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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0061
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47

Band, der sich mit der Kunst des Mittelalters beschäftigt, eine
Ausdehnung und Bereicherung der Darstellung, für welche wir dem
-geehrten Verfasser nur dankbar sein können. Denn zum ersten
Male tritt hier eine erschöpfende Behandlung der mittelalterlichen
Kunst vor uns hin, die nicht bloß den stattlichen weit ausgebreiteten
Baum in all' den Verzweigungen buntester.Mannichfaltigkeit deutlich
entsaltet zeigt, sondern auch das verborgene Wurzelgeslecht, mit wel-
chem er seine Nahrung saugt, sammt dem Erdreich, darin er ge-
wachsen, den tief geheimen Quellen, daraus er seine Lebenskraft
empfangen, klar ausdeckt. Niemand war zur Lösung dieser Aufgabe
in dem Grade geeignet wie Schnaase. Die besoudre Zuneigung,
welche ihn an die Werke des Mittelalters fesselt, steigerte seinen
feinen Kunstsinn zu einer Schärfe der Beobachtung, zu einer ein-
dringenden Tiefe der Betrachtung, welche die unendlich manuichsal-
tigen, zarten Abstufungen und Unterschiede in den Schöpfungen jener
Epoche klar und prägnant zu fassen weiß; aber zugleich. verlieh sie
ihm jene sympathische Stimmung, kraft deren er die tieferen Be-
weggründe und Ziele der mittelalterlichen Meister ahnungsvoll nach-
zuempfinden vermag. Wenn wir früher oft mit den zahlreichen
Verehrern des Schnaase'schen Werkes bedauerten, daß die einzelnen
Bände desselben so langsam erschienen, so haben wir jetzt alle Ur-
sache, jene Zögerung zu preisen, denn sie hat den hochwichtigen Ab-
schnitten über das Mittelalter das reiche Material zugeführt, welches
im letzten Decennium aus hundertfach geöffneten Schachten rastlos
uns Licht gefördert worden ist. Wer sich von dem massenhaft angewach-
senen Stoff einen Begriff verschaffen will, der vergleiche die betref-
fende Abtheilung in der zweiten Auflage des Kugler'schen Handbuches
vom I.- 1848 mit der Schnaase'schen Därstellung. Und auch neben
der neuen Bearbeitung des Kugler'schen Werkes wird das Schnaase'-
sche seinen Platz behaupten, da jenes nach seiner ganzen Anlage
zwar das vollständige Material, aber in compendiarischer Kürze bie-
tet,- so daß eine Arbeit, wie die vorliegende, welche mit liebevoller
Durchdringung des Stoffes bis ins geringste Detail die tiefere Be-
Lründung der Kunstformen aus dem Gesammtleben der Zeit verbin-
det, unentbehrlich bleiben wird. Wir wissen nicht, ob die einzelnen
Bände im Buchhandel gesondert abgegeben werden; doch hoffen und
wünschen wir es, da die Verehrer der mittelalterlichen Kunst im
-dritten bis fünften Bande eine Darstellung derselben finden, wie
sie bis jetzt weder unsre noch irgend eine fremde Literatur aufzu-
weisen hat.

Man braucht nicht zu jenen blinden absoluten Verehrern der
-Gothik zu gehören, welche diesen Styl ebenso einseitig erheben, wie
-er früher einseitig verdammt wurde, um von seiner wahren Bedeu-
tung in geschichtlicher wie künstlerischer Hinsicht tief durchdrungen
-zu sein und eine so erschöpfende Darstellung seines Entstehens und
Werdens, wie sie von Schnaase im vorliegenden Bande entworfen
.worden ist, gerechtfertigt zu finden. In der bereits besprochenen
ersten Hälfte hat der Verf. geschildert, wie jener wichtige Entwicke-
sungsproceß im nordöstlichen Bezirke Frankreichs seinen Anfang
umhin, sich schnell über die angränzenden Landestheile verbreitete und
-selbst über.den Kanal dringend, auf englischem Boden unmittelbar
Nachfolge fand. Und nicht blos mit den äußeren sichergestellten
.Daten dieser merkwürdigen Umwandlung wurden wir bekannt ge-
macht, sondern eS ward uns. gestattet, an der Hand des tiefsinnigen
Forschers in die geheime Werkstatt der baukünstlerischen Gedanken
.hinab zu steigen, ihre inner» Triebfedern und Gründe zu verstehen.

