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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0249
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sich zu ihrem kleinen Kinde niederbeugt, welches aus seinem korb-
artigen, auf dem Rücken eines Esels befestigten Bettchen seine
Händchen der Mutter entgegenstreckt, gleichsam als wollt' es sie
trösten und ihren Blick vom absterbenden wieder auf das aufblü-
hende Leben lenken. Im Rücken des Zuges sieht man ein junges
Ehepaar, welches wahrscheinlich, um den Zug mit anzusehen, aus
irgend einer in der Nähe befindlichen Wohnung herbeigeeilt ist, in
einer tiefe Rührung ausdrückenden Haltung den Heimweg wieder
antreten, während ein Kind auf dem Arme der Mutter seine Arme
zappelnd nach einem älteren Bruder ausstreckt, der eine gepflückte
Blume in der Hand hält und sie aufmerksam betrachtet.. Zu An-
fang des Zuges hingegen sieht man eine arme Frau am Wege
sitzen mit zwei schon ziemlich erwachsenen Kindern, welche, wie der
Kaiser selbst, die Hände falten und für ihn zu beten scheinen. Un-
mittelbar hinter ihnen sieht man aus bett ersten Häusern der nahen
Stadt, deren Thürme bereits zu sehen sind, einen Steinmetzen her-
beieilen, wahrscheinlich denselben, welcher für den Friedhof im Vor-
dergründe die Grabsteine fertigt und demnächst am Monumente des
Kaisers arbeiten wird. Noch weiter im Hintergründe sieht man
Landleute in der Feldarbeit innehalten, um den Zug wenigstens aus
der Ferne mit anzuschauen. Die Natur erscheint im Frühlingsge-
wande, jedoch herrscht in ihr jene wehmüthige Stimmung vor, die
uns nicht selten aus dein Frühlingsodem anweht und uns in und
mit dem Aufblühen eines neuen Lebens zugleich das Hinsterben eines
vergangenen vergegenwärtigt. Selbst auf den Thieren scheint diese
gedrückte Stimmung zu lasten. Die Pferde, von schweren Decken
überhangen und hochbetagten Führern geleitet, schreiten, wie bei einem
Leichenbegängnis langsam und gemessen einher, und der Esel der
oben erwähnten Gruppe steht als ein humoristisches Bild der aklgemei-
nen Traurigkeit mit gebeugtem Kopf und gesenkten Ohren da. Nach
dieser Beschreibung wird man glauben, als müsse das Gemälde den
Eindruck der Reichhaltigkeit und Fülle machen. Die Wirkung ist
aber eine geradezu umgekehrte. Trotz den eben geschilderten Ele-
menten trägt es den Charakter einer vorherrschend einfachen und
schlichten Composition und mag vielleicht das verwöhnte Bedürfnis
des heutigen Geschmacks, nicht ganz befriedigen. Der Grund hier-
von liegt zum Theil in der schon oben erwähnten mehr plastischen,
als specifisch malerischen. Anordnung, zum Theil in der geflissentli-
chen Vermeidung bestechender Farbenefsecte, hauptsächlich aber in
dem an alte Holzschnitte erinnernden naiver Anschauung und ur-
anfänglicher Technik entsprechenden Stil in der Zeichnung der mensch-
lichen Gestalt und in der Darstellung der Gemüthsstimmungen und
Leidenschaften. Die Kunst hält sich bei ihrer Beobachtung und
Reproduction der Natur und des Menschenlebens zuerst an das
Große, stark Hervortretende, nach gewissen allgemeinen Typen Wie-
derkehrende; von hier aus wendet sie sich nach und nach immer
mehr und mehr zur Darstellung des Feinen, Verborgenen, in tau-

