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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0332
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312

der sie fiir ein Original ausgiebt; sie rührt aber von einem unbe-
kannM Meister her, und ist von geringem Werth. Man benutzte
die Composition auch zu einem Ältarblatte für die Kirche San
Agostino. in.Nom, fügte aber Engöl hinzu und malte auf den Schleier,
den die Madonna von dem erwachten Kinde sanft abhebt, Rosen,
daher jenes Bild Madonna delle Rose genannt wird.

Eine siebente Copie, abgesehen von der letzterwähnten verän-
derten, befand sich in der/Galerie-Monte Casino, und gelangte in
das berühmte königliche Museum zu Neapel. Dieselbe wurde früher
dem Antonio del'Sarto zugeschrieben, und wird jetzt für ein Werk
des Perin del Vaga gehalten; eine Annahme, welche Passavant als
ebenso willkürlich, wie die erste verwirft, indem die Zeichnung sehr
mittelmäßig, und die Carnation sehr roth ist. Ebenfalls zu Neapel,
in der -Sammlung des Cavaliere Carmine Lancelotti, befindet sich eine
achte Copie aus Rafaels Schule, etwas, hart in den Umrissen, und
auf der Rückseite mit folgender Inschrift versehen: Legato del Sig.
Principe Borghese alla Signora Constanza Eleonora. Eine andere
Constanza, die Gräfin Constanza Monti zu Pesaro ist in dein glück-
lichen Besitze des Carton-Entwnrfs dieser Madonna, von Rafaels
eigener Hand, die auf die Rückseite das Verzeichniß der Propheten
niederschrieb. ,

'Eine neunte Copie befand sich eine Zeitlang zu Dresden im
Besitze des Hrn. von Canicof, kaiserlich russischen Gesandten am
königlich sächsischen Hofe.-^Diese^MMavosolo gemalt haben.

Wiederum eine alte Copie, die zehnte, die nun bekannt ge-
worden, ist seit dem Jahre 1821 im Pariser Museum des Louvre
ausgestellt und trägt die Nummer 1191*) Dieselbe hat manche
Mängel, wurde jedoch neben noch einigen anderen Bildern von.ge-
ringer künstlerischer Bedeutung für 100,000 Francs erkauft, was
einigermaßen den Maßstab des Werthes solcher Gemälde abgiebt.
Eine eilfte Copie, schwach wie die vorige, wenn es nicht dieselbe
ist, befand sich in der Galerie Orleans, kam aber zur Zeit der Re-
volutionsstürme nach England. Von ihr wird später noch die Rede
sein. Außer ihr befinden sich aber immer noch drei Copieen des in
Rede stehenden Gemäldes in England (12. 13. 14.), und zwar-eine
ausgezeichnet schöne in der Galerie Miles zu Leight Court, nur daß
auf derselben Joseph fehlt, — die andere, nicht vorzügliche, in der
Sammlung des Herzogs von Marlborough zu Blenheim-House in
der Grafschaft Oxford. Die dritte, von Passavant ebenfalls, nicht
erwähnte Copie befindet sich in der Galerie des Herzogs von Au-
male, jetzt in Chiswick ohnweit London, in der Grafschaft Middleesex,
wo das prachtvolle Landhaus des Herzogs von Devonshire. — Diese
Copie, von einem der besseren Schüler Rafaels, zeichnet sich durch
ihr auffallend Helles Colorit aus, ist im Ganzen schön, nur vielleicht
etwas kleiner, als ihre zahlreichen Schwestern. Endlich befindet sich
noch eine-sehr geringe Copie in der großen Bildergalerie zu Brüssel,
welche Passavant ebenfalls unerwähnt ließ.

Alle diese Copien sind nur als solche bekannt und genannt,
ausgenommen die des Hrn. Campana, welche aber Kenner nicht
sonderlich achten, und mußten aufgeführt werden, um von ihnen
wieder zu dem Urbilde zurückzukehren. Dieses befand sich, nachdem
es aus der Kirche Santa Maria del Popolo verschwunden war, im
Besitze eines Römers, Namens Girolamo Lottorio, der den Werth
des Bildes würdigte, und dasselbe aus frommem Antriebe im Jahre
4717 in den reichen Schatz der Kathedrale, oder der Kirche della
Santa Casa zu Loretto schenkte, wo es nun unter dem Namen der
„Madonna di Loreto" als ein Kleinod ersten Ranges verehrt wurde,
und bis zum Einmarsch der Franzosen in Italien blieb.

