Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0212
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6

196

irern. geworfenen Gewändern aller Farben, sowohl einzeln als zu-
sammengestellt, empfehlen, um den Schüler alle die so höchst ver-
schiedenen Brechungen der Grundfarbe, welche durch Beleuchtung und
-durch Wiederschein anderer Farben entstehn, recht kennen zu lehren.
Dabei müßte aber zugleich das Zeichnen nach über lebendes Modell
geworfenem Gewand geübt werden, damit er hier das Lebendige,
Bewegte und die Massen eben so wie dort das Detail kennen

lerne.

Es versteht sich von selbst, daß an den Kunstschulen der so noth-
wendige Unterricht in Anatomie und Perspective ertheilt werden muß.
Dieses darf aber nur durch Künstler geschehen, da sie allein wissen,
was für die Kunst nothwendig, was überflüssig ist, und weil sie die
praktische Anwendung dieser Hülfsfächer mit deren Lehre verbinden
können. Alle gelehrten Vorträge, wie Kunstgeschichte, Archäologie,
Optik u. s. w. sind zu verbannen und auf spätere Zeit zu verspüren,
denn sie dienen im Anfang des Studiums nur dazu, Sinn und
Zeit des Schülers vom Praktischen abzuziehen und in Anspruch zu
nehmen, und machen ihn zum Raisonneur, der literarisches Halb-
wissen und Studium für künstlerisches hält. Dagegen giebt es
bekanntlich für die zum Weiterstreben so unbedingt nothwendige Be-
scheidenheit nichts heilsameres, als die praktische Ausübung, weil sie
uns unsere Mängel am deutlichsten zeigt.

Es bleibt demohngeachtet wahr, daß dem Künstler allgemeine
Bildung nicht allein förderlich, sondern durchaus nothwendig ist,
aber diese darf erst berücksichtigt werden, wenn für das eigentliche
Hauptfach ein solider Grund gelegt ist. Hat nun der Schüler diesen
in der Kunstschule erworben, so ist er befähigt, nach seiner Neigung
und Bestimmung jedes Kunstfach zu ergreifen, denn die Genresächer
haben'gerade das erlernt, was diese Gattung verlangt, d. i. die
treue Nachbildung der Natur; sie brauchen nun nicht mehr zu fürch-
ten, daß sie in ihrem Bestreben, wahr zu sein, im Modell untergehen,
d. h. dem Naturalismus verfallen, und können ferner, von der Hi-
storienmalerie unberührt bleibend, ihre ganze Eigenthümlichkeit be-
wahren. Dem historischen Künstler dagegen werden seine Phantasie-
Ideale vor der Einwirkung des Genre und durch die erlangte
Vertrautheit mit der Natur, wie durch die Gewohnheit, sie treu
wiederzugeben, von selbst vor dem Manierirten, Conventionellen und
Unnatürlichen behütet, und er wird um so fähiger sein, in dem nun
erst an der Akademie beginnenden Studium der Antike und der
fremden Kunst seine Nationalität und Individualität zu bewahren,
und nur das anzunehmen, was für diese das Förderlichste ist. Für
ihn tritt jetzt der Idealismus, das Wiedergebären der Natur an die
Stelle der treuen Nachahmung derselben, und wenn er auch in dem
praktischen Studium der höheren Seite der Kunst fortfahren muß,
namentlich durch fleißigen Besuch des Aktsaals und durch tüchtiges
Contouriren nach der Antike, so ist doch nun der Zeitpunkt gekom-
men, wo sein Geist sich der Ausführung freier Schöpfungen hingeben
kann, ohne zu fürchten, daß sein Können und Wissen zur Aus- und
Durchführung seiner Ideen nicht ansreichen, denn das ist gerade die
Klippe, an welcher so viele unsrer Zeitgenossen aus Mangel an
gründlichen Studien scheitern; daher paßt auch auf unsere Kunst
Goethe's Wort an Eckermann: „die Alten hatten große Ideen, die
haben wir auch, aber sie führten sie eben so groß aus, das können
wir nicht." Ferner wird der Schüler, wenn nun alle untergeordne-
ten Ausbildungsstufen und Richtungen von der Akademie ausge-
schlossen sind, allein von edleren höheren Bestrebungen umgeben, den
niederen so entfremdet, daß er sich nur in jenen wohl und heimisch
fühlt, und jetzt erst kann er ohne Gefahr und ungleich erfolgreicher
als früher, mit seiner höheren Anshildung als Künstler zugleich die
allgemein menschliche verbinden.

