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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0325
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314

as

Ä-

in Stanz bei lieben Bekannten anhielt. Hören, daß die Modelle
der zweiten Ausschreibung ausgestellt seien, und auf das Rathhaus
eilen, war Eins; sie sehen und in meiner ursprünglichen Ansicht be-
stärkt zu sein, war aber auch Eins. Ich nahm mir von diesem
Augenblicke an vor, an der Debatte Thcil zu nehmen, und legte
meine Ansicht - in der „Neuen Zürcher Zeitung," „Bund," „Tagblatt
von Luzern," „Tagblatt von Basel," welche Blätter mir ihre Spal-
ten auf das bereitwilligste öffneten, endlich in einer besondern Schrift:
„Ueber das Winkelried-Denkmal." (Basel Baur, 1856), -ausführ-
lich dar. Verspätet konnte mein Auftreten nicht sein, weil das Ko-
nnte ausdrücklich eine Debatte wünschte, und weil eine zweite
Ausschreibung die Möglichkeit einer dritten eher ein- als ausschließt.
Ich überließ die Seitengcfechte mit den Nützlichkeitsmännern, die das
gesammelte Geld für eine Schule verwendet wissen wollten, mit den
Feinden aller Kunst und Monumente Anderen und beschränkte mich
auf die ästhetische Frage: „Ob und wie Winkelried dargestellt

werden könne?" Ich griff das übereilte Festsetzen einer Kunst form
an und forderte, daß man den Stoff in das Auge fasse; er be-
dingt die Form. Daher lautete die erste Frage: „Wie, in welcher
Situation ist Winkelried darzustellen?"

Mein Gedankengaug war folgender:

Der todte Winkelried ist nicht mehr Winkelried, wenn ihn
auch Lanzensplitter nothdürftig als solchen andenten sollen. Ich bin
es dann, der nur sagt: „das ist Winkelried," nicht das Denkmal.
Auch ruft der todte Winkelried nicht jene thatweckende Begeisterung,
die ein Volksdenkmal, und zumal ein schweizerisches, haben soll, her-
vor. Ich gebe zu, daß Einer bei dessen Anblicke sich begeistert füh-
len könne; aber er frage sich, ob der Grund dieser Begeisterung im
Werke, oder nicht vielmehr außer dem Werke, in der Erinnerung
an die große That liege? Ein Kunstwerk soll aber nicht über sich
Hinausweisen, nicht erinnern, sondern unmittelbar darstellen. Keiner,
der von Winkelrieds That nichts wüßte, würde sich von dem ge-
spießten Leichnam erwärmt fühlen. Es haben zwar bildende Künst-
ler auch den todten Christus dargestellt, hauptsächlich, um ihre tech-
nische Meisterschaft, ihre Fertigkeit, einen Leichnam wiederzugeben,
zu beurkunden; aber er bleibt immer an Hoheit und Wirkung hinter
dem sich erst aufopfernden Christus, in dem noch die der großen
That fähige Seele waltet, zurück. Der todte Winkelried gäbe ein
mehr breites als hohes Werk, einen Sarkophag und kein Denkmal
im volksthümlichen Sinne. *) Winkelrieds Bedeutung liegt aller-
dings in seinem Tode, aber in seinem Tode. Gestorben sind viele
Helden, aber keiner wie er. Dieses „Wie" will daher dargcstellt sein.
DaS Wesen seiner That besteht unbestritten in seiner freiwilligen
Aufopferung. Wer sieht diese am todten Winkelried? Was sagt
mir, daß er sich freiwillig in diese Speere geworfen habe?

Der sterbende Winkelried ist geschichtlich und Physisch unmög-
lich. Geschichtlich: wir ersehn aus Joh. von Müllers Darstellung,
daß die Eidgenossen über den sich opfernden Winkelried, die gemachte
Straße benutzend, hinstürmten. Es ist daher gar kein Augenblick
der Schlacht denkbar, in der er die malerische Stellung eines ver-
klärten Sterbenden angenommen hat, er wurde zertreten. Ich würde
aber diese äußere geschichtliche Wahrheit dem Künstler noch preis-
geben, wenn nicht die innere Wahrheit auch dagegen wäre. Die
gewünschte Stellung ist nämlich bei dieser Art des Todes und seinen

*) Einen Sarkophag als religiöses Denkmal, als die wirkliche oder gedachte
Behausung der sterblichen Ueberreste, in einer Kirche — werde ich am rechten
Orte schön finden, wie Hr. P. M. (D. Kunstblatt Nr. 29). Der Winkelriedstoff
aber schließt ihn (wie die Statue) schon wegen des Mangels eines Portraits,
aus. Man kann einen schweizerischen Krieger hinlegen; aber ist der Winkelried?
Warum stets Abstraktes, Allegorisches darstellen, wenn es eine Form giebt, Win-
kelried selbst darzustellen? Ich würde ;u jenem Mittel erst greisen, wenn dies
nicht vorhanden wäre.

grauenvollen Schmerzen auch physich unmöglich; sie ist endlich (wie
auch Fallen (in der Berner Zeitung Nr. 295) zeigte), von zwei-
felhafter Schönheit: „Das Eiubohren der Speere" trübt den opfer-
freudigen Seelenadel des Heldenantlitzes naturnothwendig und darum
auch für den darstellenden Künstler unvermeidlich durch den Aus-
druck des überwältigenden Todesschmerzes und muß durch das Zu-
sammenbrechen des Trägers der heroischen Stellung fast alle Schön-
heit entziehen. Zu bedenken ist überdies, daß Winkelried nothwendig
vorwärts, also mit dem Gesicht gegen den Boden gekehrt, fiel.