Im Juni 1796 erfolgte die französische feindliche Besetzung der

römischen Delegationen (Distrikte) und die überall bewiesene Raub-
lust der sogenannten und sich selbst so nennenden „großen Nation"
entschleppte unter andern auch der Kirche des heiligen Hauses zu
Loretto so viele Reichthümer. und- Schätze der Kunst, als nur immer
fortzubringen waren, darunter auch das große plastische, von den
reichsten Gewändern, von Juwelen, Gold und ächten Perlen strotzende
Wallsahrtsbild der Maria, welches erst 1804 zurückgegeben wurde,
und darum ebenfalls das Rafaelische Gemälde, die „Madonna di
Loreto," welches nicht wiederkehrte. Niemand wusste bestimmt, , wohin
das letztere gekommen, und die Angaben darüber unterlagen einem
begreiflichen Schwanken. Friedrich.' Reh.b er g *) ^ behauptete, daß das
Bild von den Franzosen mit nach Rom genommen, und dort in der
französischen Akademie zurückgelassen worden sei, wo er es selbst ge-
sehen haben will. Allein es ist höchst wahrscheinlich,, daß dies die
erwähnte Copie in der nachmaligen Galerie Fesch war; denn Joseph
Fesch besaß als französischer Kriegskommissar das Sammeltalent in
einem hohen Grade. Andere haben ohne allen Nachweis behauptet,
das Bild sei schon vor dem Einfalle der Franzosen aus der Kirche
della Santa Casa verschwunden oder entwendet worden, und befinde
sich irgendwo versteckt. Es ist aber kaum denkbar, daß aus einer
Kirche von solcher Bedeutung, wie die genannte zu Loretto, in wel-
cher der Gottesdienst Tag und Nacht nicht endet- ein Bild von so
hohem Wertste mir nichts dir nichts hinweg getragen werden könne.
Diesen Raub konnte., nur kriegerische Gewaltthat üben,, und hat. ihxr
jedenfalls verübt.

"Die Beschreibung des Bildes, wie I. D. Passavant und
nach ihm andere sie geben, stimmt genau mit dem hier ausgestell-
ten Bilde. -

„Die heilige Jungfrau steht links gewendet hinter dem Lager
des Christkindes, und hebt den Schleier von demselben auf. Das
auf dem Polster liegende Kind ist lebhaft bewegt, und streckt seine
Aermchen aus. Hinter Maria steht Joseph, auf seinen Stab ge-
stützt; den Hintergrund bildet ein Vorhang."

Diesem sei noch von dem hiesigen Bilde hinzugefügt: Das
Antlitz der Madonna leuchtet von jenem edlen Glanze, der den Ra-
faelischen Madonnenköpfen eigen ist. Das braune, gescheitelte Haar
fällt in zart gekräuselten Locken auf die Schultern herab, und ist
mit einem leichten Schleier bedeckt, lieber den hinken Arm hat die
h. Jungfrau einen dunkelblauen Mantel geschlagen, der bis auf das
wZße Lager herabreicht, auf welchem das Kind ruht, das unter dem
Haupt noch ein weißes Polsterkissen hat. Das Kind erscheint leb-
haft, frisch, anmuthig, natürlich. Joseph, der auf seinen Stab ge-
stützt, mit Antheil nach dem Kinde blickt, zeigt Bart und. Haar er-
graut, hageres Gesicht, stark hervortretende Stirnknochen über den
tief liegenden Augen, und gefurchte Stirne. Es ist ganz -Joachim
Sandrarts „alte ehrliche Mannes-Gestalt." Die h. Jungfrau hebt
mit beiden Händen den Schleier vom Kinde empor. Die linke Hand
ist ungemein fein in der Ausführung, die rechte zeigt die Spur
talentloser restaurirender Nachhülfe. Der Schleier ist äußerst duftig
gehalten und von Farbe weiß, mit dem Dnrchschimmer des grünen
Vorhanges, der den Hintergrund ansfüllt. Das Gewand, von
schwarzen einfachen Bändern gehalten, ist hoch mennigroth und un-
geschickt übermalt. Den Köpfen dieser heiligen Familie fehlen gänz-
lich die Aureolen. Des Bildes Höhe ohne den Rahmen ist 3 Pa-
riser Fuß, 5 Zoll, 8 Linien, die Breite 2 Fuß, 6 Zoll, 2 Linien.

Eben im Begriff, dem Kunstpublikum Kunde von diesem Bilde
zu geben, und die Gründe darzulegen, auf welche gestützt man das-
selbe trotz mancher Schädigung, die es erlitt, und trotz mehrfacher
Uebermalung dennoch für jenes bislang verschollene Urbild der Ma-

*) Vergleiche Br. G. F. Waagen: „Kunstwerke und Künstler in England
und Paris. 3. Theil. S. 444.

*) Rafael Sanzio aus Urbino. 2 Theile Text und 2 Theile lithogr. Ab-
bildungen. Berlin. Klein-Folio.
 
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