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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0333
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doniia bi Loreto zu halten sich berechtigt glaubt, bringt die englische
Zeitschrift „Times" in einer Juli-Nummer d. I. einen überaus wich-
tigen Artikel, der in der Uebertragung ungekürzt hier folgen mag:

„Die Entdeckung eines ächten Gemäldes von Rafael ist ein
Ereigniß, welches nicht allein die Eingeweihten der Kunst leb-
haft bewegt, sondern auch Personen von Geschmack und Er-
ziehung in jeder Klasse in jedem Lande. Ihren Lesern wird es
daher angenehm sein, zu erfahren, daß das Original der „Ma-
donna di Loreto" nach der Behauptung der bedeiltendsten Auto-
ritäten Italiens im Besitze eines Hrn. Walter Kennedy Laurie
sich befindet, eines vornehmen Engländers, der in Florenz wohnt.
Von diesem Gemälde (ans welches von allen Biographen Ra-
faels, von Vasari bis zu Quatremere de Quincy Bezug
genommen wird,) wurde ein Kupferstich durch d'Agincourt her-
ausgegeben, nach einem kleinen Gemälde in der Spezieria der
römischen Collegien, welches man für das Original hielt, wie-
wohl jetzt allgemein die Meinung gilt, daß es eine alte Copie
ist. Auch ein anderer Kupferstich wurde von Richomme her-
ausgegeben, nach der Copie, welche bisher im Besitz des Her-
zogs von Orleans war, und sich jetzt in der Pariser Galerie
befindet. Das Vorhandensein des Originals ist bis zu diesen
Tagen vielmehr eine Sache der Hoffnung als des Glaubens ge-
wesen. Aber im Familienbesitze des Herrn Kennedy Laurie
befindet sich nun ein Gemälde, welches mehrentheils für eine
Copie galt, doch zu Zeiten von sanguinen und enthusiastischen
Kritikern zum Original dieser Madonna erhoben wurde.

Hr. Laurie beschloß, die Sache der Entscheidung der höch-
sten Autoritäten in Italien anheim zu geben, und nahm vor
einigen Wochen das Gemälde mit nach Rom, um dasselbe der
Akademie der schönen Künste vorznlegen, und die Meinung der-
selben hinsichtlich einer Frage zu vernehmen, die eben so sehr
sein Familieninteresse berührt, wie sie den Antheil aller Kunst-
freunde in Anspruch nimmt. Eine sehr genaue Prüfung durch die
Mitglieder der römischen Akademie hat darauf die nachstehende
Erklärung zur Folge gehabt:

Rom, den 3. Juni 1857.

Der Herr Commendatore, der Präsident und die Professo-
ren der Abtheilung für Malerei haben sich vereinigt, um das
Gemälde zu prüfen, welches ihnen der Chevalier Walter Ken-
nedy Laurie vorgelegt hat, darstellend die allerseligste Jungfrau
(Halbfigur), das göttliche Kind nackend auf einem Betttuche vor
sich - habend, welches mit liebevollem Verlangen auf die mütter-
liche Umarmung hofft, während die heil. Jungfrau im Begriff
ist, mit beiden Händen den Schleier aufzuheben, der es bedeckt.
Sankt Joseph, der zur linken Hand steht, blickt mit Verwunde-
rung daraus hin, u. s. w.

Die Professoren sind einstimmig der Meinung, daß dieses
, ein Werk Rafaels von Urbino ist, aus der besten Zeit seiner
Kunstübung und äußerst gut erhalten, mit Ausnahme einiger
Th.eile, welche augenscheinlich durch einen Menschen ohne alle
Fähigkeit restaurirt sind.

Das Werk ist von solcher Vorttefflichkeit, daß die, Professo-
ren ihren Wunsch ausdrückten, demselben möge vergönnt wer-
den, in Rom zu bleiben, und die Kunstschätze zu vermehren,

welche Rom bereits besitzt.

Pietro Tenerani, Präsident, Filippo Agricola, Tommaso

Minardi,- Ferdinando Cavallieri, Francisco Caglietti, Fran-
cisco Podesti, Natale Carta, Allessandro Capatti, Niccola

Consoni, Paolo Mercuri; Salvatöre Betti, Professor und
- beständiger Secretär.

