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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0244
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Doch wem wenig dran gelegen
Scheinet, ob er reizt und riihrt,

Der beleidigt, der verführt —

vorzugsweise der letzten, und je höher sie mit scheinbar beleidigter Würde zu
einem Anträge jetzt noch das Köpfchen trägt, um so sicherer sche'nt der nach-
lässige Verführer einen baldigen Sieg über sie erwarten zu dürfen. Ob diese
Interpretation die richtige ist, wissen wir nicht; jedenfalls ist sie der Auffassung
des Bildes nicht ungünstig, welches sonst der Einheit und Selbstverständlichkeit
ermangelt. Auch in den Aeußerlichkeiten des Bildes, besonders im Costüm der
Personen, ist Manches, was nicht recht zu einander paßt. Während die drei
übrigen Figuren im Rococogeschmack erscheinen, scheint die ältere Dame der Ge-
genwart oder jüngsten Vergangenheit anzugehören. Der lange Hals der jungen
Dame in der zweiten Gruppe ist zwar recht characteristisch, geht aber doch ein
wenig zu sehr über die natürlichen Verhältnisse hinaus. — Das Vischer'sche
Bild stellt einen alten Trompeter dar, der sich's im Quartier bequem macht und
mit behaglichem Gesichtsausdruck zwei kleinen Mädchen entgegensieht, welche eben
im Begriff sind, ihm einen großen Krug Bier und ein tüchtiges Laib Brot zu
bringen. Gesicht und Haltung der Kinder, besonders des kleineren, welches das
Brot kaum zu tragen vermag, sind vom sprechendsten, natürlichsten Eindruck; die
in der Küche beschäftigte Hausfrau hingegen eine völlig ausdruckslose Figur, die,
so wie sie ist, den Eindruck des Bildes mehr schwächt, als fördert. — Die
Scene auf der Alp von Koller ist mehr Thierstück und Landschaft, als Genre-
bild, oder, wenn man will, eine Vereinigung von allen drei Gattungen, wodurch
das Interesse an derselben einigermaßen zersplittert wird. Den Mittelpunkt des
in großem Maaßstabe ausgeführten.Gemäldes bildet ein Stier, der sich gegen
einen ihn angreifenden Hund zur Wehre setzt. Die Haltung beider Thiere ist
sehr naturgetreu; das Colorit zeigt hie und. da Töne, welche für die kräftigen
Formen zu weich erscheinen. Die Anordnung der gerade den Kamm des GebirgS
übersteigenden Heerde macht sich im Ganzen sehr malerisch, 'wenn gleich die Kühe,
einzeln betrachtet, allzusehr in der Verkürzung erscheinen. Den genreartigen
Charakter erhält das Bild durch die Figuren des Sennen und einer Sennerin,
von . denen der Erstere seinen Arm um der Letzteren Nacken schlingt, während
diese eine Gais am Bande führt. Sie nehmen durch ihre Größe, durch ihre
hervorragende Stellung im Mittelgründe und durch die Eigenthümlichkeit ihrer
Beleuchtung zu sehr die Aufmerksamkeit in Anspruch, als daß sie für bloße
Staffage gehalten werden könnten, gleichwohl aber sind sie nicht bedeutend genug,
um die Gruppe des Stiers und der Heerde zu einer bloßen -Nebenpartie herab-
zudrücken und dies ist es besonders, was die einheitliche Wirkung des Bildes
beeinträchtigt. Außerdem besitzt auch die Landschaft als solche, obschon das Hoch-
gebirge zum größten Theil in Wolken und Nebel eingehüllt ist, des Anziehenden
und Eigenthümlichen zu viel, um als bloßer Hintergrund aufgefaßt zu werden,
und so geschieht es, daß das Auge, weil ihm des Guten auf einmal zu viel ge-
boten wird, nicht recht weiß, wohin es sich wenden und woran es vorzugsweise

haften bleiben soll. — .

Ein gleichfalls zwischen Genre und Landschaft in der Mitte schwebendes Bild
ist die „Frühjahrsscene" von Julius Noerr. Auch hier sind die Figuren —
Landleute, welche von ihrer Arbeit zum Dorfe zurückkehren und hier dem geist-
lichen Herrn begegnen, der den Kindern seinen Segen ertheilt — für bloße
Staffagegestalten zu bedeutend, dagegen für Gruppen von selbstständiger Wir-
kung nicht bedeutend genug. Uebrigens klingt uns ans dein Gemälde eine gcmüth-
ansprechende Stimmung an.