Indem der Verf. uns nun nach Deutschland führt, glauben wir
.Plötzlich eine rückgängige Bewegung- von einem halben Jahrhundert
.zu machen. Wir haben , es hier fast durchweg noch .eine geraume
Zeit mit dem romanischen Style zu thun, der wie die neueren For-

Lande geblieben ist. Wenn irgendwo, , so zeigt sich hier die vom
Verfasser befolgte synchronistische Behandlnngsweise vortheilhaft. So
gewiß wir in der gedrängteren Darstellung eines Handbuches den
entgegengesetzten Weg, das Zusammenfassen-der lokalen Hauptgrup-
pen nach den verschiedenen Stylen, die Anordnung nach dem Prin-
cip der Gleichartigkeit vorziehen würden, so zweckmäßig erweist sich
bei einer ausgedehnteren, detaillirenderen Behandlung die Gliede-
rung nach kurzen scharf umgränzten Epochen. Man erlangt dadurch,
daß bei der reichen Mannichfaltigkeit der Einzelheiten doch stets der
Zusammenhang, die gleichzeitige Verbindung, die wechselseitigen Ein-
flüsse der Monumente vor Angen bleiben, und das Bild in seiner
unendlichen Fülle von individuellen Zügen sich doch als einheitlich
geschlossenes darstellt. Zwei Kapitel schildern demnach den deutschen
Uebergangsstyl, ein drittes die frühgothischen Bauwerke Deutsch-
lands. Den sogenannten Uebergangsstyl charakterisirt der Vers, als
„eine Bauweise, welche weder ganz romanisch noch wirklich gothischer
Tendenz war, sondern Elemente beider Style in sich verband, aber
doch so viel Eigenthümliches hatte, und sich so lange, selbst noch ne-
ben dem schon bekannten gothischen Style erhielt, daß man sie als
einen eignen, wenn auch nicht consequent durchgebildeten Styl be-
trachten muß." Es liegt im Wesen dieses Mischstyles, daß er ohne
fest bestimmtes Gepräge in den verschiedenen Landstrichen sich sehr
verschieden gestaltete, so daß wir, während in Frankreich durch Con-
centration der schöpferischen Kräfte eine neue durchaus eigenthümliche
! Bauweise aus den Prämissen der Vergangenheit gewonnen wurde,
Deutschland ununterbrochen an den Traditionen des romanischen
Styles festhalten und in einer mehr spielenden, phantastischen, als
klar verständigen Richtung ihn mannichfach m'odisiciren sehen. Der
Vers, weist die Gründe dieser Erscheinung in geistvoller Analyse aus
dem deutschen Volkscharakter und den äußeren Verhältnissen der Zeit
nach. Wir können uns nicht versagen, ihn hier mit seinen eignen
Worten reden zu lassen. „Auch Deutschland nahm an dem Auf-
schwünge Antheil, den wir im ganzen Abendlande um die Mitte des
zwölften Jahrhunderts bemerken. Die wachsende Bevölkerung, der
größere Reichthum der Städte, die weitere Verbreitung mannichfa-
cher Bildungselemente führten auch hier zu milderen Sitten, zu re-
gerem geistigen Leben. Nach den Stürmen, welche das schwankende
und gewaltsame Benehmen der Kaiser des salischen Hauses hervor-
gerufen hatte, bestieg ein kräftigeres und würdigeres Geschlecht den
Thron, welches das Gefühl der Ruhe und des Behagens verbreitete
und selbst Männer erzeugte, für welche die Nation sich wieder be-
geistern konnte. Allein dennoch nahm Deutschland gerade jetzt in
politischer Beziehung eine ganz andere Richtung als die westlichen
Nationen. Während in England Normannen und Sachsen den alten
Hader vergaßen und zu einem Volke verschmolzen, während Frank-
reich im Bedürfniß nationaler Einheit sich um das königliche Banner
schaarte, zerfiel Deutschland mehr und mehr.•. Diese politi-

schen Verhältnisse hatten einen unmittelbaren Einfluß auf das ganze
geistige Leben. Während in Frankreich Paris schon jetzt in wissen-
schaftlicher Beziehung die entscheidende Stimme hatte, während hier
und in England der Hof der Könige mehr und mehr eine tonan-
gebende Bedeutung erlangte, während das französische Ritterthum
eine Gleichmäßigkeit der Sitte hervorbrachte, entbehrte Deutschland
jedes Centralpunktes, , sonderten sich die Provinzen in ihren Gewohn-
heiten und Lebensansichten, gab diese Mannichfaltigkeit ohne höhere
Einheit schon jetzt bald ein behagliches Festhalten an lokalen For-
men, bald ein willkürliches Aüflehnen der. Einzelnen gegen eine Sitte,
die ihnen nicht imponirte. Auch erkannten die Deutschen die neu er-

..schungen immer allgemeiner darthun, bis in . die zweite Hälfte des
.13. Jahrh.. hinein der vorherrschende weit, und breit im deutschen

langten Vorzüge ihrer westlichen Nachbaren in vollem Maße an.
Alle, welche höheren wissenschaftlichen Beruf zu haben glaubten,
Geistliche, Söhne edler, selbst fürstlicher Häuser wanderten nach Pa-
ris, um dort aus der Quelle der neuen Weisheit zu schöpfen; die
 
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