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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0211
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195

Ansicht entgegen, die möglichst frühe Anwendung des Erlernten ver-
langen, sie vergessen aber, daß unsre Zeit die des Bewußtseins und
der Kritik ist, daß daher die Anforderungen andere, als die der alten
naiven Kunstperiode sind. Wenn nun auch das Verfahren der
früheren akademischen Zeit, die mit dem bloßen Studium die besten
frischesten Jahre des Schülers verschlang, durchaus verwerflich war,
so verfällt man dagegen jetzt in das andre Extrem, indem man die
Unreifsten zur Ausführung ihrer noch unreiferen Entwürfe aufmun-
tert, dadurch ihrer Eitelkeit schmeichelt und die Oberflächlichkeit be-
günstigt, abgesehn von dem verderblichen Einfluß, den solche Schüler-
arbeiten immer auf den allgemeinen Geschmack ausüben können.
Darum sollte erst daun zur Ausführung geschritten werden, wenn
der Schüler durch die gründlichsten Studien das Handwerk, das Ma-
chen, wenigstens in einem gewissen Grade beherrscht.

Es wird zum Verständnisse des Folgenden nicht überflüssig sein,
-wenn ich hier bemerke, daß das große Gewicht, welches ich in die-
sem Abschnitt auf das Machen lege, mit den früheren harten An-
griffen desselben in keinem Widerspruch steht, weil dort nur von dem
naturalistischen Machen die Rede ist, welches nicht allein sich
dem Geiste gleichstellen, sondern ihn beherrschen will, und dadurch
gerade unwahr wird, gleich wie der natürliche Mensch, wenn er sich
der geistigen Wiedergeburt verschließt, sich immer weiter von der
Wahrheit entfernt. Hier aber ist ein wieder geboren es Machen
gemeint, das sich dem Geiste üuterordnet und als Werkzeug ganz
hingiebt, und ihm, je ausgebildeter es in der Nachahmung des dem
leiblichen Auge Sichtbaren ist, um so besser dienen kann, die dem
geistigen Auge vorschwebeuden Phantasiebilder treu wiederzugebeu.
Wenn es einzelne Beispiele des Gegeutheils giebt, so sind sie eben
seltene Ausnahmen.

Durch die hier vorgeschlagene Abänderung der bisherigen aka-
demischen Einrichtungen wird nach meiner Ueberzeugung dem fer-
neren Verfall der Kunst ohne Zweifel vorgebeugt werden, aber er-
heben wird sie sich nur dann wieder, wenn auch in der Unter-
richtsweise und in dem dazu verwendeten Material die schon
früher als uothweudig bezeichneten Veränderungen eintreten- Die
Wort ausgesprochenen Ansichten stützen sich auf den Grundsatz, daß
wie Natur nicht allein für den vollendetsten Maler die höchste Lehr-.
Meisterin, und so widersprechend dem Idealismus cs auch klingen
mag, das höchste Vorbild ist und lebenslänglich bleiben muß, weil
sie ein Kunstwerk Gottes ist, das, wenn auch von seiner ursprüng-
lichen Höhe herabgesuukeu, dennoch tros; seiner Verstümmelung und
Zerrissenheit solche hohe Kennzeichen des göttlichen Künstlers bewahrt,
daß weder die Griechen, noch irgend ein menschlicher Künstler, sie
-fiuö der Phantasie je erreichen kann, wie denn auch Polhklet die
-Einzelheiten seines berühmten Kanons von der sichtbaren Natur ent-
lehnte, und aus ihnen ein Ganzes schuf. Diese den Schüler auf
was Genaueste kennen und wiedergeben zu lehren, ist demnach eine
wer wichtigsten Aufgaben des Unterrichts, und da das jugendliche
-Gemüth und unverwöhnte Auge am unbefangensten aufsaßt, aber auch
mn leichtesten irre wird, so ist es einleuchtend, daß namentlich im
'Anfänge des Studienganges der Schüler durch kein Jdealisiren,
Sthlisiren u. s. w. beirrt werden darf. Daher sollten nach meiner An-
sicht alle Jdealvorbilder, aus sämmtlichen Klassen der Kunstschulen als
Vorbereitungsanftakten gedacht, gänzlich verbannt sein, und um zugleich
wen Grund zu einer wirklich nationalen Kunst zu legen, nur zu die-
sem Zweck entweder besonders gefertigte, oder sich dazu eignende
brene Nachbildungen der deutschen Natur von unfern besten älteren
und neueren deutschen Meistern das Unterrichtsmaterial bilden.
Dieses ist auch deshalb zweckmäßiger, weil namentlich dem jugend-
Uchen Gemüth das Verständniß des Vaterländischen leichter wird,
^rls das des Fremden, abgesehn davon, daß charaktervolle Portraits
berühmter deutscher Männer und schöne deutsche weibliche

Köpfe unvergleichlich interessanter und für den ganzen Menschen för-
dernder und wohlthuender sein werden, als die bisher gebräuchlichem
vorzugsweise fremden Jdealvorbilder.