Unter den eigentlichen Landschaften erwähnen wir zunächst eine größere von
Friedrich Müller von einfacher, aber effectvoller Composition. Die Haupt-
wirkung geht von einer großen, kräftigen Buche aus, welcher der Künstler ein so
plastisches Gepräge zu geben gewußt hat, daß sie wirklich mit den übrigen Bäu-
men des Waldes nicht in gleicher Fläche zu stehen scheint. Rechts davon im
Vordergründe befindet sich ein stehendes Wasser, an welchem ein Knabe sitzt und
angelt; darüber hin eröffnet sich ein Blick in vie Ferne. Zur Linken der Buche
zieht sich auf einer Anhöhe der Saum eines Waldes hin mit mehr charakteristi-
schen und natürlichen, als wirklich anmuthigen Baumgruppen. Der Künstler hat
es verschmäht, durch Herbeiziehung eigenthümlicher Farbentöne zu wirken, und
diese Enthaltsamkeit ist dem überhand nehmenden Modegeschmack gegenüber zu loben;
andererseits aber wird er dem Farbensinn fast zu wenig gerecht; namentlich fehlt
seinem Colorit der durchscheinende vegetabilische Charakter. — Weit wirksamer ist
von Seiten des Colorits eine „Waldlandschaft bei Branneburg" von K. Haefner,"
obschon auch sie in ernstem, trübem Ton gehalten ist, wie er einem eben im
Anzug begriffenen Regen, der sich bereits in einer schwer niederhängenden Wolke
ankündigt, voranzngehen Pflegt. Zwei kleinere Landschaften romantischen Charakters
sind „Burg Falkenstein im bairischen Walde" und „Schloß Laker in der Ober-
pfalz" von I. Ostermayr. Ihnen schließt sich „die Ruine Madenburg in der
Rheinpsalz" von H. I. Fried an, während W. Bode und I. F. Spengel

zwei nicht grade imponireude, aber eigeuthümliche Gebirgslandschaften lieferten.

Ein sehr fleißig und sauber ausgeführtes Städtebild ist F. Jodl's „Dom in
Rouen."

Unter den Gemälden religiösen Charakters ragte besonders eine „heilige
Cäcilie" von Castello hervor; außerdem verdient noch eine „heilige Magdalena"
von M. A. Orsi nach Carlo Dolce und eine Anzahl Copien nach Gemälden
von Velasquez, Leonardo da Vinci und Rubens von I. Wüger genannt zu
werden.

— Es steht gar sehr zu wünschen, daß nicht nur die Künstler, sondern auch
die Besitzer von Kunstwerken der Einladung der Akademie zur Jubiläums-AuS-
stellung*) Gehör schenken. Ist dies der Fall, so kann, da kaum irgend ein be-
deutender Künstler in Deutschland existiren möchte, der nicht zur hiesigen Akademie
in einer der bezeichneten Beziehungen.stände, eine Ausstellung zu Stande kom-
men, welche, wie noch keine andere, Gelegenheit zu einem umfassenden Ueberblick
über die gesammte Thätigkeit der neuern deutschen Kunst zu geben vermag und
es der Kunstwissenschaft möglich machen wird, von dem Fortschritt derselben, so
wie von den charakteristischen Unterschieden ihrer einzelnen Richtungen und Lei-
stungen ein weit festeres und zuverlässigeres Bild zu gewinnen, als es auf Grund
von vereinzelten und zerstreuten, oft durch lange Zeiträume unterbrochenen An-
schauungen geschehen kann. Gelingt das Unternehmen, so wird es innerhalb der
Gräuzen, in welchen es sichtbar ist, nicht minder interessant und instructiv sein,
als die jetzt stattsindende Ausstellung zu Manchester.

— 10. Juni. Heute starb hier, 80 Jahre alt, >r als Kunstkenner und Ge-
mäldesammler auch in weiteren Kreisen bekannte Pens. k. Collegialsekretair Frau;
Bolgiano.

