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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0243
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und Feinden. Dazu kam dann aber noch, daß die meisten dieser
Sänger fürstliche oder adelige namhafte Personen, die andern schon
dadurch merkwürdig waren, weil sie, obgleich geringen Standes, sich
dieser vornehmen Gesellschaft anschlossen und weil es nothwendig
war, ihre bürgerliche Stellung zu kennen, um danach ihre Aeußerun-
gen zu würdigen. Diese Lieder cursirten daher nicht ohne Namen
ihrer Verfasser und der Name erzeugte und forderte ein Bild. Un-
sere Vorfahren waren aber nicht sehr kritisch; sie räumten der Phan-
tasie viel größere, der Wirklichkeit viel geringere Rechte ein. Auch
jene Sammler bemüheten sich daher nicht eben um vollständig er-
wiesene Lebensnachrichten oder um authentische Portraits ihrer Dich-
ter, sie folgten vielmehr ohne Weiteres den Ueberlieferungen und
gestatteten sich unwillkürlich und ohne Arg diese nach ihren Ansichten
und Bedürfnissen weiter auszuführen oder abzuändern. Dies alles
müssen wir beachten, um diese Bilder zu würdigen. Wir kennen,
theils ganz, theils in Fragmenten, bis jetzt vier solcher Bilderhand-
schriften deutscher Minnelieder, die eine, aus Kloster Weingarten
stammend, jetzt in der Privatbibliothek des Königs von Würtemberg
zu Stuttgart, mit 25 Bildern, gehört noch der zweiten Hälfte des
13. Iahrh. an; die zweite, bei Weitem die reichste und wichtigste,
mit 141 Bildern, wahrscheinlich von dem Rathsherrn und Ritter
Rüdiger Manesse in Zürich und seinem Sohne veranstaltet, ist schon
im dreißigjährigen Kriege von Heidelberg nach Paris gekommen und
eine Zierde der dortigen großen Bibliothek, die beiden andern, von
denen nur kleine Fragmente in der Berliner Bibliothek bewahrt
werden, sind jüngern Ursprungs, die eine schon aus weit vorgerück-
tem. 15. Jahrhundert. Zn allen ist der Inhalt der Bilder ähnlich,
dieselben Dichter sind mit denselben Motiven und Handlungen, .aber
in verschiedenen Graden der Ausführlichkeit und Eindringlichkeit ge-
geben. Wir sehen daher eine traditionelle Vererbung,- sei es, daß
dabei die älteste der uns bekannten Handschriften oder eine andere
verloren, gegangene gemeinsame Quelle zum Grunde liege. Mit die-
sem Anschließen an die Ueberlieferung verbindet sich aber eine sehr-
ungebundene Freiheit der Phantasie. Die Darstellungen zeigen uns
die Dichter zum Theil in mehr allgemeiner Haltung, nach ihrem
weltlichen Stande oder als Dichter charakterisirt, zum Theil in alle-
gorischer Handlung, zuweilen aber deuten sie auf wirkliche, ganz be-
stimmte, ungewöhnliche Ereignisse, namentlich Liebesabenteuer, zu
denen die Lieder keine Anleitung, die bekannten Lebensnachrichten
keinen Commentar geben, die zuweilen mit diesen letzten, wie unsere
Forschung sie jetzt ermittelt hat, nicht wohl zu vereinigen sind. Viel-
leicht, daß ihnen eine ungeprüfte und nicht niedergeschriebene Sage
zum Grunde liegt, wahrscheinlicher noch, daß der Maler sich ver-
pflichtet hielt, die Bilder auch den thatsächlichen Hergängen nack-
mannigfaltig und interessant zu machen und durch ihre Reihesolge
das ritterliche Liebesleben von allen Seiten zu charakterisiren, und
daß er deshalb bei solchen Dichtern, von denen er nichts Näheres
wußte oder aus ihren Liedern entnahm, auch andere, in den Gedich-
ten nicht niedergelegte Erzählungen benutzte. Gerade dadurch wer-
den diese Bilder für uns so anziehend und lehrreich; sie geben
allerdings nicht kritisch beglaubigte Beiträge zu den Biographieen
der einzelnen Minnesänger, wohl aber eine sehr lebendige Anschauung
von dem Thun und Treiben dieser Dichterkreise, wie es wirklich
war oder doch nach den Vorstellungen der Zeitgenossen sein sollte.
Sie haben keine spezielle, wohl aber eine allgemeine und poetische
Wahrheit.