In Folge dieser Entscheidung wurde Hr. Laurie von dem
Cardinal Antonelli ersucht, das Gemälde dem römischen Gou-
vernement zu überlassen. Er zog es aber vor, dasselbe in sei-
ner eigenen Familie aüszubewähren, und brachte es wieder nach
Florenz zurück."

Dies der anziehende und wichtige Artikel in der „Times",
der alle Aufmerksamkeit verdient. Freilich reicht die Kunstliteratur-
Kenntuiß des Berichterstatters nicht weit, „von Vasari bis Quatre-
mere de Quincy." Dieser letztere, ein Franzose, gab eine Listoire
cte la vie et des ouvräges de Raphael ornee d’un portrait in
Paris heraus; sie erschien bereits 1824 in das Italienische über-
setzt und vermehrt von Longhana, 1829, dann in neuer Auflage
1883. Was I. D. Passavant, was vr. G. K. Nagler, letz-
terer auf mehr als 18 Druckbogen seines schätzbaren Künstler-Lexi-
cons und Andere über Rafael bis 1857 gebracht, scheint jenem Be-
richterstatter fremd geblieben.

Was die Abbildung des Bildes der Madonna di Loreto in
dem Werke von I. B. L. G. Seroux d'Agincourt betrifft, auf
welche der Berichterstatter Bezug nimmt, so befindet sich dieses,
oben unter den Copieen nicht erwähnte Bildchen von nur 8 Pariser
Zoll 9 Linien Höhe und 7 Zoll 1-f Linien Breite auf Tafel 185
sowohl der Originalausgabe, als der von A. Ferd. v. Quast revi-
dirten Ausgabe, und lautet der alte Text ohne alle neuere Erläute-
rung über dasselbe in der Quast'schen Uebertragung: „Die heilige
Familie, anderes Oelgemälde auf Holz von Rafael, 16. Jahr-
hundert.

Dieses kleine Gemälde befund sich in Rom in der Apotheke des
Collegio Romano; das Ensemble seiner Composition und die Aus-
führung, in der man eine gesammeltere Behandlung wahrnimmt,
lassen schließen, daß es aus einer späteren Zeit als das vorherge-
hende ist. Der Stich ist in der Größe des Originals nach einer
Durchzeichuung desselben.

Rafael führte dieselbe Composition in lebensgroßen Figuren
aus, und es epistiren mehrere Wiederholungen davon, welche alle
aus seiner Schule hervorgegangen sind, und von denen sich eine zu
Loretto in der Sakristei der Kathedralkirche befindet."

Auch in dieser Berichterstattung ist keine Sicherheit. Deren
Verfasser hätte wissen sollen, daß das Bild zu Loretto sich ebeu nicht
mehr dort befindet, und so viel leuchtet ein, daß ein so kleines
Bildchen nicht das Original eines Kirchenbildes von allgemeiner Ver-
ehrung sein kann.

Bezüglich des Bildes in der Galerie Orleans, welches I. T.
Richomme stach, und welches auf chinesischem Papier 18 Thaler
kostet, ist eine Bemerkung von Dr. G. F. Waagen wichtig, wel-
cher S. 506 des ersten Theiles seiner „Kunstwerke und Künstler in
England und Paris" jenes Bild unter Nr. 8 der zum Theil nur
angeblichen 12 Rafaelischen Gemälde der G. O. aufführt, und da-
von sagt: „Schwache Copie des berühmten, nun verschollenen Bil-
des, vormals im Schatz zu Loretto. Hr. Willst 300 Pfd. Wäh-
rend meines Aufenthaltes in London durch den Auctionator Herrn
Stanley verkauft. '

Nach dem Times-Artikel wäre dieses Bild dasselbe, welches sich
jetzt in der Pariser Galerie des Louvre befindet. Es ist aber auch
noch ein anderer Fall denkbar, und auffallend genug ist es, daß Hr.
Walter Kennedy Laurie nicht angegeben hat, woher seine Madonna
di Loreto stammt, und wann dieselbe in seinen oder in den Besitz
seiner Familie gelangte? Da er in Florenz wohnt, könnte sie ja
auch eins der von Vasari angeführten dortigen Bilder sein. Sichere
Kunde darüber zu erhalten, dürfte für alle, die ihre Theilnahme
einer solchen anziehenden Angelegenheit zuwenden, wie die neue Auf-
findung eines rafaelischen Gemäldes ist, ungleich wichtiger sein, als
das Urtheil „sanguiner und enthusiastischer Kritiker", denn solcherlei
 
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