Wir sind demnach auf den lebenden Winkelried angewiesen.
Der Unmöglichkeit einer Portraitstatue ist bereits gedacht; Winkel-
ried trat auch durch längeres Wirken, durch einen oft bewährten
Charakter so als Einzelwesen hervor, daß er ohne den Hintergrund
seiner großen, aber, auch einzigen uns bekannten That Winkelried
wäre. *) Winkelried, ähnlich den katholischen Blutzeugen mit ihren
Marterinstrumenten in der Hand, mit Speeren, gleichsam Gewehr
bei Fuß dargestellt, würde eine Wiederholung des Brunnenbildes in
Stanz sein, eines Werkes bescheidenster Tausanlage, welche eine That
andeuten wollte, weil sie sie nicht darstellen konnte, aber doch an-
deuten wollte.

Winkelried ist die verkörperte Aufopferung des Schweizers für
sein Vaterland, der größte Held der schweizerischen Geschichte, ein
mit seiner That in der Weltgeschichte auf ziemlich einsamer Höhe
stehender Held. Die würdigste Art, ihn darzustellen, ist daher, uns
den Helden im Augenblicke der That, einem hochdramatischen
vorzuführen. Dieses Werk ließe auch denen mit der Geschichte
nicht Vertrauten über die That und ihre Größe nicht im Dun-
kel. Nunmehr wird die zweite Frage möglich: Wie kann die
Kunst diesen Winkelried veranschaulichen?.

Weder in der Form einer Gruppe — wie wollte man das
feindliche Heer, den Speerwald, das nachdrängcnde Volk auch nur
annähernd bezeichnen — oder einer Statue. Der aufrufende vor-
wärtseilende Winkelried allein würde, abgesehen davon, daß auch er
der Inschrift bedürfte, wie der todte und der sterbende, aussehen,
als wollte er vom Piedestal hinabspringen. — Auf das Gesagte ge-
stützt, stellte ich vier Thesen auf. .

1. Ein öffentliches Denkmal muß anschaulich, dem ganzen Volke
verständlich **) und geeignet sein, den erzielbar mächtigsten Eindruck
hervorzurufen.

*) Hr. P. M. (D. Kunstbl. Nr. 29), wünscht einen einfachen Krieger, dem
man die That Zutrauen könne, dargestellt. Diese That, die wir der Geschichte
kaum glauben können? Winkelried hat gewiß (D. Kunstbl. Nr. 31) nicht bloß in
diesem Augenblicke sein Vaterland geliebt, aber in diesem Augenblicke hat er wie
in keinem seine Gesinnung bewährt, — noch mehr, in diesem Angenblicke hat
er es am tiefsten geliebt. Warum soll die Kunst nur die Möglichkeit
des Großen (die Gesinnung) darstellen, wenn die Wirklichkeit des Großen
(die That) darstellbar ist? Zn Winkelrieds That genügte der Muth des Ma-
meluken nicht. Wir wissen sein Wort: „Denkt an mein Weib und meine Kin-
der!" Er handelt nicht im blinden Fanatismus, sondern im vollen Bewußtsein
alles dessen, was er opfert. Wenn eö Hunderte hätten thun können, warum
that er es allein, obwohl seine Umgebung auch aus Helden bestand? Zu diesem
außerordentlichen Muthe, der als solcher schon vereinzelt dapeht, kommt noch der
schlagfertige Geist deö Thatenmannes, der mit genialem Blicke den gordischen
Knoten zu lösen weiß. Da muß man aber den „Knoten und den Alexander-
hieb" sehen. Niemand wird läugnen, daß die That die größte Verherrlichung
Winkelrieds ist; warum soll nun der Künstler nicht die Aufgabe im höchsten
Sinne lösen dürfen?

**) Damit ist jede symbolische Darstellung ausgeschlossen, weil eine solche
weder allgemein verständlich ist, noch unmittelbar begeistert. Ein symbolisches
Werk ist nie wahrhaft volkstümlich, sondern Erzeugnis; des sogenannten Geift-
reichseins; es spricht zunächst nicht die Phantasie, sondern den Verstand an, der
eine Deutung in Las Bild hineintragen muß. Wer sagt mir, daß jener herr-
liche Löwe Thorwaldsens in Luzern, die sich aufopfernde Schweizertreue ist?
etwa mein Auge, das nichts als einen getödteten Löwen sieht? Nein, der Vcr-
 
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