Die innere Wichtigkeit dieser Bilder, besonders der des Ma-
nesseschen Codex, veranlaßte den Verf. unseres Werkes, sich Durch-
zeichnungen eines Theiles derselben zu verschaffen und in einzelnen,
seit dem Jahre 1842 in der Berliner Akademie der Wissenschaften
gehaltenen Vorträgen vorzulegen, welche zum Ganzen verschmolzen,

weiter ausgeführt und vervollständigt, dem gegenwärtigen Werke zum
Grunde liegen. Leider ist es hiedurch entstanden, daß mehrere in-
teressante Tafeln, weil sie den Abhandlungen der Akademie beigefügt
sind und daher statutarisch für einen noch nicht abgelaufenen Zeit-
raum Eigenthum derselben bleiben, hier nicht benutzt werden konnten.
Indessen ist auch so der Atlas noch sehr reichhaltig. Von seinen
41 Tafeln sind 32 aus dem Manesseschen Codex entnommen, die
übrigen geben Abbildungen nach den Miniaturen der Weingartner
und der 'einen Berliner Handschrift, so wie nach einem interessanten
Elfenbeinbilde der hiesigen Kunstkammer und nach einem Wandge-
mälde, und endlich von einigen österreichischen Bauwerken.

Auch die Bilder der Manesseschen Handschrift, obgleich bei
Weitem die bedeutendsten, sind freilich nicht Kunstwerke ersten Ranges.
Wir erkennen darin zwei verschiedene Maler, von denen der eine
sorgfältiger und reicher kolorirt und fester gezeichnet hat. Aber die
wesentlichen Eigenschaften sind beiden gemein; dicke schwarze, bald
mit der Feder, bald mit dem Pinsel gezogene Umrisse, leichte Lokal-
farben, die Schattirung so schwach, daß verwickelte Hergänge, Kämpfe,
Turniere dadurch undeutlich werden, inkorrekte Zeichnung, auffallend
dünne und kleine Hände und Füße, allzu weich gebogene Glieder,
die Pferde überaus ungeschickt, wie schlecht ausgestopfte Puppen.
Aber andere Vorzüge entschädigen für diese Mängel und werden
jeden, der für diese Zeit und Kunst Sinn hat, bei der Durchsicht
des Originals mächtig anziehen; wenigstens sind dem Rcf. die ge-
nußvoll dabei verbrachten Stunden noch in dankbarer Erinnerung.
Die Auffassung ist frisch und geistvoll, die Bewegungen edel und
graziös, selbst die jener unbeholfenen Pferde leicht und verständlich,
die. Ritter sitzen auf ihnen mit .Eleganz, der Ausdruck ist fast immer
sprechend, besonders wo er liebende Hingebung bezeichnet, die Ge-
sichter in regelmäßigem Oval, von lockigem Haar umwallt, sind oft
von großer Schönheit und wirklichem Liebreiz, die. Gestalten schlank
und edel, der Fall der Gewänder anmuthig, alles erscheint auch in
diesen Blättern frisch, jugendlich, naiv, erfüllt von der ritterlichen
Grazie der Gedichte. In stylistischer Beziehung stehen sie auf der
Gränze zweier Jahrhunderte; die flüssige Linienführung, die Neigung
für leichte Biegungen, das Streben nach Anmuth und Zierlichkeit
verräth schon die Tendenz des 14. Jahrhunderts, ist aber noch frei
von der manieristischen Entartung, von der Monotonie geschwunge-
ner Linien und sentimentaler Asfcktation, die später zur Mode wurde.
Einzelne Male finden wir noch die zwar auch naiven, aber gewalt-
samern Bewegungen des dreizehnten Jahrhunderts, und nur der
mehr statuarische Styl, welcher nach der Mitte desselben durch den
Einfluß der gothischen Plastik auskam und der auch in der Wein-
gartner Handschrift vorherrscht, findet keine Vertretung.

In dem Codex selbst und auch in dem Auszuge, welcher uns
hier geboten wird, sind die Poeten nach Stand und Würden geord-
net und zum Theil behandelt. Voran geht Kaiser Heinrich VI. mit
Krone und Scepter auf dem Throne sitzend, etwa im.Style der
Siegel; dann König Wenzel von Böheim in ähnlicher Haltung, aber
umgeben von seinem Hofstaat und den Zeichen seiner Reichswürde.
Bei geringeren Fürsten treten wir schon näher; Herzog Heinrich von
Breslau (f 1290), der „milde Fürst", wie ihn die Zeitgenossen
nannten, noch in voller Turnierrüstung, empfängt von Damen aus
den Fenstern des Schlosses den Siegeskranz; Markgraf Otto mit
dem Pfeile von Brandenburg sitzt häuslich mit seiner geliebten Ge-
mahlin beim Brettspiel, während doch ein Chor von Musikern den
fürstlichen Hofhalt andeutet; Markgraf Heinrich von Meißen endlich
sehn wir in jugendlicher Jagdlust, mit einem Hute von Pfauenfedern
geschmückt. Freier bewegt sich die Romantik bei Grafen und
Rittern. Einige sind schlechthin als Dichter bezeichnet, ihre Waffen,
das Schwert mit dem niemals fehlenden Rittergurte (cmgulum mili-
 
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