquatinten, aber wir behalten immer etwas
Unvollständiges, ein Notenblatt gleichsam statt der Töne, die uns
bewegen und entzücken sollen. Nicht bloß ein Michelangelo, auch
ein Teniers könnte noch im Relief interessiren, aber versucht es ein-
mal, wenn Ihr könnt, mit einem Claude, mit einem Huysum und
de Heem!

Und die prachtvollen Bronze-Guirlanden des Ghiberti? Die
sogar farbigen Fruchtschnüre und Gehänge des Luca della Robbia?
Betrachtet nur die Farbe der Letztern, so habt Ihr unsere Antwort.
Dies Gelb und Grün will ebensowenig Natur spielen, als der eherne
Glanz der Andern den Flaum der Pfirsich, die lüsterne Transparenz
der Traube, die weiche Frische der jungen Rose uachheucheln kann.
Mit einem Wyrt, sie sind Ornament, und nichts weiter.

- Und hier sind wir nun wiederum auf einem Felde angelangt,
wo die beiden göttlichen Schwestern, wie nirgends, Hand in Hand
gehen, Eine von der Andern leihen, ja Eine die Andere ergänzen
dürfen, nämlich auf dem Felde des Ornaments und der Arabeske.
Die ganze Fülle der Formenwelt ist hier vor Beiden aufgethan, von
der Majestät und Lieblichkeit der Menschengestalt, durch die mannig-
fachen gewaltigen oder zierlichen, oft bizarr phantastischen und den-

*) Nr. 17 des laufenden Jahrgangs S. 143.
**) Wir sagen: entschieden.

D. Ned.

ben. Untersuchen wir zugleich, was dabei absolute Nothwendigkeit,
und was wirkliches Verdienst ist.

Die Kunst des Bildners ist zunächst, wie wir ausgeführt, von
einigen Gebieten der Darstellung gradezu ausgeschlossen, die vorzugs-
weise ein Tummelplatz der „Specialitäten" sind; sie hat aber auch
in den übrigen gewisse Grenzen der Behandlung, die ihre Auswahl
beschränken. Die Verschiedenheit der Erdoberfläche, im Kleinen wie
im Großen, der Wechsel der himmlischen Erscheinungen nach Tages-
und Jahreszeit, beides in der heutigen Malerei so wichtige Momente,
sind für die Plastik vollständig undarstellbar (höchstens symbolisch
anzudeuten) und selbst von den Verschiedenheiten der Völker in
Sitte und -Physiognomie, in Tracht und Baulichkeit hat sic sich bis-
her nur in einzelnen Fällen anziehen lassen. **) Auf dem Felde der
Geschichte, der menschlichen Entwicklung überhaupt sucht sie ihren
Grundsätzen gemäß überall das Allgemeine, das Ewig-Gültige, strebt
es von den wechselnden Hüllen der Convention, der Mode, der re-
ligiösen und uationellen Zufälligkeiten zu lösen, während vielfach die

*) Hier unser Bedenken gegen eine zweite, neulich von unserm verehrten
Redakteur ausgesprochene Ansicht. Er findet es nämlich bezeichnend, daß in der
Ornamentik von Thieren besonders der Kopf zur Verwendung komme. Dies
scheint uns nicht ganz genau zu sein. Nicht bloß Schwan und Delphin, die er
ansnimmt, sondern auch Löwe und Adler, die er als Beispiel anführt, Greif und
Chimära, Hirsch und Panther treten mindestens eben so oft in ganzer Figur auf.
Andererseits ist das menschliche Haupt ein nicht minder beliebter Artikel, mit
oder ohne mythologische und phantastische Zulhat, als der' Löwen-, Greif- und
Widderkopf, die wenigstens für die Antike wohl die häufigsten sein möchten.

**) Etwa bei von Caunitz, Gibson.
 
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