7\. Juni. Am 11. d. M. verstarb Hierselbst unser alter-

wackerer Moritz Rctsch im hohen Alter von 78.Jahren. Er wurde 1779 in
Dresden geboren und kam 1798 daselbst auf die Academie. Seine frühesten,
mit Auszeichnung genannten, Werke sind: die Erfindung des Saitenspiels (1806),
Bacchus als Kind auf dem Tiger schlafend, Diana (lebensgroßes Kniestück), St.
Anna, wie sie die Maria lesen lehrt, eine Pieta, ferner ein Bild von Amor
und Psyche, die sich auf Wolken umarmen (1808). Aus d. I. 1814 stammen
seine Genoveva und Undine (nach L. M. Fouque's Dichtung) sowie der Erl-
könig, aus d. I. 1824 der Ritter Siutram (nach Fouque's Erzählung). Neben
diesen von tiefstem Ernste durchdrungenen Schöpfungen brachte er damals auch
zwei komische Gemälde; erstlich: zwei Satyre, die mit einander ringen, während
ein Schäfer die Nymphe entführt, ferner: einen auf dem Weiuschlauche sitzenden
und unbekümmert trinkenden Satyr, hinter dessen Rücken zwei Nymphen schel-
misch heranschleichen, deren Eine mit ihren: Jagdspeere den Weinschlauch auf-
sticht. Ebenfalls dem heitern Genre gehört: Mignon, Guitarre spielend, zu
Wilhelm Meisters Füßen. Vier andere Gemälde stellen die vier Hauptstationeu
des menschlichen Lebens, zugleich mit den vier Stationen des Jahres und den
vier Tageszeiten (ausführlich erläutert in BLttigers Notizenblatt Nr. 8) dar.
Der Künstler schuf besonders viele symbolische Bilder, von ihm Phantasiegemälde
genannt, unter Andern: der Genius der Menschheit und der Träger des Bösen
„um Mcnscheuseelen Schach spielend" (nur in Zeichnung vorhanden), „der En-
gel des Todes, zwei Kinder in die Gefilde der Seligen entführend" (als großes
Gemälde ausgeführt). Mrs. Jameson zollt denselben in „Visits and sketches
at liome and abroad etc. 'London 1834", sowie im Kunstblatt von 1834
Nr. 84 (Dr. Vogel) uugetheilte Bewunderung. Seit 1835 erschien eine Folge der
Phautasiestücke, die großenteils nur in Zeichnungen vorhanden waren, im eng-
lischen Stahlstiche unter dem Titel Landes, mit Erklärungen begleitet. Später
radirte und veröffentlichte Retzsch selbst eine Folge von 6 solchen Compositionen
(nämlich 1. Apollo verläugnet, 2. die Mutter, 3. das Menschenherz, 4. Kunst,
5. ruhendes Landmädchen, 6. Schlummer der Kindheit) unter dem Titel: „Phan-
tasieen und Wahrheiten". Das Bildniß des Künstlers befindet sich in Vogel
von Vogelsteins Portraitsammlung. In vollständiger Aufzählung erwähnen wir
von seinen Werken noch 1) Umrisse zu Goethe's Faust, 26 Blätter, Stuttgart
1828, 2) die nämlichen 1834 von Retzsch selbst retouchirt und um einige neue
Platten vermehrt, 3) Gallerte zu Shakespeares dramatischen Werken in Umrissen
mit Andeutungen von B. v. Miltitz u. Ulrici, 4) 16 Umrisse zu Schillers Kampf
mit dem Drachen, 5) 8 Umrisse zu Schillers Fridolin, 6) Umrisse zum Liede
von der Glocke, 7) dergl. zum Pegasus in: Joche, 8) deögl. zu Bürgers Bal-
laden: Leonore, das Lied vom braven Manne und des Pfarrers Tochter von
Taubenhain, 9) Phantasieen, mit englischem, deutschem und französischen: Texte,
nebst Vorwort von MrS. Jameson, 10) Phantasieen und Wahrheiten, 8 Blätter,
gestochen und erläutert von Retzsch 1838, 11) der Becher, nach einem Gedichte
von: Grafen Löwen, 12) Faust und Gretchen, zwei Lithographieen.

*) Dieselbe ist in der vorigen Nummer abgedruckt. D. N.

(Dieser Nummer ist Nr. 13 des Literatur-Blattes des Deutschen Kunstblattes beigegeben.)

Verlag von Jjritmd) Schindler in Berlin. — Druck von Crowihsch und Sohn in Berlin.
 
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