Daß nach dem Princip der christlichen Kunst und der Regene-
ration das markirt Individuelle und Charaktervolle dabei den Vor-
rang haben muß, ist bereits bemerkt, aber deshalb darf das Schöne,
was die deutsche Natur bietet, nie fehlen, und wir brauchen nicht zu
fürchten, daß diese, wie nur zu viele glauben, nicht ausreicht, da.
selbst Winkelmann, der ein eben so strenger als competenter Richter
im Gebiet der Schönheit war, erklärt, „er habe in Deutschland Ge-
stalten gesehn, die dem strengsten griechischen Bildhauer hätten zum
Modell dienen können". Hat nun der Unterricht in diesem Sinn,
begonnen, so kann natürlich von einem darauf folgenden Studium
der Antike im Gypssaal keine Rede sein, nicht allein, weil sie wir
oben bemerkt, dem Unreifen zu hoch und zu fern steht, sondern auch,
weil zwischen dem Zeichnen nach Vorlagen und dem ganz Runden
eine zu große Lücke ist, die ich seit vielen Jahren mit gutem Erfolg,
durch Basreliefs ausgefüllt habe. Es hat sich dabei gezeigt, daß.
allen einigermaßen talentvollen Schülern das Zeichnen nach Vorla-
gen fast ganz erspart wurde, und daß diejenigen, welche fleißig Um-
risse nach den bis 2 Fuß großen Basreliefsfiguren gezeichnet
hatten, überraschend schnell die richtigen Verhältnisse, sowohl beim
ganz Runden, als beim lebenden Modell treffen lernten, solche aber,
welche nach dem Halbrunden viel schattirten, bedurften keine dew
früher erwähnten, so außerordentlich lange Zeit verlangenden Arbei-
ten, um die Regeln der Beleuchtung beim ganz Runden kennen und
anwenden zu lernen, weil durch jenes zu diesem ein Uebergang statt-
and, und sie, anstatt wie bisher, in mehreren Monaten nur eine
Figur von einer Ansicht in einer Stellung gezeichnet zu haben,
mehr als ein halbes Dutzend Gestalten in den verschiedensten Stel-
lungen, Ansichten und Beleuchtungen ausführen konnten, da es dem
Anfänger natürlich leichter wird, in derselben Größe zu kopiren, als
nach Lebensgröße zu verkleinern.

Die Vorbilder zu dieser neuen Unterrichtsmethode wären sehr
schnell und billig zu erlangen, wenn die auf Akademieen den Mo-
dellsaal besuchenden hinreichend vorgerückten jungen Bildhauer unten
Correctur des Professors ihre Studien in Aktgröße oder etwas da-
rüber in Basrelief und ganz rund ausführten, und diese dann ui
Gyps abgegossen würden, und auf dieselbe Weise könnten halb un^
ganz runde Portraitköpfe, Hände und Füße naturgroß modellirt wer-
den. Ich kann hier auf keine weiteren Einzelheiten eiugehen, und
füge daher nur noch die ans langjährige Erfahrung gegründete Be-
merkung hinzu,' daß der durch solche Vorbilder ausschließlich zur-
treuen Nachbildung der Natur angeleitete Schüler das lebende Mo-
dell unvergleichlich schneller, leichter und richtiger verstehen und wie-
dergebeu lernt, als wenn er im Anfang des Studiums durch Jdea-
lisiren., Sthlisiren, Antike und Jdealvorbilder von der Wirklichkeit
abgezogen wird, zumal wenn er das Aktzeichuen nicht, wie bisher
gebräuchlich, gleich mit Schattiren, sondern mit bloßen Umrißmachen
beginnt, weil er dann, anstatt höchstens einer Figur von einer An-
sicht, in der Woche wieder fünf bis sechs von verschiedenen Ansichten
zeichnen kann.

Der Unterricht in der Malerei bedarf nach dem bereits früher
darüber Geäußerten keiner weiteren ausführlichen Besprechung, da
er, um mit dem Zeichnenunterricht.übereinzustimmen, die einfache
treue Nachbildung der Natur ebenfalls zu seiner ausschließlichen Auf-
gabe machen muß; daher sei hier nur der möglichst frühe Beginn
des Malers empfohlen, damit dieses dem Schüler eben so leicht, ja
leichter werde, als das Ausfuhren durch Zeichnen, und er beschränke
sich nicht allein auf die menschliche Gestalt, sondern strebe danach,
alles Sichtbare durch Malen treu nachzubilden.

Hier möchte ich besonders das Malen nach über Gliedermän-
 
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