senderlei Nüancen und Modificationen sich Verhüllenden. Unsere
gegenwärtige Kunst ist offenbar schon bei dieser letzten Richtung
angelangt, und nur was in dieser Weise componirt ist, wird un-
mittelbar den Charakter eines modernen Kunsterzeugnisses tragen.
Neben dieser Richtung macht sich aber ein Bedürfnis nach dem
abhanden gekommenen Großen und Einfachen geltend, auch dieses
will befriedigt sein, und Schwind gehört zu den Meistern, deren
Thätigkeit hauptsächlich auf die Stillung dieses Verlangens gerichtet
ist. Derselbe Drang, der ihn seine Stoffe vorzugsweise in der
alten Sagenpoesie suchen ließ, treibt ihn auch zur Wiederbelebung
der alten Forinen; und wenn er diese Formen hier auch auf einen
historischen Stoff anwendet, so wird dies zwar weniger Anklang
finden als in seinen Sagendarstellungen, weil man mit Recht ver-
langt, daß die.geschichtliche Darstellung das Factum der Vergangen-
heit auch mit dem Bewußtsein und der Anschauungsweise der Gegen-
wart vermittle; absolut verworfen kann es aber schon darum nicht
werden, weil nicht bloß das Sache des künstlerischen wie des wis-
senschaftlichen Interesses ist, sich die Vergangenheit zu vergegenwär-
tigen, wie sie war, sondern auch wie sich selbst künstlerisch und
wissenschaftlich zu reproduciren pflegte. Wenn also Schwind den
von ihm gewählten Stoff in einem 'mehr mittelalterlichen, als mo-
dernen Stil behandelt hat, hat er nur gethan, was auch einer un-
serer bedeutendsten Romandichter gethan hat, als er seine aus der
Brandenburgischen Geschichte geschöpften Romane in einem Stile
schreibt, der lebhaft an den alten Chronikenstil erinnert, und wie
dieser hierdurch bei Vielen Anstoß erweckt hat, weil er ihnen eine
Selbstverleugnung zumuthete, zu der nicht Jedermann geneigt ist,
so wird sich auch unser Künstler auf vielseitigen Widerspruch gefaßt
machen müssen lind sich nicht wundern dürfen, wenn man in seiner
Darstellung etwas Befremdendes findet. Wir unsererseits halten
nun zwar eine derartige Darstellung keineswegs für geboten, erken-
nen vielmehr diejenige Reproduction der Vergangenheit als die voll-
kommenste, welche auf ähnliche Weise, wie Shakspeare in seinem
Coriolan, Cäsar rc., den Anforderungen des dargestellten Objects
und des anschauenden Subjects gleich gerecht wird; aber wir lassen
uns auch nicht dadurch zurückstoßen und in dem Genuß der uns
vom Meister so reichlich gebotenen Schönheiten beirren, indem wir
der Ansicht sind, daß, wer ein Kunstwerk genießen will, auch Elasti-
cität genug besitzen muß, seine Anschauungsweise insoweit der des
Künstlers anzuschmiegen, als es die Gesetze der Schönheit gestatten
und die Bedeutung des Meisters rechtfertigt. Derjenige Punkt,
worin wir dem Künstler am schwersten zu folgen vermögen, ist
seine Anwendung von allzufahlen Farben für das Fleisch; namentlich
dürfte der olivengrüne Ton, in welchem die Gesichter der zweiten
Hauptgruppe gehalten sind, sich allzuweit von der Naturwahrheit
entfernen und sich kaum durch irgend einen haltbaren Grund recht-
fertigen lassen. — 8 —

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Münster in Alm.

Das Deutsche Kunstblatt Jahrgang VIII. No. 15. vom 9. April
1857 enthält einen Artikel über den Ulmer Münster von Seiten
mehrerer Herrn Architecten in Berlin, welche den Vorträgen des
Herrn Professor Häßler mit großer Aufmerksamkeit gefolgt sind,
der Sache selbst das erfreulichste Interesse geschenkt und nur bedauert
haben, nach den nicht ganz vollständigen Zeichnungen, welche Vorge-
legen sind, keine sichere Urtheile über den wirklich gefahrdrohenden
Zustand der Gewölbe des Mittelschiffes fällen zu können.

Der Unterzeichnete muß es sich daher zur angenehmen Pflicht
machen, dem Wunsche seiner verehrlichen Herrn Collegen in Berlin
möglichst zu entsprechen, und wird diesem durch beiliegende scizzirte

Zeichnung nebst Commentar so umfassend als möglich nachzukommen
suchen.

Die Herrn Architecten sind der Meinung, das hauptsächlichste
Uebel, welches diesen Sargwänden des Mittelschiffes zugestoßen
sei, habe seine Ursache in dem Dachstuhl, welcher schlimme Zu-
stand dadurch bewirkt worden ist, daß das Dach keinen senkrechten,
sondern vielmehr einen Seitendruck auf die Mauern habe. —

Die Herren sind ferner der Meinung, das unter dein Dach-
stuhl angebrachte Sprengwerk übe diesen gefährlichen Seitenschub,
und dessen Herausnehmen, so wie das Einsetzen eines Hängwerks,
und eine Verankerung der Seitenmauern in den Gurtbögen werde
dem künftigen Schaden Vorbeugen.

Erstere Ansicht will ich nicht ganz verkennen; nur tritt das
 
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