- , •. 4 V ff «; I . , f *0 >

Niemand wird bestreiten, daß ein solches akademisches Leben der
Entwicklung aller Geisteskräfte des Menschen und des Künstlers, wie
der Erhebung des Herzens und Gemüthes unvergleichlich förderlicher
ist als das bisherige, und ebenso wird zugegeben werden, daß solche
Umgebungen und Verhältnisse alles, was an Phantasie in einem jun-
gen Mann vorhanden ist, wecken, und daher seinen Compositionen
einen weit höheren Grad von Schwung und Begeisterung und einen
tieferen Gehalt verleihen werden, als die jetzigen Componirsäle es
jemals vermögen, da er, wenn er sie verläßt, immer wieder durch
die vorhandenen Umgebungen und Verhältnisse herabgezogen wird.

Wenn die Akademieen, in dem hier gedachten Sinne genommen,
dem durch ihre Benennung vorausgesetzten Begriff der „hohen Schule"
entsprechen, und gleichsam als die Vorhöfe zum Tempel der Kunst
erscheinen, dessen Priester, die Professoren, ihn vor allem Unedlen
und Unreinen zu bewahren, und in dessen Geheimnisse sie den Schü-
ler immer tiefer einzuweihen haben, so ist die Aufgabe der Kunstschule
darum nicht minder schön, wichtig und dankbar, da von ihrem Wir-
ken die zweckmäßige Vorbereitung des künftigen Historienmalers zu
jenen höheren Weihen, des Genremalers jeder Art zu seiner ferne-
ren eigenthümlichen Entwickelung, und somit die ganze Zukunft der
einzelnen Künstler, wie der durch sie erst zur Erscheinung gelangen-
den Kunst abhängt. Aber die Verwirklichung solcher Anstalten und
Zustände bleibt auch bei dem besten Willen den Künstleru unmöglich,
wenn sie darin nicht von den hohen Regierungen unterstützt werden.
Daher spreche ich noch schließlich den angelegentlichen Wunsch aus,
daß diese dem hier erörterten Gegenstand ihre Theilnahme gewähren
und Maßregeln ergreifen möchten, durch welche dem drohenden gänz-
lichen Verfall der Kunst gewehrt werde.

Zu diesem Zweck erscheint mir als das zunächst Nothwendigste
eine Zusammenberufung sämmtlicher Directoren der Akademieen und
Kunstschulen, damit, auf deren Gutachten fußend, die zu einer durch-
greifenden Reform so nothwendige Einigkeit und Allgemeinheit jener
Maßregeln ermöglicht werde.

Diese Reform wird aber nicht allein der Kunst und der Zukunft
so vieler unsrer Söhne zu Gute kommen, sondern auch einen bedeu-
den Einfluß auf das Gedeihen aller mit den bildenden Künsten in
Verbindung stehenden Gewerbe ausüben, weil der Absatz der Ge-
werbserzeugnisse nächst ihrer Gediegenheit von ihrer geschmackvol-
len Arbeit abhängt, und diese wie die Griechen, das Mittelalter^
unsre Regeneration, und selbst die nicht etwa von Genremalern und
Naturalisten, sondern von Idealisten und Historienmalern entworfenen
schönen neuen Zifferblätter unserer Schwarzwälder Uhren beweisen,
durch das Vorherrschen und den Einfluß der „großen" Kunst eben-
falls gehoben wird, während dagegen das Dominiren der „kleinen"
Kunst des Genre auch hier herabziehend wirkt, wie denn wohl nie-
mand die Geräthe u. s. w. der alten Niederländer, wenn sie nicht
fremdes nachahmten, als Muster eines feinen Geschmacks ansehn
wird. Demnach kann es für mich keinem Zweifel unterliegen, daß
das wirksamste und nothwendigste Protectorat der Künste und Gewerbe
in der Einrichtung der Kunstbildungsanstalten nach dem hier ange-
deuteten Princip besteht, weil dadurch die Oberherrschaft jener alles
herabziehenden „kleinen" Kunst gebrochen, die „große" Kunst dage-
gen vor dem weiteren Verfall, der ihr eben so sehr durch den in
Manier ausartenden Idealismus, als durch das zum Naturalismus
herabgesunkene Streben nach Wirklichkeit droht, bewahrt bleiben
wird; aber eben so gewiß ist es mir auch, daß, wenn man bei dem'
bisherigen Princip verharrt, trotz aller Opfer und Anstrengungen
der Geist immer mehr aus unsrer Kunst entweichen wird, und ge-
rade dadurch auch das zur Herrschaft gelangte Materielle, das Ma-
chen und Genre, immer werthloser, weil geistloser werden muß, denn
die ewige Wahrheit sagt: „Wer da hat, dem wird gegeben werden,
 
Annotationen