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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 7.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1200#0359
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irren, wenn Wir auch diese Nuance ins Komische und Gemeine in
jenen Wächtern des Pechpfuhls vorgebildet finden. — Die Dämonen,
die auf dem „Lebender Einsiedler" (von Peter Laurati) den heiligen
Antonius belästigen (ein diabolisches Sujet, das später noch mannig-
fache Steigerungen erfahren sollte) sind ebenfalls satyrhaft, doch rein
brutal im Ausdruck wie in Action, und nur durch eine Art Panzer-
schieneu an den Schenkeln bemerkenswerth, die eine spccifisch ita-
lienische Erfindung zu sein scheinen.

Nun aber treten wir, immer noch unter den Arkaden des Cam-
posanto, wiederum an einen großen Bahnbrecher heran, einen Geist,
zwar Dante nicht ebenbürtig, doch verwandt an Tiefe und Originalität;
Andrea da Cione, genannt Orcagna, in dem, nach unsrer frühern
Bemerkung, der düster romantische Geist des alten Etruriens sich
noch einmal zu verkörpern scheint. Welcher Contrast sonder gleichen!
— während in jenen Hallen gegenüber der Springquell heiterster
südlicher Lebenslust in Benozzo's Malereien sprudelt, sein Patriarch
unter Pinien und Palmen den Becher der ersten Weinlese uns feiernd
cntgegenbringt,*) empfängt uns hier, bei Andrea, nur Ernst und
nordische Schwermuth, Vergänglichkeit aller irdischen Lust, harrende
ewige Qual, und schauriger als in den Todtentänzen Germaniens
nicht der Tod allein, sondern auch die Verwesung. Der Inhalt,
die Gedanken sind wunderbar neu in den beiden Bildern, die der
Meister selber ausgesührt**), doch Gestalten erkennen wir wieder.
Jene wild heranbrausende Todesgöttin ist, näher ins Auge gefaßt,
vielleicht nur eine Furie, nicht der alten Bildner, wohl aber der alten
Dichter; jenes höllische Raubgeflügel, das so eifrig mit den aufge-
halsten Seelen der Niedergemähten nach dem Feuerberg bin und
wieder schwirrt, gleicht wiederum jener Luftpost, welche Dante's
Staatsbetrüger rittlings zu den Pechbädern befördert. Aber cs greift
im Einzelnen darüber hinaus, und seine vogel- und iusektenhaften
Mißgestalten waren zu weiterer Ausbildung vorbestimmt.

Schauerlich und ahndungsvoll ist's auf dem jüngsten Gericht,
wie aus dem rechten Bildrande nur Flammen und Haken nach den
Verdammten züngeln und laugen, schauriger als irgend die Teufel
selber wirken könnten. Um so weniger möchten wir das dritte Bild,
das den Namen Orcagna trägt, auch nur in der Erfindung dem
großen Andrea zuschreiben. (Gemalt hat es bekanntlich sein Bruder
Bernardo.) Nicht wegen der vielfach mangelhaften und bizarren
Composition — (es sind immerhin einzelne vortreffliche Figuren
darunter, z. B. der niedergestrcckte schlaugenumwundene Averroes, an
Dante's Lästerer und Kirchendieb Fucci (Ink. X.) erinnernd) —
auch nicht wegen der viel berufnen Nachahmung Dante'schcr Ideen,
sondern im Gegentheil, weil letztere nicht bloß ungeschickt, sondern
theilweise gradezu verkehrt ist. Der dreigesichtige meuschenfresseude
Dis, anscheinend wie Laurati's Teufel mit Metallbuckeln bepauzcrt,
in dessen Bauche wie in einem Ofen Sünder braten oder verbrennen,
ist mit dem letzter» Motiv wahrlich bei weitem weniger dantesk,
als sein ebenfalls brennender College in weiland Ramersdorf, oder
eine ähnliche Figur, die später Bosch gemalt (auf seinem großen
Berliner Bilde). Die Art aber, wie hinter ihm die vcrschiednen
Sünderklassen gleichsam in offne Schrankfächer eiugeschichtet sind,
hat keine Spur von der scholastischen Cousequenz und kosmischen
Architectur des Dichters; die Martern erscheinen willkührlich ver-
tauscht und aufs widerlichste, z. B. die Speisung der Schlemmer
und besonders die Anthropophagie, ausgemalt und übertrieben.
Andrea, behaupten wir dreist, hätte Dante entweder gar nicht, oder
treuer und geistreicher benutzt. Daneben sind die Teufel, große und
kleine, eben so geistlos-brutal, als kindisch-fürchterlich, etwa was wir

*) Auf dem berühmten Bild der „Vergognosa“.

**) D em „Triumph des Todes" und „dem jüngsten Gericht."

mit dem Worte Popanz zu bezeichnen pflegen, lind ihre Actionen
entsprechen diesem Aeußern.

Im Ganzen dürfen wir wohl an die Hölle des Orcagna die
Bemerkung knüpfen, daß die Begabung für diese Specialität bei den
Italienern immerhin etwas Seltnes geblieben ist, wenn auch Ein-
zelne des Höchsten fähig gewesen. So scheint es auch der wackre
und gottselige Fiesole nur zu jener unfreiwilligen Komik Bernardo's
gebracht zu haben; und selbst die Compositionen Luca Signorelli's,
deren eigne Anschauung uns leider versagt geblieben, machen in den
Beschreibungen wenigstens kaum einen andern Eindruck, als den
einer mehr gelehrten als künstlerischen Compilation römischer und
dantesker Aktive. Gerühmt wird allerdings Spinello, des Areti-
ners (jetzt zerstörter) Lucifersturz, mit dem wir im gleichen Fall
sind, doch vorzugsweise wegen der Häßlichkeit der dargestellten
Dämonen, und wir sehen keinen Grund, dabei befondre Originalität
der Erfindung vorauszusetzen.

Wenden wir denn unsre Blicke einmal wieder zu den „Teufe-
leien" unsres lieben Nordens zurück, wo inzwischen, neben mehr
oder minder deutlichen antiken und transalpinischen An- und Nach-
klängen, auch manch selbstständiger Fortschritt gethan war. Wir
glauben deren, abgesehen von den rein technischen besserer Zeichnung
und Behandlung, besonders zwei, mehr innerliche hervorheben zu
dürfen. Einerseits mußte sich allmählig ans jenem halb gedanken-
losen Linien- und Formenspiel der alten Kalligraphie und Plastik eine
Symbolik entwickeln, in der sich biblische Weisheit und Bildersprache
wundersam mit jenen Phantasien der antiken (und später») Natur-
forscher und Neisebeschreiber gattete. Neben den hahnenköpfigen
Drachen, Basiliskus geheißen, dessen Anblick tödtete, (gleichsam des
Bösen personificirte innre Negation) stellte man nach Stellen des
Psalmisten die „taube Natter", in der Plastik (z. B. am Dom von
Amiens) nicht eine Schlange, sondern ein Geschöpf mit den Hänge-
ohren des Leithundes, das eine mit dem Schweif verstopfend, das
andere an den Boden gedrückt, uni die Stimme des Beschwörers
nicht zu hören, — also ein Bild sündlicher Verstocktheit. Am
Lettner des Doms zu Wetzlar krochen sonst sieben seltsame Gebilde
über die Bogenzwickel herunter; die meisten hat Zeit und Vandalis-
mus zerstört oder unkenntlich gemacht, aber ein Paar verrathen noch
in trefflicher Arbeit, daß sie einst die sieben Todsünden versinnlich-
ten, — in jenem bärtigen, wüthend-schreiendem Manneshanpt mit
den Gliedern der stärksten und wildesten Thicre, Adlerflug und Lö-
iwentatzen, unverkennbar den Zorn; in jener verführerischen bock-
hufigen Sphinx mit Diadem und zierlicher Kinnbinde geschmückt, nicht
minder deutlich die Wollnst. War einmal der Gedanke gewonnen,
menschliche Eigenschaften und andre Abstracta nicht bloß durch Ein
Thier allein, sondern gleichsam nuancirt durch abenthenerliche Ver-
schmelzung mehrerer darzustellen (oder vielmehr wiedergewonnen,
denn es ist ein uralter, ägyptischer und assyrischer Gedanke) so konnte
nicht leicht ein anderer seine Fruchtbarkeit an bizarren und geist-
reichen Combinationen übertreffen.

Behielten die letzter» uothwendig immerhin etwas Räthselhaftes,
Hieroglyphisches, mehr der Gelehrsamkeit verwandtes, so trat ganz
im Gegensatz auch das rein künstlerische Bestreben immer mehr
hervor, auf Physiognomischem Wege Böses und Gutes unter-
scheidbar zu machen. Wohl mußte hier bei technischer Unvollkom-
menheit anfangs an die Stelle phantastischer Monstrosität, oder ne-
ben sie die Caricatur treten, was ein schlechter Gewinn scheinen
möchte, aber im Grunde genommen war es doch eine höchst bedeut-
same künstlerische Eroberung, wenn tyrannische Proconsuln und
heidnische Henker nicht mehr in gleichgültiger Würde oder gar harm-
los lächelnd, sondern mit einigermaßen entsprechenden Mienen ihre
Grausamkeiten verübten. Auch einen Mangel zarten Gefühls möch-
 
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